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Französischer Historiker kritisiert „Traditionis custodes“

Der französische Historiker und Katholizismus-Experte Christophe Dickès hält das Motu proprio „Traditionis custodes“ für ungerechtfertigt. In „L’Incorrect“ legt er dar, warum er hinter dem Text eine Franziskus nahestehende, sehr aktive Minderheit vermutet.
Dickès meint, Papst Franziskus sei - von einer aktiven Minderheit getragen – an die Macht gekommen
Foto: Cristian Gennari (Romano Siciliani) | Dickès meint, Papst Franziskus sei - von einer aktiven Minderheit getragen – an die Macht gekommen, „die entschlossen war, dem Vermächtnis von Johannes-Paul II. und Benedikt XVI. ein Ende zu setzen“.

Das französische Magazin „L’Incorrect“ veröffentlicht auf seiner Webseite einen Beitrag des Historikers Christophe Dickès, in dem dieser Form und Inhalt des neuen päpstlichen Motu proprio „Traditionis custodes“ analysiert. Dabei will Dickès einen Zusammenhang mit früheren Aussagen des Papstes, etwa in Bezug auf den Diakonat der Frau oder die Anerkennung der Homosexualität, entdeckt haben. 

Dickès, der unter anderem für Publikationen wie „Le Figaro“, „L’Express“, „La Vie“ und „Famille Chrétienne“ schreibt, fasst die Reaktionen auf das neue vatikanische Dokument mit den Worten „Verbitterung, Unverständnis, Verzweiflung ja sogar Zorn“ zusammen. Seit der Veröffentlichung des Motu proprio mehrten sich „die Reaktionen über die allmähliche Aufhebung deraußerordentlichen Form des römischen Ritus und sie gehen in dieselbe Richtung. Sie offenbaren die überraschende, um nicht zu sagen unpassende, Seite eines Textes, bei dem man sich fragt, ob er wirklich die Realität widerspiegelt“. 

Kein einziges pastorales Wort im Text

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Dickès stellt mehrere Fragen: „Wie sollte man in den überzogenen Forderungen im Hinblick auf die traditionalistische Welt keine Ideologie erkennen, wenn auf der anderen Seite des Rheins die deutschen Bischöfe in Bezug auf zahlreiche Aspekte der Glaubenslehre buchstäblich unkontrolliert unterwegs sind und sich seit mehreren Jahren unverhohlen über Rom hinwegsetzen? Wie kann es sein, dass diejenigen, die seit 15 Jahren mehrheitlich für die Einheit der Kirche tätig sind, priesterliche Berufungen haben, ihren Glauben in ganzen Familien lebendig werden lassen – wie also können diese Katholiken derart im Zentrum eines solchen Misstrauens stehen, dass weder seitens des Papstes selbst noch im Motu proprio noch in dem textbegleitenden Brief an die Bischöfe ein einziges pastorales Wort steht?“ Warum, so fragt Dickès weiter, könne „das friedenstiftende Motu proprio „Summorum pontificum“ von Benedikt XVI., das auf eine Liberalisierung des alten Ritus abzielte, mit einem Federstrich ausgelöscht werden? Wie kann nach den eigenen Worten von Benedikt XVI. – ‚Was früheren Generationen heilig war, bleibt auch uns heilig und groß‘ – letztendlich verboten werden?“ Und warum solle schließlich die „Auslöschung der außerordentlichen Form des römischen Ritus“ geplant werden?

Dickès erinnert daran, dass vor der Veröffentlichung von „Traditionis custodes“ die Glaubenskongregation eine weltweite Umfrage unter den Bischöfen in Gang gesetzt hatte, um sie zu diesem Thema zu befragen. Im Brief des Papstes an die Bischöfe, der das Motu proprio begleitet, ist zu lesen: „Die eingegangenen Antworten haben eine schmerzliche Situation offenbart, die mich beunruhigt und mir die Notwendigkeit bestätigt einzugreifen“. Doch Dickès fragt, ob es tatsächlich so sei, dass eine Mehrheit der Bischöfe sich über das Verhalten derjenigen beklage, die dem alten Ritus verbunden sind.

Dickès zieht französische Verhältnisse in Zweifel

Was die französischen Verhältnisse angehe, so könne man dies ernsthaft bezweifeln. Natürlich unterstreiche das Dokument der Französischen Bischofskonferenz vom April 2020 negative Aspekte der Anwendung des Motu proprio von Benedikt XVI., „doch die Zusammenfassung jeder einzelnen von der Glaubenskongregation gestellten Fragen offenbart trotz allem den Weg einer eingeschlagenen Befriedung, wenn es im Hinblick auf Frage 1 etwa heißt: ‚In der Mehrzahl der Fälle scheint die Lage zur Ruhe gekommen zu sein. Man erkennt in den Antworten den Wunsch der Bischöfe, möglichst viele Diözesanpriester an den Zelebrationen der außerordentlichen Form zu beteiligen, doch dies erweist sich aufgrund der geringen Priesterzahl als schwierig“.

Dickès wirft die Frage auf welche Gründe es also für die Publikation von „Traditionis custodes“ gebe. Einige wiesen auf die Tatsache hin, dass das Motu Proprio zunächst auf Englisch (und nicht auf Französisch) übersetzt worden sei, stellt Dickès fest, „um exakt seine Zielsetzung zu markieren: die amerikanischen Neokonservativen, die seit der Wahl von Papst Franziskus nicht aufhören, ihn zu kritisieren“. Doch wenn dies der Fall sei, so fragt der Historiker, warum sollte man dann die Gesamtheit einer Gemeinschaft bestrafen? 

Wenn man der Vatikanista Diane Montagna Glauben schenken sollte, so hätten „30 Prozent der Bischöfe auf der Welt auf die Umfrage des Vatikan über die außerordentliche Form geantwortet. Von diesen 30 Prozent zeigte sich die Hälfte der außerordentlichen Form des Ritus gegenüber ‚neutral und geneigt‘. Die Frage lautet daher: Können 15 Prozent unzufriedene Bischöfe die Aufhebung einer Praktik rechtfertigen? Kann man darüber hinaus eine Minderheit von praktizierenden Gläubigen als eine reale Gefahr für die Einheit ansehen, wenn eine überwältigende Mehrheit der Bischöfe genau genommen gar keine Meinung zu dieser Frage hat?“ 

Franziskus und sein Hofstaat

So sei es legitim, folgert Dickès, „sich die Frage nach einem nicht nahvollziehbaren Missverhältnis zwischen der Brutalität des päpstlichen Textes und der Realität vor Ort zu stellen. Wenn die Angaben von Diane Montagna stimmen, stellt sich eine letzte Frage: Woher kommt die Entscheidung, wenn sie nicht von den Bischöfen stammt?“

Dickès meint dazu, Papst Franziskus sei - von einer aktiven Minderheit getragen – an die Macht gekommen, „die entschlossen war, dem Vermächtnis von Johannes-Paul II. und Benedikt XVI. ein Ende zu setzen“. Sodann habe sich Papst Franziskus mit einem „veritablen Hofstaat umgeben“, der seine eigene Agenda der gesamten katholischen Kirche auferlegen wollte: „die Kommunion der wiederverheirateten Geschiedenen, die Anerkennung der Homosexualität, die Weihe verheirateter Männer, der Diakonat der Frauen… und die Aufhebung der lateinischen Messe“. Egal, welchen Vatikanista man heute befrage, bemerkt Dickès, jeder werde einem sagen, „dass Rom zum Spielfeld dieser äußerst aktiven Minderheit geworden sei, die ihre Partitur der ganzen Kirche auferlegen möchte“. Sie habe dies bei der Familiensynode versucht, aber auch im Laufe der Amazonas-Synode. Zweimal sei sie „gescheitert, weil sie auf Widerstand traf – auf den Widerstand des emeritierten Papstes, der gemeinsam mit Kardinal Sarah an die Bedeutung des priesterlichen Zölibats erinnerte“.

Ein widersprüchliches Bild

Letztlich, so Dickès, werfe dies auch die Frage nach dem Bild von Franziskus auf, das der Text von „Traditionis custodes“ hinterlassen werde. Es sei ein „insgesamt recht widersprüchliches Bild: für liberal gehalten, beschließt er, der Liberalisierung der alten Messe ein Ende zu setzen. Wie lässt sich so sein ökumenisches Wohlwollen oder sein Sinn für den interreligiösen Dialog erklären, während er sich zugleich ad intra – das heißt, im Hinblick auf seine eigenen Schäfchen - unversöhnlich erweist?“ 

Außerdem hielten die Medien Papst Franziskus oftmals die Pontifikate von Johannes-Paul II. und von Benedikt XVI. entgegen und würfen den zuletzt genannten ihre „Zentralisierung“ vor. Doch das Motu proprio bestätige, so Dickès weiter, „dass das Pontifikat von Franziskus viel zentralisierender als das seiner Vorgänger ist“. Im vorliegenden Fall von „Traditionis custodes“ nehme Franziskus eine „frontale Strategie an, die den autoritären Aspekt seiner Persönlichkeit offenbart, die in den Medien weniger bekannt, dennoch aber wirklich real ist. Auch auf die Gefahr des Klerikalismus hin, den er selbst verurteilt“.  DT/ks

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