Menschen auf dem Oranienplatz in Kreuzberg beim Ostermarsch des "Netzwerks Friedenskooperative" unter dem Motto "Die Waffen nieder!".

Ostermärsche in Kriegszeiten Friedensbewegung aus der Zeit gefallen?

Stand: 16.04.2022 02:23 Uhr

Bei den sogenannten Ostermärschen protestieren Friedensaktivisten unter anderem gegen Waffenexporte in die Ukraine. Aus Sicht von Kritikern verkennen sie dabei die Realität.

"Nicht noch mehr Waffen", steht am Karfreitag auf einem Plakat beim Chemnitzer Ostermarsch. Auf einem Banner daneben ist der jahrzehntealte Slogan der Friedensbewegung zu lesen: "Frieden schaffen ohne Waffen".

Selenskyj nur ein "Spielball" der USA?

Aus Sicht der Veranstalter und der Teilnehmer gilt dieses Motto auch für die Ukraine. Waffenexporte lehnen sie ab: "Wenn wir Waffen dort in dieses Land schicken, dann sterben immer noch mehr Menschen", sagt Demo-Teilnehmerin Lukrezia Gardke.

Der Krieg in der Ukraine sei ein "Stellvertreterkrieg" der USA und der ukrainische Präsident Selenskyj nur ein "Spielball" der Amerikaner, behauptet Heinz Krummey, der den Chemnitzer Friedensmarsch organisiert hat.

Im offiziellen Aufruf des Ostermarsches wird der russische Angriff auf die Ukraine verurteilt, die Schuld für den Krieg sieht Organisator Krummey allerdings nicht allein bei Russland.

Hunderte Friedensdemos bundesweit

Bundesweit soll es an diesem Osterwochenende mehr als hundert Veranstaltungen geben. Insgesamt erwarten die Organisatoren Zehntausende Teilnehmer.

Im nordrhein-westfälischen Gronau sind am Karfreitag rund 200 Menschen zu einer Fahrraddemo zusammengekommen. Udo Buchholz, Organisator der Demo hier, argumentiert ebenfalls gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Er begründet seine Ablehnung unter anderem mit der Sorge vor einem Atomschlag Russlands, der folgen könnte, wenn aus Putins Sicht eine "rote Linie" überschritten sei.

Ostermärsche von Friedensbewegungen in Zeiten des Krieges

David Zajonz, WDR, tagesthemen, tagesthemen, 15.04.2022 23:15 Uhr

"Waffen für die Ukraine"

Auch die Ukrainerin Yuliia Sehring hat nach Kriegsbeginn für den Frieden protestiert. Der Slogan auf ihrem Demo-Plakat ist aber das genaue Gegenteil von dem, was auf den Ostermärschen gefordert wird: "Waffen für die Ukraine", ist darauf zu lesen. Sehring ist vor einem Jahr von Kiew nach Köln gezogen. Für die radikalpazifistische Haltung der deutschen Friedensbewegung hat sie kein Verständnis.

"Natürlich bin ich für Frieden, hundert Prozent. Aber jetzt hat Russland mein Land angegriffen - mit Waffen." Für die Ukrainerinnen und Ukrainer gehe es gerade darum, ihr eigenes zu Hause zu beschützen, sagt Yuliia Sehring. Dafür brauche es unbedingt auch westliche Waffenlieferungen. Nur so könne der Frieden verteidigt werden.

Yuliia Sehring mit einem Schild mit der Aufschrift "Weapons for Ukraine"

Die Ukrainerin Sehring hat für die Forderungen der Friedensbewegung kein Verständnis.

"Brutaler Eroberungskrieg"

Angesichts der russischen Invasion sei die Friedensbewegung regelrecht aus der Zeit gefallen, kritisiert der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke. "Wir haben es, anders als noch im Kalten Krieg, mit einem brutalen Eroberungskrieg zu tun", sagt von Lucke, Redakteur der Fachzeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik".

Von der Friedensbewegung wünscht er sich deshalb mehr Selbstkritik und eine Abkehr von einfachen Slogans. Es sei aber berechtigt, so von Lucke, wenn die Friedensbewegung daran erinnert, dass Waffen allein keinen Frieden schaffen werden.

Waffen als Abschreckung

Die in der Ukraine geborene Publizistin Marina Weisband kritisiert die Positionen der Friedensbewegung als unrealistisch: "Ich möchte nicht, dass das Wort 'Pazifismus', also der Wunsch nach Frieden, von Leuten vereinnahmt wird, die nicht bereit sind, notwendige Schritte für Frieden zu gehen."

Nach Weisbands Einschätzung stellen "radikale Pazifisten" den Frieden an den Anfang und nicht an das Ende ihrer Überlegungen: "Das heißt, Frieden ist für sie nicht das Ziel sondern das Mittel." Es gebe auf der Welt nun einmal Waffen und Aggressoren, so Weisband: "Frieden zu verteidigen bedeutet, es diesen Aggressoren so teuer wie möglich zu machen jemanden anzugreifen - sie am besten ganz davon abzuschrecken. Das funktioniert nicht ohne Waffen."

"Alternativer Ostermarsch" in Berlin

Viele Menschen aus Kriegsgebieten fühlen sich von den pazifistischen Parolen der Ostermärsche nicht angesprochen. In Berlin findet an diesem Samstag deshalb ein "alternativer Ostermarsch" statt, der sich explizit gegen die russischen Angriffskriege richtet. Zu den Unterstützern gehören unter anderem syrische und ukrainische Organisationen. Eine Verurteilung von Waffenlieferungen findet sich in ihrem Protestaufruf nicht wieder.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 15. April 2022 um 23:15 Uhr.