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Tödlicher Schuss auf Einbrecher Die entscheidende Sekunde

Ein junger Mann will in ein Haus in Hannover einbrechen - und wird vom Hausbesitzer erschossen. Der Sportschütze wird dafür wegen Totschlags verurteilt. Das Gericht meint: Er hätte sich im letzten Moment anders entscheiden müssen.
Angeklagter Bassam A.: "Sie wären ein freier Mann"

Angeklagter Bassam A.: "Sie wären ein freier Mann"

Foto: Holger Hollemann/ dpa

Der tödliche Schuss fällt am 9. Juni dieses Jahres. Um Viertel nach eins in der Nacht bemerkt Bassam A., wie mehrere Männer in sein Haus einbrechen wollen. Der Kfz-Meister und Sportschütze nimmt seine Waffe aus dem Tresor, lädt sie, tritt durch die Haustür und schießt einem der Einbrecher in den Rücken - der 18-Jährige stirbt später im Krankenhaus.

Dafür muss Bassam A., 41, für drei Jahre ins Gefängnis, wegen Totschlags in einem minderschweren Fall, wie die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Hannover entschied. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Verteidigung kündigte Revision beim Bundesgerichtshof an.

Freier Mann oder Gefängnis, Notwehr oder Totschlag - das hat sich in jener Juninacht in einer Sekunde entschieden. Darin sind sich Richter, Verteidiger und Ankläger einig. In dieser Sekunde wurde aus dem Opfer eines Einbruchs Bassam A. der Todesschütze Bassam A. In dieser Sekunde wurde aus dem 18 Jahre alten Einbrecher Maxim A. das Opfer Maxim A.

"Sie mussten sich entscheiden", sagt Richter Wolfgang Rosenbusch in Richtung des Angeklagten. Schießen oder nicht schießen? Bassam A. schoss.

Der Zufall führte sie zu Bassam A.

Rosenbusch rekonstruiert die Ereignisse, wie das Gericht sie als erwiesen ansieht. Maxim A. kam demnach im Mai 2015 mit drei Freunden das erste Mal aus Moldawien nach Deutschland. Seine Tante lebt in Hannover, sie besuchten eine Hochzeit in Bremen. Doch die Freunde hatten zu wenig Geld, sie fuhren schwarz, begingen kleinere Delikte. "Straftaten aus finanzieller Not heraus", sagt Rosenbusch - keine Bande, die zum Einbrechen nach Deutschland gekommen ist, wie die Verteidigung es andeutete.

In der Nacht des 9. Juni wollten sie Geld und Lebensmittel klauen, so haben es die drei Freunde während des Verfahrens ausgesagt. Sie kamen "nach dem Zufallsprinzip", so Rosenbusch, an den Hannoveraner Stadtrand, erspähten das Haus von Bassam A.

Die Jungen betraten das Grundstück, kundschafteten das Haus aus. Das, so glauben die Richter, weckte Bassam A. und seine Lebensgefährtin. Bassam A. schaute aus dem Fenster, sah eine Gestalt mit einer roten Kapuze und einer Pistole, so sagte er es später aus.

"Sie haben erkannt, dass die Jungen weglaufen"

A. ging zum Tresor, holte seine Waffe, Typ Sig Sauer, Kaliber neun Millimeter. "Er hat sich wohl da schon falsch entschieden", so Rosenbusch. Bassam A. ging mit der Waffe nach unten. Am Fenster sah er mehrere Gestalten: nach Auffassung des Gerichts Maxim A. und einen der Freunde, die sich am Fenster zu schaffen machten.

Bassam A. wollte mit der Waffe in der Hand nach draußen gehen. Er öffnete langsam die Haustür, die beiden jungen Männer drehten sich um und wollten flüchten. Erst dann kam Bassam A. durch die Tür, die rechte Hand mit der Pistole schon zum Schuss gehoben. Rosenbusch: "Sie haben erkannt, dass die Jungen weglaufen." Trotzdem habe er geschossen.

"Wir können eine einmal getroffene Entscheidung im letzten Moment revidieren", erklärt der Vorsitzende - und widerspricht damit einem der Hauptargumente der Verteidigung. Die hatte sich auf Notwehr berufen und einen Freispruch für ihren Mandanten gefordert. "In Gefahrensituationen ist man überfordert", so Verteidiger Benjamin Schmidt. Rationales Denken sei nicht mehr möglich. Sein Kollege Matthias Walldraff: "Er hatte Todesangst."

"Es lag keine Notwehrsituation vor", hatte hingegen Staatsanwältin Ann-Kristin Fröhlich in ihrem Plädoyer gesagt. Die Einbrecher seien bereits auf der Flucht gewesen, als Bassam A. die Haustür öffnete. A. habe den Männern förmlich hinterhergeschossen.

"Das verdammte Ding im Safe"

Dieser Argumentation ist das Gericht gefolgt, blieb bei der Dauer der Haftstrafe jedoch unter den von der Staatsanwaltschaft geforderten sechseinhalb Jahren. Die Richter legten eine Reihe von Faktoren zugunsten von Bassam A. aus - und kamen so zu einem sogenannten minderschweren Fall des Totschlags. Als Gründe nannten sie unter anderem die notwehrähnliche Situation, die Tatsache, dass Maxim A. durch seinen versuchten Einbruch die Ereignisse selbst initiiert hatte, und die umfassende Kooperation des Angeklagten.

Bassam A. hatte in der Tatnacht selbst die Polizei gerufen und den Schuss gleich zugegeben. Auch hatte er den Ermittlern die Aufzeichnungen von zwei Videokameras von sich aus übergeben - die Bänder waren ein zentrales Beweisstück in dem Prozess. Vom Tod des Jungen erfuhr Bassam A. erst am nächsten Morgen, er soll in Tränen ausgebrochen sein.

Überzeugt ist das Gericht aber auch, dass Bassam A. den 18-Jährigen mit seinem Schuss nicht töten wollte. Allerdings habe er den Tod von Maxim A. billigend in Kauf genommen.

Das Urteil drückt aus, dass es in diesem Fall keine klare Trennung zwischen Opfern und Tätern gibt. Bassam A. kann mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Sohn nicht mehr in dem Haus leben, sie sind seit der Tat traumatisiert, so sieht es Richter Rosenbusch. "Sie wären ein freier Mann, wenn Sie das verdammte Ding nicht im Safe gehabt hätten."