Corona-Impfung: Flensburgerin leidet an sehr seltenen Nebenwirkungen

Stand: 12.11.2022 06:00 Uhr

Es gibt sehr seltene Fälle, in denen die Corona-Impfung schwere Nebenwirkungen hat. Doch Mediziner wissen bislang wenig darüber. Eine junge Frau aus Flensburg berichtet über ihren langen Leidensweg.

von Alexandra Bauer

Alles beginnt im Mai 2021 - im zweiten Jahr der Corona-Pandemie. Katharina Fürle bekommt Atemnot, starken Husten und verspürt einen Druck auf der Brust. Zehn Tage vorher hatte sie ihre zweite Biontech-Impfung bekommen. Die Flensburgerin ist zu dem Zeitpunkt 30 Jahre alt. Später kommen Magen-Darm-Probleme und Schwindel dazu. Die Beschwerden gehen nicht weg, im Gegenteil, sie werden immer schlimmer.

Katharina Fürle vermutet, dass die Impfung Auslöser sein kann, doch ihr Hausarzt ist skeptisch. Er klärt mit ihr und verschiedenen Fachärzten alle möglichen anderen Ursachen ab, auch psychosomatische. Doch die Experten finden nichts.

Seit Januar 2022 ist Fürle arbeitsunfähig

Katharina Fürle ist Ergotherapeutin. Sie arbeitet in einer Wohnstätte für psychisch kranke Menschen. In der Einrichtung gilt eine Impfpflicht. Deswegen lässt sie sich trotz der Beschwerden im November 2021 ein drittes Mal impfen. Ihre Beschwerden verstärken sich wieder, sie kann nichts mehr zu sich nehmen, nimmt fünf Kilo ab, kommt mit Verdacht auf einen Schlaganfall ins Krankenhaus. Doch auch dort hat man keine Erklärung. Katharina Fürle fühlt sich chronisch erschöpft. Seit Januar 2022 ist sie arbeitsunfähig. An schlechten Tagen liegt sie fast nur noch im Bett. Ihr Freund muss sie im Alltag unterstützen, die gemeinsame Familienplanung liegt auf Eis.

Post-Vac-Syndrom: Spezialambulanz in Marburg

Nach einem monatelangen Leidensweg mit etlichen Facharztbesuchen und mehreren Krankenhausaufenthalten macht sich Katharina Fürle selbst auf die Suche. Sie stößt im Internet auf das Post-Vaccine-, kurz Post-Vac-Syndrom (englisch: vaccination = Impfung) - also Beschwerden nach einer Impfung. Über Instagram tauschen sich Hilfesuchende aus. So erfährt sie von einer Spezialambulanz in Marburg. Auf eigene Initiative bemüht sie sich Ende Mai 2022 dort um einen Termin. Im August darf sich Katharina Fürle dort vorstellen. Zu dem Zeitpunkt hat sie seit 15 Monaten Symptome.

Nebenwirkungen können nach jeder Impfung auftreten

Post-Vac-Patientin Katharina Fürle aus Flensburg spricht mit ihrem Arzt. © NDR
Katharina Fürle kämpft mit den Folge ihrer Corona-Impfungen.

In Marburg bekommt die junge Frau aus Flensburg endlich eine Diagnose. Der Arztbrief des Universitätsklinikums bescheinigt ihr eine "Hyperinflammation und Autoimmunreaktion im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung". Die Ärzte schreiben: "Aus unserer Sicht könnte die Impfung zu einer Hyperinflammation geführt haben." Das heißt: "eine nicht kontrollierbare Entzündungsreaktion", erklärt Klinikdirektor Professor Bernhard Schieffer. Die Ursachen dafür seien vielschichtig. Bei Katharina Fürle seien die immunologische Vorschädigungen durch Neurodermitis, Allergien gegen Hausstaubmilben, Katzen und Schimmel sowie eine Laktoseintoleranz ausschlaggebend. Solche Entzündungsreaktionen können sich auch auf nicht ausgeheilte Infekte draufsetzen, wie das Eppstein-Barr-Virus, welches das Pfeiffersche Drüsenfieber auslöst. Dabei wüssten die Patienten häufig nicht, dass sie solche Infekte in sich tragen, sagt Professor Schieffer. Prinzipiell können solche Nebenwirkungen nach jeder Impfung auftreten.

Starke Nebenwirkungen sehr selten

Die Wahrscheinlichkeit so stark auf eine Corona-Impfung zu reagieren, liegt laut Professor Schieffer schätzungsweise bei 0,02 bis 0,03 Prozent. Und damit in dem Bereich, in dem auch bei anderen Impfungen Nebenwirkungen erfasst werden. Die Wahrscheinlichkeit an Langzeitfolgen nach einer Corona-Infektion zu erkranken, liege hingegen um ein Vielfaches höher. Für den Mediziner führt deshalb kein Weg an der Impfung vorbei. Aus seiner Sicht wäre es wünschenswert, dass man zu einer differenzierteren Abklärung kommt, bevor sich bestimmte Risikogruppen impfen lassen. Das wäre zum Beispiel mittels einer Checkliste beim Hausarzt denkbar.

6.000 Patientinnen und Patienten noch auf der Warteliste

Vor allem junge Frauen stellen sich in der Spezialsprechstunde in Marburg vor. Sie sind oft schlank, sportlich und anfällig für Autoimmunerkrankungen und Intoleranzen. Inzwischen haben die Ärzte in Marburg knapp 500 Patientinnen und Patienten untersucht, weitere telefonisch beraten. 6.000 Patientinnen und Patienten stehen noch auf der Warteliste. Um ihnen zu helfen, fordert Professor Schieffer Spezialambulanzen in allen Bundesländern. Betroffene sollen wissen, welche Hausärzte sich mit Post Vaccine auskennen und wen sie ansprechen können.

Einen kundigen Arzt in Schleswig-Holstein mit einer solchen Checkliste hätte sich auch Katharina Fürle vor ihren Impfungen gewünscht. So musste sie sich selbst um eine Diagnose bemühen. Inzwischen geht es ihr dank einer Vielzahl an Medikamenten, die ihre Symptome bekämpfen, wieder etwas besser. Arbeiten kann sie aber immer noch nicht.

Beschädigtenversorgung: Schleswig-Holstein zahlt insgesamt 67.000 Euro

Wer sich durch eine Impfung geschädigt fühlt, kann einen Antrag auf Beschädigtenversorgung beim Landesamt für soziale Dienste stellen. In Schleswig-Holstein haben das aufgrund von Corona-Impfungen bislang 194 Menschen getan. Zwölf Anträge wurden anerkannt. Insgesamt zahlt das Land in diesem Jahr rund 67.000 Euro an Corona-Impfgeschädigte. Auch Katharina Fürle hat einen Antrag gestellt. Sie hofft, dass er anerkannt wird und dass es ihr bald wieder besser geht. Denn mit ihrem Freund wollte sie jetzt eigentlich eine Familie gründen.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 11.11.2022 | 19:30 Uhr

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