Dieser Tage wurde in vielen österreichischen Medien über Daten berichtet, die von der AGES veröffentlich worden waren: Demnach sind während der SARS-CoV-2-Pandemie in Österreich weniger Menschen an COVID-19 verstorben als in Vergleichszeiträumen üblicherweise an Influenza versterben. Für die Unterschiede in den Sterberaten fanden sich keine näheren Erklärungen. Es konnte so durchaus der Eindruck entstehen, dass das neue Coronavirus eigentlich gar nicht so gefährlich ist – und daher möglicherweise die politisch umgesetzten, für die Wirtschaft und die meisten Menschen äußerst schmerzhaften, Maßnahmen übertrieben waren.

Inhaltlich waren die Berichte korrekt. Aber es ist doch wichtig, die Daten in einen Zusammenhang zu stellen und einige Hintergründe zu erläutern. Zum einen ist zu beachten, dass die Unterschiede in den Sterberaten auch vor den völlig unterschiedlichen Arten der Datenerhebung von Todesfällen aufgrund von Influenza und Corona zu sehen sind. Zudem sind die vergleichsweise niedrigen Mortalitätsraten bei COVID-19 in Österreich auch das Resultat eines frühen „ Lockdowns“ und drastischer Maßnahmen, die politisch offensichtlich zum richtigen Zeitpunkt, beschlossen wurden. Wenn man schon die Mortalität von Influenza und der SARS-CoV-2 Pandemie vergleichen will, müssen die weltweite Situation und die Sterberaten in Ländern ohne rechtzeitigen „Lockdown“ näher betrachtet werden.

In den USA, wie auch in Österreich, werden während der Influenza-Saison Daten zu Sterblichkeit und zu Komplikationen anhand der Meldungen von Krankheitscodes, nach dem „Internationalen Klassifikationssystem für Erkrankungen (ICD)“ geschätzt. Auf Basis eines Berechnungsmodells schätzt die amerikanische Gesundheitsbehörde die Anzahl der Influenzatoten um das 6-fache höher ein als es den tatsächlichen Meldungen der Toten mit definitiv nachgewiesener Influenza entspricht. Zum Beispiel werden die Influenzatoten in den USA während der Grippesaison 2013/2014 mit 23.000 und in den Jahren 2018/2019 mit 61.000 angegeben. Im Gegensatz dazu werden Patientinnen und Patienten, die an SARS-CoV-2 gestorben sind, nur dann gezählt, wenn sie zu Lebzeiten positiv getestet wurden. Also alle Personen, die zum Beispiel zu Hause während der SARS-CoV-2-Pandemie an einer Pneumonie oder anderen Komplikationen der Infektion ohne Testung verstorben sind, gelten offiziell auch nicht als COVID-19 Opfer.

In der Woche vom 14. bis zum 21. April 2020 wurden in den USA 14.478 COVID-19 Todesfälle gemeldet. Vergleicht man die SARS-CoV-2 Toten mit der höchsten Anzahl von Influenzatoten pro Woche, so zählt man für die Grippesaison 2013/2014 beziehungsweise  2018/2019  je 351 und 1626 Influenzatote. Diese Daten belegen, dass die Anzahl der COVID-19 Todesfälle in Wirklichkeit um das 8,9-fache bis 41-fache höher war.

Die „Dunkelziffer“ für an COVID-19 verstorbene Menschen dürfte deutlich höher liegen. Gerade in den USA müssen Testungen in der Regel vom Erkrankten selbst bezahlt werden. Am Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie wurde in einigen amerikanischen Krankenhäusern ein Influenzatest vor der Durchführung einer SARS-CoV-2 -PCR gefordert und selbstverständlich war auch dieser Test mit hohen Kosten verbunden. Folglich dürften viele Erkrankte, besonders aus armen Bevölkerungsschichten, weder einer Diagnose noch einer medizinischen Behandlung zugeführt worden sein und gehen nach ihrem Tod auch in keine Infektionsstatistik ein. 

Auch in Österreich dürfte es eine nicht zu unterschätzende Dunkelziffer an COVID-19-Toten geben. Im Tiroler Oberland, dem anfänglichen „Hot-Spot“ der Pandemie, wurden zum Beispiel gegenüber den Vorjahren deutlich mehr Einsätze lokaler Bestattungsunternehmen berichtet. Allgemeinmediziner und -medizinerinnen bestätigen, dass ältere  Mitmenschen, speziell in den Seitentälern des Inntals, mit klinischen Symptomen einer akuten Infektionserkrankung nicht in ein Krankenhaus gehen wollten und zu Hause verstorben sind. Auch wenn bei diesen Personen keine spezifische Testung auf SARS-CoV-2 erfolgt ist, dürften es sich Großteils um zusätzlichen COVID-19 Todesfällen handeln.

Aber auch ohne große Erklärungen genügt ein Blick in das „Dashboard des Centers of Science and Engineering at John Hopkins University“ in den USA. Die weltweiten stets aktualisierten Zahlen zu COVID-19-Erkrankungen und gezählten Todesfällen sind im Internet abrufbar. Am 16. Juni 2020 waren weltweit 8.058.427 SARS-CoV-2 Infizierte erfasst. Die berichtete Anzahl der Toten lag an diesem Tag bei 437.473. Das entspricht einer weltweiten Mortalität von 5,4 Prozent! Aber auch wenn wir westliche Nationen wie die USA isoliert betrachten, zeigt sich ein identes Bild. In den USA wurden bisher 2.114.026 Personen positiv getestet. 116.127 sind verstorben. Das ergibt ebenfalls eine errechnete Sterberate von 5,4 Prozent und das ohne Berücksichtigung der Dunkelziffern. Die Sterberate der Influenza liegt dagegen, mit wenigen Ausnahmen wie zum Beispiel der „spanischen Grippe“ im Promillebereich. In einer „normalen“ Grippesaison geht man von 0,1 bis 0,2 Prozent Todesfällen aus.

Eine Influenzaerkrankung kann also keinesfalls mit einer SARS-CoV-2 Infektion gleichgesetzt werden. Auch auf der Intensivstation sind die schwersten Erkrankungsformen nicht vergleichbar. Patienten mit COVID-19 Erkrankung waren fast doppelt so lange auf der Intensivstation als Patienten mit H1N1- Influenza im Pandemiejahr 2009. Das bedeutet, dass Überlebende der COVID-19-Erkrankung eine verlängerte Rehabilitationszeit benötigen und an länger dauernden negativen Folgen für die allgemeine Gesundheit und das Wohlbefinden leiden.