Attentate in Hanau: Fehlende Kultursensibilität bei Medien und Politikern

Denkmal der Märchenerzähler Brüder Grimm in Hanau. Bild: current/gemeinfrei

Kommentar

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Neun Menschen wurden in Hanau bei dem rassistischen Attentat ermordet. Neun junge Menschen, deren Familien aus verschiedenen Herkunftsländern stammen: vier Kurden, ein Bulgare, eine Roma, ein Rumäne, ein Bosnier und ein Afghane. Die Medien und Politiker berichten und sprechen von Türken statt Kurden; Angela Merkel spricht dem Despoten Erdogan ihre Anteilnahme aus, die anderen ethnischen Zugehörigkeiten bleiben unerwähnt.

Das Landeskriminalamt (LKA) gab am Freitag die Staatsangehörigkeit (nicht die ethnische Zugehörigkeit) der neun Opfer bekannt. Demnach waren drei der Toten Deutsche, zwei Türken, einer war Bulgare, einer Rumäne, einer Bosnier-Herzegowiner und einer besaß die deutsche und afghanische Staatsangehörigkeit. Die Hessenschau veröffentlichte die Namen und kurze Beschreibungen der Opfer, um sie aus der Anonymität zu holen.

Mercedes Kierpacz (35) war deutsche Staatsbürgerin und gehörte der Minderheit der Roma an. Sie hinterlässt zwei Kinder. Hamza Kurtović (20) war ebenfalls deutscher Staatsbürger. Seine Familie stammt ursprünglich aus Bosnien-Herzegowina. Hamza wurde wie schon sein Vater in Deutschland geboren. Kalojan Velkov (33) war bulgarischer Staatsbürger und lebte seit zwei Jahren in Deutschland. Vili Viorel Păun (23) kam als 16-Jähriger von Rumänien nach Deutschland, weil seine Mutter krank war und sich hier behandeln lassen wollte. Said Nesar Hashemi (21) ist in Hanau aufgewachsen und besaß die deutsche und afghanische Staatsangehörigkeit. Fatih Saraçoğlu (34) stammte aus Regensburg und hatte kurdische Wurzeln. Sedat Gürbüz (30) war türkischer Staatsbürger mit kurdischen Wurzeln. Er war der Besitzer der Shisa-Bar "Midnight".

Ferhat Ünvar (22) ist einer der vier ermordeten Kurden. Er war wie auch der Kurde Gökhan Gültekin (37) und zwei weitere Ermordete Mitglied im Hanauer kurdischen Gesellschaftszentrum, in dem sich die demokratischen, oppositionellen Kurden treffen. Ferhat Ünvar wurde in Deutschland geboren und hat die Türkei nie besucht. Serpil Temiz, die Mutter von Ferhat Ünvar ist Mitarbeiterin der oppositionellen türkisch-kurdischen Tageszeitung Yeni Özgür Politika.

Die Angehörigen der Ermordeten treffen sich zum Gedenken und zum Trauern im kurdischen Zentrum, wo sich viele Familien zusammenfinden, die vor der Repressionspolitik der verschiedenen türkischen Regierungen geflohen sind. In den Medien kommen jedoch Vertreter der konservativen Türkischen Gemeinde (TGD) zu Wort oder werden konsultiert - einer Gemeinde, in der die betroffenen Familien nicht zu Hause sind.

Treffen mit Vertretern der türkischen Gemeinde

Innenminister Seehofer traf sich anlässlich des Anschlags am Freitag mit Vertretern der Türkischen Gemeinde anstatt mit dem kurdischen Gesellschaftszentrum.

Im Gegensatz dazu hat der Generalsekretär der liberal-konservativen "Kurdischen Gemeinde", Cahit Başar, die zu ihrer ethnischen Identität steht, aber, wie der Namen schon anzeigt, keine linken, wie es das Klischee will, sondern liberal-konservative Gesellschaftsmodelle favorisiert und deren Mitglieder in Deutschland meist bei der CDU und FDP eingebunden sind, die Angehörigen besucht und ihnen Beistand angeboten.

Wie bei der deutschen Bevölkerung gibt es auch bei der kurdischen Bevölkerung selbstverständlich Menschen, die konservativ eingestellt sind. Allen diesen Menschen, von konservativ bis links, die sich für Demokratie einsetzen und Rassismus eine Absage erteilen, gebührt Respekt. Abgrenzung und Ausgrenzung hilft in diesen Zeiten nicht weiter. Wir alle müssen uns gegen den aufkeimenden Faschismus stellen und diejenigen schützen, die von Rassismus bedroht sind. Dazu gehören auch die Kurden.

Bekennende Kurden in Deutschland sind zweierlei rassistischen Bedrohungen ausgesetzt: die der deutschen Rechtsextremisten mit faschistischer Gesinnung, die ganz allgemein gegen Migranten zunehmend militant vorgehen, und der Bedrohung der türkischen islamistisch-nationalistischen Organisationen wie die "Grauen Wölfe", "Milli Görüs" oder den hiesigen AKP-Organisationen.

Was müssen die Angehörigen fühlen, wenn Angela Merkel ausgerechnet dem Despoten Erdogan ihre Anteilnahme ausspricht, der die Kurden im eigenen Land und in Nordsyrien verfolgen und ermorden lässt und der zum Teil der Grund für ihre Migration nach Deutschland war?

Viele oppositionelle kurdische Familien sind schon in den 1980er und 1990er Jahren nach Deutschland geflohen, um ihre Kinder in Sicherheit aufziehen zu können. Eigentlich hätte in Bezug auf die ermordeten Kurden die Kanzlerin eine Anteilnahme dieser Art nach Ankara schicken müssen: "Ich bedauere, dass wir die Sicherheit der vor Ihrer Regierung geflüchteten Kurden wegen unserer gewaltbereiten deutschen Rassisten nicht gewährleisten konnten..."

Die Gemeinschaft der Roma und Sinti in Deutschland drückte ihr Entsetzen und ihre Anteilnahme aus, gab es da auch eine Anteilnahme an die rumänische Regierung, die die Roma und Sinti ebenfalls gnadenlos diskriminiert? Oder an die Regierung in Afghanistan, wo die Menschen sich vor den Taliban versuchen durch Migration zu retten? Wohl kaum.

Instrumentalisierungen

Es ist erbärmlich, wie solch ein grauenhaftes rassistisches Attentat politisch instrumentalisiert wird. Da wird Erdogan eine Bühne geboten, damit er dieses Massaker propagandistisch ausnutzen kann - was interessieren den denn vier kurdische Tote? Oder eine Romni? Da wird der AKP-Politiker Mustafa Yeneroglu, der in Deutschland für Erdogan Werbung machte, - bis er selbst bei ihm in Ungnade fiel wegen zu vieler kritischer Einsprüche - von einer Tagesspiegel-Journalistin in Istanbul interviewt zu den ermordeten "Türken", damit er auf der "Deutschland ist islamfeindlich - Welle" reiten kann.

Fraglich ist, ob alle Getöteten Muslime waren. Es könnten auch Christen darunter sein, denn auch unter Christen aus dem Nahen Osten sind die Shisha-Bars ein beliebter Treffpunkt. Auch der Versuch, die Opfer in die islamische Ecke zu stellen und die große, besondere Gefahr für Muslime in Deutschland heraufzubeschwören, ist eine Instrumentalisierung dieses Massakers.

In den Medien werden konservative türkische Verbände, Vertreter des verlängerten Armes der türkischen Religionsbehörde Diyanet in den Fokus gerückt, während die oppositionellen kurdischen Organisationen hierzulande kriminalisiert werden. Viele Menschen mit türkischen, kurdischen oder arabischen Wurzeln haben mit dem politischen Islam, der in den Moscheen in Deutschland gepredigt wird, nichts am Hut.

Cahit Başar von der konservativen kurdischen Gemeinde spricht deutliche Worte: "Die Vorbehalte und die Angriffe gegenüber Kurden nehmen definitiv zu. Zum einen sind wir Menschen mit Migrationshintergrund und allein dadurch eine Zielscheibe für Rechtsextremisten, wie Hanau wieder mal zeigt. Zudem sehen Salafisten und Fundamentalisten in Kurden große Feinde, weil sie im Nahen Osten den sogenannten Islamischen Staat maßgeblich zurückgedrängt haben. Und drittens sind Kurden türkischem Nationalismus und Extremismus ausgesetzt."

Bei diesem grauenhaften Massaker ist es eigentlich egal, welches Herkunftsland die Menschen haben - es gibt auch viele "Bio-Deutsche" in Shisha-Bars, die es hätte treffen können. Es war kein gezielter Anschlag gegen Kurden. Das Motiv des Attentäters war eindeutig rassistisch, egal, welcher Herkunft die Menschen waren. Aber dass es unseren Medien und Politikern an Kultursensibilität gegenüber den Angehörigen fehlt und sie denjenigen kondolieren, die selbst den Rassismus gegen ungeliebte Ethnien fördern, ist schon ein Skandal.