Zerstörte Wohnhäuser im Norden von Gazas
Reuters/Mohammed Salem
Erneut Raketenangriffe

Israel verschärft Einsatz gegen Hamas

Das israelische Sicherheitskabinett hat am Mittwochabend eine Ausweitung des Militäreinsatzes gegen die im Gazastreifen herrschende islamistische Hamas beschlossen. Die Armee solle gezielt „Symbole der Hamas-Herrschaft“ in dem Palästinensergebiet angreifen, berichtete dazu der Sender Kanal 12. In der Nacht auf Donnerstag wurden vom Gazastreifen aus indes erneut Dutzende Raketen auf Israel abgefeuert.

Seit 20.00 Uhr am Mittwoch wurden rund 130 Starts registriert, teilte die israelische Armee Donnerstagfrüh via Twitter mit. Etwa 25 seien noch im Gazastreifen niedergegangen, Dutzende seien vom Abwehrsystem „Iron Dome“ (Eisenkuppel) abgefangen worden. Die Erfolgsquote des Abfangsystems betrage den Armeeangaben zufolge weiterhin im Schnitt rund 90 Prozent.

Raketenalarm gab es in der Nacht unter anderem in der Küstenmetropole Tel Aviv. Medienberichten zufolge ertönten erstmals auch im Norden des Landes die Alarmsirenen. Polizeiangaben zufolge wurden mehrere Menschen verletzt in Spitäler gebracht. Berichte von Verletzten kamen aus Petah Tikva. In der im Osten von Tel Aviv gelegenen Stadt habe es einen direkten Treffer gegeben, wie Reuters mit Verweis auf die Polizei mitteilte.

Raketen werden von Gaza aus abgeschossen
AP/Khalil Hamra
In der Nacht auf Donnerstag wurden aus dem Gazastreifen erneut Dutzende Raketen Richtung Israel abgefeuert

Über 1.600 Raketen abgefeuert

Seit Montagabend beschießen militante Palästinenser Israel massiv mit Raketen, es wurden bereits weit über tausend Geschoße abgefeuert. Seit Beginn des Beschusses aus dem Gazastreifen starben bisher sieben Menschen in Israel, sechs Zivilisten und ein Soldat, wie Militärsprecher Jonathan Conricus am Donnerstag mitteilte. Seinen Angaben zufolge seien bisher insgesamt über 1.600 Raketen aus dem Gazastreifen abgefeuert worden. Rund 400 davon seien noch in dem Küstengebiet niedergegangen.

Zur Größe des Raketenarsenals der militanten Palästinenser äußerte sich der Sprecher nicht konkret. Sie hätten einen sehr großen Bestand gehabt. Noch immer verfügten sie über eine beträchtliche Menge. Israel macht die im Gazastreifen herrschende islamistische Hamas für jegliche Angriffe aus dem Gazastreifen verantwortlich. Die Palästinensergruppe wird von Israel und der EU als Terrororganisation eingestuft.

Wieder Raketenangriffe in Israel

In Israel gab es erneut Raketenangriffe auf viele Städte – zahlreiche Menschen wurden verletzt. Auch das israelische Militär hat den Gazastreifen wieder aus der Luft angegriffen und strategisch wichtige Gebäude der Hamas zerstört.

„600 Ziele“ im Gazastreifen beschossen

Die israelische Armee reagiert auf den Beschuss mit dem umfangreichsten Bombardement seit dem Gaza-Krieg des Jahres 2014. Laut dem Gesundheitsministerium im Gazastreifen kamen bereits 65 Menschen ums Leben, mehrere hundert wurden verletzt.

Conricus sagte, das israelische Militär habe bisher rund 600 Ziele in dem Gazastreifen beschossen, darunter Stätten zur Produktion von Raketen und Lagerräume. Angegriffen worden sei zuletzt auch ein Tunnel, der Kämpfern unter anderem als Versteck gedient habe. Dieser sei unter einer Schule in besiedeltem Gebiet gegraben worden.

Zerstörte Straße in Gaza-Stadt
Reuters/Suhaib Salem
Israelischen Angaben zufolge wurden über 600 Ziele im Gazastreifen angegriffen

Medienberichten zufolge wurden auch das Finanzministerium im Herzen der Stadt Gaza sowie eine Bank der Hamas zerstört. Das Militär teilte mit, Kampfflugzeuge hätten eine Reihe strategisch wichtiger Gebäude sowie ein Marinekommando angegriffen. Außerdem tötete Israel bei Angriffen mehrere hochrangige Vertreter der Hamas.

Tim Cupal (ORF) berichtet aus Tel Aviv

ORF-Korrespondent Tim Cupal analysiert die Eskalation im Nahen Osten.

Netanjahu: Einsatz in Gaza „wird einige Zeit dauern“

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu stimmte die Bürger des Landes erneut auf einen längeren Einsatz im Gazastreifen ein. „Es wird einige Zeit dauern, aber mit großer Entschlossenheit, sowohl defensiv als auch offensiv, werden wir unser Ziel erreichen – die Ruhe im Staat Israel wiederherzustellen“, sagte er am Donnerstag bei einem Besuch der Raketenabwehreinheit. Die Verteidigung durch das System „Iron Dome“ (Eisenkuppel) gebe Israel Raum für Angriffe, so Netanjahu.

Angst vor neuem Krieg

International wächst die Besorgnis über die Eskalation des Konflikts. Die Vereinten Nationen warnten den UNO-Sicherheitsrat laut Diplomaten vor einem großen Krieg. Die USA haben eine gemeinsame Stellungnahme des mächtigsten UNO-Gremiums zur eskalierenden Gewalt in Nahost Kreisen zufolge am Mittwoch noch blockiert.

Angesichts der Gewalt zwischen Israel und den Palästinensern haben sich UNO-Generalsekretär Antonio Guterres und Russlands Außenminister Sergej Lawrow nach einem Treffen in Moskau für ein Zusammenkommen des Nahost-Quartetts ausgesprochen. Die Gruppe besteht aus den USA, Russland, den Vereinten Nationen und der EU.

US-Außenminister Antony Blinken sagte am Mittwoch in Washington, er habe den zuständigen Spitzendiplomaten Hady Amr darum gebeten, umgehend in die Region zu reisen und sich mit führenden Vertretern beider Seiten zu treffen. US-Präsident Joe Biden äußerte in einem Telefonat mit Netanjahu den Wunsch nach einem Ende der Gewalt, betonte aber zugleich: „Israel hat das Recht, sich selbst zu verteidigen.“ Netanjahu teilte dem US-Präsidenten nach Angaben seines Büros mit, dass Israel seine Militärschläge gegen die Hamas fortsetzen werde.

Ägyptische Delegation in Tel Aviv eingetroffen

Weiter Vermittlungsbemühungen gibt es aus Ägypten. Eine ägyptische Delegation traf am Donnerstag in Tel Aviv ein, um auf eine Feuerpause zwischen beiden Seiten hinzuarbeiten, wie es aus Sicherheitskreisen hieß. In den Gesprächen solle es auch um Wohnungsräumungen gehen, die palästinensischen Familien in Jerusalem drohten.

Am Mittwoch führte eine Delegation aus Kairo bereits Gespräche mit der Hamas und der militanten Gruppe Islamischer Dschihad im Gazastreifen. Ägypten ist im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern schon mehrfach als arabischer Vermittler aufgetreten.

Zusammenstöße in israelischen Städten

Die Lage verschärfte sich am Mittwoch durch schwere Zusammenstöße jüdischer und arabischer Einwohnerinnen und Einwohner unterdessen auch in mehreren israelischen Städten. Trotz einer Ausgangssperre flammten Unruhen in der Stadt Lod erneut auf. Laut Medienberichten wurde in der Stadt ein Polizeifahrzeug in Brand gesetzt.

Demonstranten in Hebron, Westjordanland
Reuters/Mussa Issa Qawasma
Aus mehreren Städten werden Zusammenstöße gemeldet

In Akko im Norden des Landes wurde nach Angaben des israelischen Fernsehens ein jüdischer Einwohner von arabischen Demonstranten lebensgefährlich verletzt. In Bat Jam südlich von Tel Aviv attackierten ultrarechte Juden laut Medienberichten arabische Geschäfte.

Auch in Haifa und Tiberias gab es Zusammenstöße. Das israelische Fernsehen berichtete, Regierungschef Netanjahu wolle Soldaten in die Städte entsenden, um die Ruhe wiederherzustellen. Verteidigungsminister Benni Ganz habe das jedoch abgelehnt.

Präsident Reuven Rivlin verurteilte die Gewalt auf Israels Straßen. Sie sei „eine echte Bedrohung für die israelische Souveränität“. Die gemäßigte Mehrheit von Juden und Arabern müsse sich für Rechtsstaatlichkeit und eine gemeinsame Existenz einsetzen, forderte Rivlin. „Wir dürfen nicht zulassen, dass Extremisten den Ton angeben.“

Keine AUA-Flüge nach Tel Aviv

Austrian Airlines (AUA), Lufthansa und British Airways setzen angesichts der jüngsten Eskalation im Nahost-Konflikt indes alle Flüge von und nach Tel Aviv aus. „Aufgrund der weiterhin erhöhten Sicherheitslage in Israel wird Austrian Airlines die Flüge nach Tel Aviv bis einschließlich 14. Mai aussetzen. Die geplanten Flüge am 13. und 14. Mai werden gestrichen“, teilte die AUA am Donnerstag mit. Zuvor hatten auch die AUA-Mutter Lufthansa und British Airways ihre Fluge nach Tel Aviv annulliert.