Pikante Briefe aufgetaucht: Papst Benedikt XVI. in großer Sorge um seine Kirche

Benedikt XVI. an seinem Schreibtisch in der Sommerresidenz in Castel Gandolfo im Sommer 2010

Benedikt XVI. an seinem Schreibtisch in der Sommerresidenz in Castel Gandolfo im Sommer 2010

Foto: picture alliance / dpa
Von: Von Nikolaus Harbusch

Vor fünf Jahren trat Papst Benedikt XVI. (91) zurück.

Der Missbrauchsskandal lässt diesen überraschenden Schritt in neuem Licht erscheinen. Jetzt sind Briefe des emeritierten Papstes aufgetaucht, die schockierend sind und Kirchenhistoriker aufhorchen lassen werden. Die BILD vorliegenden Schreiben zeigen einen um den Zustand der Kirche tief besorgten Benedikt XVI.

Der Briefverkehr stammt aus dem November 2017. Gerichtet sind die Briefe an einen deutschen Kardinal. Dieser hatte sich in einem Interview kritisch über Benedikts Rücktritt geäußert.

Hauptkritikpunkt: Die Kirche sei durch seinen Rücktritt in eine schwere Krise geschlittert, außerdem sei ein Papst-Rücktritt in der Kirchengeschichte beispiellos und habe der Kirche schweren Schaden zugefügt.

Der zurückgetretene Papst reagierte mit einem Wut-Brief. Dort heißt es, an den ihn kritisierenden Kardinal gerichtet: „Den tief sitzenden Schmerz, den Ihnen mit vielen anderen das Ende meines Pontifikats zugefügt hat, kann ich sehr wohl verstehen. Aber der Schmerz ist bei manchen – wie mir scheint – auch bei Ihnen zum Zorn geworden, der nun nicht mehr bloß den Rücktritt betrifft, sondern sich immer mehr auch auf meine Person und mein Pontifikat im ganzen ausdehnt.

Auf diese Weise wird nun ein Pontifikat selbst entwertet und in die Trauer über die Situation der Kirche von heute eingeschmolzen.“ Er wies den Kardinal scharf zurecht: „Wenn Sie einen besseren Weg wissen (gemeint ist der Rückritt, Anm. d. Red.) und daher glauben, den von mir gewählten verurteilen zu können, so sagen Sie es mir bitte.“

Es gebe sehr wohl Beispiele für Papst-Rücktritte. Er nennt das Beispiel Papst Pius XII. (1876–1958), der im Jahr 1944 Vorkehrungen traf, um durch einen Rücktritt einer „Verhaftung durch die Nazis“ zuvorzukommen. Pikant: Der Vergleich mit einem sich von Nazis bedroht sehenden Papst. Durch wen fühlte Benedikt sich bedroht?

„Betet für mich, dass ich nicht furchtsam vor den Wölfen fliehe”, hatte Benedikt XVI. bereits bei Amtsantritt gesagt. Wer sind die Wölfe? Der Philosophie-Professor und Vatikan-Kenner Armin Schwibach (53) zu BILD:

„Mit den Wölfen meint er wohl das Netzwerk hochrangiger Kirchenfürsten, die im Vatikan ein System von Macht und Machtmissbrauch geschaffen hatten, dem er sich nicht gewachsen sah.“

Fürchtete Benedikt sogar von Handlangern dieses Netzwerks vergiftet zu werden? Im Oktober 2012 soll der Präsident des Bayerischen Landeskriminalamtes, wie der „Spiegel“ im Mai 2015 berichtete, nach Rom gereist sein, um für den Papst Lücken bei der Speisenzubereitung zu untersuchen. Noch pikanter: Als der vom Papst kritisierte Kardinal angesichts der nach dem Rücktritt verunsicherten Kirche zurückschrieb: „Möge der Herr seiner Kirche zu Hilfe kommen“ antwortete Benedikt nochmals – mit einem bemerkenswerten Satz.

Benedikt schrieb: „Beten wir lieber darum, wie Sie es am Ende Ihres Briefes getan haben, dass der Herr seiner Kirche zu Hilfe kommt.“ War der zurückgetretene Papst also der Meinung, dass die Kirche unter seinem Nachfolger in eine Krise geraten sei, in der nur noch beten hilft?

Ausriss aus dem Schreiben an den Kardinal vom November 2017, signiert mit Benedikt XVI.

Ausriss aus dem Schreiben an den Kardinal vom November 2017, signiert mit Benedikt XVI.

Benedikts Nachfolger, Papst Franziskus, ist derzeit mit Vorwürfen konfrontiert, er habe einen mächtigen US-Kardinal gefördert, obwohl er wusste, dass Benedikt diesen wegen sexueller Vergehen bestraft hatte.

Der Chefredakteur der katholischen Nachrichtenagentur (KNA) Ludwig Ring Eifel (58) zu BILD: „Die Briefe geben faszinierende Einblicke ins Denken von Benedikt XVI. – er ist ganz offenbar sehr besorgt über den Zustand der Kirche.“ Benedikts Privatsekretär Erzbischof Georg Gänswein (62) wollte zu den Briefen gegenüber BILD keinen Kommentar abgeben.

Kürzlich wählte er für die Lage der Kirche, die von Missbrauchsskandalen und systematischer Vertuschungen erschüttert wird, einen Vergleich mit den Terroranschlägen vom 11. September in New York: Die Kirche erlebe „gerade ihr eigenes 9/11“.

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