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Ellis Island: Warten an der Tür

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Ellis Island Das Pförtnerhaus der Neuen Welt

Zwölf Millionen Menschen strömten seit 1892 über Ellis Island in die USA. Für die meisten war die legendäre Einwanderungsinsel die Tür zum Glück, für andere die Endstation ihres Lebens. Seit Jahrzehnten verfällt ein Teil des Nationaldenkmals, aber genau deshalb ist es immer noch ein Paradies - für Fotografen.
Von Linus Geschke

Mit seinen vier trutzigen Türmen sieht das große Backsteingebäude fast wie eine Festung aus. Doch zwischen 1892 und 1954 war es für Millionen von Einwanderern das Tor ins gelobte Land, der letzte Haltepunkt vor der Endstation Sehnsucht. Wer es bis Ellis Island geschafft hatte, hatte das Schlimmste zumeist hinter sich: Es waren politisch Verfolgte, Menschen, die in ihren Heimatländern ihre Religion nicht ausüben durften und solche, die schlicht vor der bitteren Armut flohen. Sie alle setzten ihr letztes Geld und ihre gesamten Hoffnungen auf drei Buchstaben: USA.

Bis zu 12.000 Menschen täglich erreichten die kleine Insel im Mündungsgebiet des Hudson River zwischen New York und New Jersey. Sie alle waren Schiffspassagiere der dritten Klasse oder solche, die die lange Überfahrt zusammengepfercht auf den Zwischendecks der Ozeanliner verbracht hatten - wer sich eine Passage erster oder zweiter Klasse leisten konnte, durfte direkt am Übersee-Kai in Manhattan von Bord gehen.

Das erste, was die Ankömmlinge von ihrer neuen Heimat sahen, war eine riesige Durchgangshalle, die Platz für 5000 Menschen bot. In endlosen Schlangen standen die Einwanderer vor den Inspektoren, zeigten ihre Papiere vor, ließen sich von einem Arzt begutachten und beantworteten Fragen wie "Beabsichtigen Sie, den amerikanischen Präsidenten zu ermorden?" Mit ihren Habseligkeiten in der Hand ließen sie das Prozedere meist stillschweigend über sich ergehen, vereint in der Hoffnung, die Tür am Ende der Halle aufstoßen zu dürfen, auf der in großen Lettern "Push to New York" stand.

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Ellis Island: Warten an der Tür

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Für manchen blieb diese Tür für immer verschlossen. Gut zwei Prozent der Anträge wurden abgelehnt, von Kranken, Analphabeten, Kriminellen. Manche Familie musste entscheiden, ob sie ihr krankes Kind allein in die alte Heimat zurückschicken sollte oder ob sie gemeinsam den Traum von der neuen Heimat aufgaben. Eine Entscheidung, die viele gar nicht mehr hatten: Ihnen fehlten schlicht die Mittel, um eine Rückreise zu finanzieren. Für diese Menschen wurde aus der Insel der Hoffnung eine Insel der Tränen, sagt Vincent DiPietro vom Ellis Island Museum.

Aufstieg und Ende

Mit der Irin Annie Moore begann am 1. Januar 1892 der Aufstieg von Ellis Island zum Synonym für amerikanische Immigration, der mindestens zwölf Millionen Menschen folgten. Und es gibt keine Szene, die die Ankunft im frühen 20. Jahrhundert so gut beschreibt wie jene Sequenz aus dem zweiten Teil des Mafiaepos "Der Pate", in der der junge Vito Andolini verloren vor den Inspektoren steht. Vito Andolini aus Corleone steht auf seinem handgeschriebenen Schild geschrieben - der Beamte macht daraus ein Vito Corleone und erschafft somit den Namen des berühmtesten Mafiapaten der Filmgeschichte. Ein Vorgang, der auch in der Realität nicht selten war: Aus Michele wurde häufig ein Michael, aus Josef Grün Joseph Green.

1907 war mit 1,2 Millionen Einwanderern die Spitze erreicht, ab 1924 ging es dann deutlich bergab. Die Einwanderungsbestimmungen wurden aufgrund einer Quotenregelung wesentlich strenger, während gleichzeitig die Armut in Europa abnahm. Arne Peterssen, ein norwegischer Seemann, war im November 1954 der Letzte, der über Ellis Island in die USA immigrierte. Neben den rückläufigen Einwandererzahlen war vor allem eine weitreichende Veränderung im Reisewesen dafür verantwortlich. Die Zuwanderer, die jetzt noch kamen, reisten nicht mehr mit dem Schiff an, sondern im Flugzeug.

Zeiten des Verfalls

Verborgen vor der Öffentlichkeit, begann die Zeit ihre Reise mit den imposanten Gebäuden, an deren Ende der Zerfall stand. Sie wurden geplündert, mutwillig zerstört und von der Natur in Besitz genommen. Glas splitterte, der Putz bröckelte, Dächer fielen in sich zusammen und die Insel, deren ursprüngliche Größe einst durch Landaufschüttung auf das Achtfache anwuchs, geriet in der öffentlichen Wahrnehmung zusehends in Vergessenheit.

Erst 1965 entsann man sich der historischen Stätte und verlieh ihr den Status eines Nationaldenkmals. Man erneuerte ein wenig und besserte aus, dies allerdings nur halbherzig und mit wenig Begeisterung - gerade der republikanische Kongress wollte kein Geld in eine Institution stecken, die wie keine zweite für die mittlerweile ungewollte Immigration stand. 1982 dann, fast drei Jahrzehnte nach Schließung, wurde die Öffentlichkeit über den desolaten Zustand Ellis Islands informiert.

Spendenaufrufe und Stiftungen führten zu enormen Einnahmen. Rund 40 Prozent aller lebenden US-Amerikaner haben Vorfahren, die über Ellis Island ins Land kamen, und viele erinnerten sich an dieses Erbe: Die Renovierung des Hauptgebäudes für 156 Millionen Dollar ist bis dato die teuerste, die die Vereinigten Staaten je ausführte. Es waren lohnende Investitionen: Seitdem das "Ellis Island Museum" am 10. September 1990 eröffnet wurde, zieht es jährlich rund zwei Millionen Besucher an.

Doch während dieser Teil der Insel in neuem Glanz erstrahlte, blieb ein Großteil von Ellis Island weiterhin sich selbst überlassen. Insbesondere der südlich gelegene Inselteil, der in seinen Gebäudekomplexen unter anderem die Wäscherei und das Hospital beherbergte, strahlt heute eine Melancholie des Zerfalls aus, die auf den Betrachter ergreifend wirkt. Zwischen Ventilatoren, die sich seit sechs Jahrzehnten nicht mehr drehen und Waschbecken, in denen Sand und Laub liegen, kann man es wohl am besten spüren: Die Hoffnungen und Tränen, die mit Ellis Island verbunden waren - "Push to New York".

Mehr Informationen zum Thema erhalten Sie im Deutschen Auswandererhaus Bremerhaven.