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Gesundheit Schamanen und Co.

Zum Arzt? Viele vertrauen heute ihrem Heiler

Mit Homöopathie, Geistheilen oder orthomolekularer Medizin lässt sich viel Geld verdienen Mit Homöopathie, Geistheilen oder orthomolekularer Medizin lässt sich viel Geld verdienen
Mit Homöopathie, Geistheilen oder orthomolekularer Medizin lässt sich viel Geld verdienen
Quelle: Getty Images/Ikon Images
Viele Deutsche wollen von der Schulmedizin nichts mehr wissen. Sie glauben an irrationale Theorien, bizarre Behandlungsmethoden – und finanzieren damit eine Industrie von selbsternannten Wunderärzten.

Das erste Angebot, über das man sich informieren kann, ist ein Jenseitsgespräch. Eine Unterhaltung mit einem Verstorbenen kann Spannungen lösen und zu größerem Wohlbefinden führen, jedenfalls bei den Lebenden. Eva-Maria Bartl wird das Jenseitsgespräch durchführen. Sie sitzt an einem kleinen Tisch im Untergeschoss der Stadthalle Köln-Mülheim, in der gerade die Messe „Spiritualität und Heilen 2016“ begonnen hat, und schließt ihre Augen.

Ein Jenseitsgespräch kostet bei Eva-Maria Bartl normalerweise hundert Euro. Wenn sie auf Messen einen Vortrag über ihre Arbeit hält, sind kurze Kontakte kostenlos. Eine Frau aus der ersten Reihe im Publikum hat Bartl gebeten, einen Mann im Jenseits zu suchen, der ihr mal viel bedeutet hat.

Es handelt sich um einen verstorbenen Wunderheiler aus Kroatien, der in der Szene gewisse Berühmtheit genießt. „Ist egal, wer das ist", sagt Eva-Maria Bartl. Sie trägt ein weites, dunkles Gewand, ihre Stimme ist angenehm weich. „Du kannst auch nach Jesus fragen.“

Es ist ein Freitag im April und tatsächlich das Jahr 2016. Die Messe wird drei Tage dauern, Eintritt sieben, am Wochenende elf Euro. In Deutschland findet im Frühjahr und Herbst an fast jedem Wochenende in einer größeren Stadt eine esoterische Messe statt. Messe im Sinne von Branchentreffen.

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Die Veranstaltungen heißen „Lebensfreude“, „Grenzenlos“ oder „Happiness“, so ausufernd wie ihre Namen ist ihr Angebot. Es geht um die ganz großen Themen. Gesundheit, Glück, oder, wie es auf dem Flyer von Eva-Maria Bartl heißt, der Frau mit Verbindung ins Jenseits, um „Seelenwellness“.

Anhänger des Irrationalen

Es gibt 43.000 Heilpraktiker und Homöopathen in Deutschland. Das schätzt das Statistische Bundesamt. Vielleicht sind es auch mehr. Wie viele Menschen sich in Deutschland als Medium, Schamane, Handaufleger betätigen, erfasst niemand. Alle bedienen eine Kundschaft, die von der Schulmedizin nichts mehr wissen will. Es sind Anhänger des Irrationalen, Menschen, die ständig vermuten, hinters Licht geführt zu werden. Abgezockt und betrogen, von Pharmakonzernen, korrupten Ärzten, von gekauften Forschern und Journalisten.

Es gebe mehr als 15.000 Geistige Heiler, vermutet Harald Wiesendanger, der Philosophie studiert und als Publizist gearbeitet hat, und eine Vermittlungsstelle für Geistheiler und andere „unkonventionelle Therapeuten“ leitet. Wiesendanger gehört zur Szene, aber selbst er sagt: „Vor mehr als 95 Prozent der Anbieter muss man die Menschen dringend in Schutz nehmen.“

Wer annimmt, im Zeitalter der Rationalität und Aufklärung zu leben, kann sich auf einer Heilermesse vom Gegenteil überzeugen. Oder auch in einer Schule, die Heilpraktiker ausbildet.

Anousch Mueller hat in Berlin eine solche Schule besucht. Ihre Dozenten warnten sie vor dem Impfen von Kindern, vor gekochtem Essen, vor Chemotherapien und dem Trinken von Milch. Die Dichte an Verschwörungstheorien, die Mueller zu hören bekam, war so hoch wie sonst nur auf Pegida-Demonstrationen.

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Mueller ist dann doch nicht Heilpraktikerin geworden, sondern hat ein Buch über die Branche geschrieben, „Unheilpraktiker“ erscheint am 16. Mai (Riemann-Verlag). Das Buch ist ihr Versuch, der Irrationalität etwas entgegen zu setzen, sagt sie.

Daran erkennt man Scharlatane: Sie halten sich für bessere Ärzte.
Harald Wiesendanger, Gründer der Internationalen Vermittlungsstelle für herausragende Heiler

Auf der Messe in der Stadthalle Köln-Mülheim ist inzwischen der verstorbene kroatische Wunderheiler eingetroffen. „Ich bekomme ein klares Ja. Er ist hier“, sagt Eva-Maria Bartl, die Augen immer noch geschlossen.

Bevor sie vor vier Jahren selbst in die Heilerszene einstieg, lebte Bartl mit Mann und drei Kindern auf einem Bauernhof in Bayern. Mit 44 wurde sie Witwe. Es folgten ein Zusammenbruch und die Öffnung ihrer Seele. Genauer könne sie es nicht erklären, sagt sie. Sie spürte, dass die geistige Welt zu ihr sprach, am Anfang sei es nicht leicht gewesen, damit zurecht zu kommen.

Dann ging es offenbar doch. Sie bietet auch Heil- und Schutztexte an, die positive Energie verströmen sollen, wenn man sie liest. Die Texte werden ihr von oben diktiert, das funktioniert nur, wenn sie sich zu Hause an den Schreibtisch setzt, und kosten ebenfalls hundert Euro. Man kann sich bei Bartl aber auch nur danach erkundigen, „was die eigene Katze so denkt“. Sie hat auf der Messe einen Stand, gleich am Eingang, gegenüber von den singenden Schamanen.

Die Frau aus dem Publikum möchte von ihrem verstorbenen Guru erfahren, wie es in ihrem Leben weiter gehen soll. Der Guru lässt ausrichten, sie sei auf dem richtigen Weg, müsse aber weiter an sich arbeiten. Man ist ein wenig enttäuscht, aber die Frau beginnt zu weinen. Vor Glück.

Zu dem Vortrag sind noch ein Dutzend Frauen und ein Mann gekommen. Sie sehen vollkommen normal aus. Das aber ist ein Gedanke, der einen hier sofort als Außenstehenden entlarven würde, als Ungläubigen, falls Eva-Maria Bartl, die alles sehen und spüren kann, ihn bemerken würde.

Jenseits der Wissenschaft

Esoterik, das war etwas für Hippies, für Spinner. Der Begriff bedeutet so viel wie: eine Lehre für Eingeweihte. Es geht um Methoden der Heilung oder allgemeinen Lebenserleichterung, deren Wirkweise man, wie es oft heißt „nicht genau erklären kann". Oder mindestens nicht mit wissenschaftlichen Methoden belegen.

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Längst scheint einem, wenn man in einer deutschen Großstadt lebt, die halbe Welt eingeweiht. Eine Freundin geht zum Coach, der mit einer Klopftechnik ihre emotionale Blockaden lösen will. Eine Bekannte bestellt Trinkwasser in blauen Glaskrügen nach Hause, das auf schonende Weise mit positiven Energien aufgeladen sein soll. Eltern tragen Babys zu Osteopathen, die Geburtstraumata lösen sollen. Yogalehrer atmen Energiebahnen frei.

Apotheker empfehlen, egal ob man nach einer Wundsalbe oder einem Erkältungsmittel fragt, „erstmal etwas Homöopathisches“. Medikamente also, in denen kein echter Wirkstoff enthalten ist. An die man, nach allem, was die Wissenschaft weiß, glauben muss, wenn man überhaupt auf einen Effekt hoffen will.

Nach allem, was die Wissenschaft weiß – aha, sagen die Anhänger des Irrationalen bei solchen Sätzen. Schnell folgt der Vorwurf, das sei dann leider „schlecht recherchiert“. Mit diesen Worten hat Anousch Mueller hat das Schlusswort ihres Buchs überschrieben, mit dem Vorwurf rechnet sie fest. Im Anhang hat sie ihre Quellen penibel aufgelistet. Sie ist vorbereitet.

Vielleicht hilft ja, dass Anousch Mueller eigentlich perfekt in die Szene passt, die sie mit dem Buch angreift. Sie sagt das selbst, in einem Café in Berlin-Pankow, in dem junge Mütter an Holztischen Kräutertee trinken. Mueller trinkt Kräutertee, sie ist 36, hat einen kleinen Sohn, bevor sie an Heilpraktikerschule ging, studierte sie Literatur und schrieb einen Roman.

Vor allem aber hat Mueller ein rätselhaftes Leiden, eine Krankheit ohne Diagnose, die bisher jeden Arzt überfordert hat. Mueller hat manchmal das Gefühl, dass ein Gewicht auf ihrem Brustkorb lastet und ihr die Luft abdrückt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie bei einem Heilpraktiker landete.

Ist es irrational, auf andere Angebote auszuweichen, wenn Ärzte nicht weiterwissen? Eine Krankheit greift nicht nur den Körper, sondern auch die Identität des Patienten an, „Krankheit bedroht die Unversehrtheit eines Menschen und seine Verbindung zur Welt", schreiben die US-amerikanischen Mediziner Ted Kaptchuk und David M. Eisenberg in einem Essay über „Die Anziehungskraft der Alternativmedizin“.

Heiler offerieren Handlungsmöglichkeiten, wo Ärzte keine mehr sehen. Noch wichtiger aber: Sie bieten Sinn, eine Verbindung zu vermeintlichen höheren Kräften, und „ordnen die Krankheitserfahrung neu“. Der Text erschien 1998. Kaptchuk ist inzwischen Medizin-Professor in Harvard und Vorreiter der internationalen Forschung zum Placeboeffekt. Der Glaube – an Heilung, Rituale, die Einnahme von Mitteln – kann ein starker Wirkstoff sein und Symptome lindern. Das haben Kaptchuk und andere belegt.

Ein Hauptschulabschluss reicht

Anousch Mueller versuchte ihre Atemnot mit der „Emotional Freedom Technique“ zu beseitigen. Sie beklopfte Punkte an ihren Handkanten, um die „Störung im Energiesystem ihres Körpers“ zu beheben, die ein Heilpraktiker bei ihr diagnostiziert hatte. Ging es ihr besser? Sie war sich unsicher. Aber sie mochte den Heilpraktiker, seine Zuversicht machte ihr Mut.

Heilpraktiker, sind das nicht eine Art Ersatzärzte, nur eben mit mehr Zeit für ihre Patienten und sanfteren Methoden? Anousch Mueller, die sich schon immer für Aufbau und Funktionsweise des menschlichen Körpers interessiert hatte, beschloss, selbst so ein Ersatzarzt zu werden. Es schien auch erstaunlich einfach.

Wer als Heilpraktiker arbeiten will, muss die Heilpraktikerprüfung bei einem Gesundheitsamt bestehen. 60 Multiple-Choice-Fragen zu Anatomie, Krankheitsbildern, Hygiene, bei bis zu 15 darf man sich irren, und eine kurze mündliche Prüfung. Man muss keine medizinische Ausbildung vorweisen. Ein Hauptschulabschluss reicht.

Viele Heilpraktiker haben aber eine Heilpraktikerschule besucht. Die Ausbildung von Anousch Mueller dauerte zwei Jahre. Der Anatomieunterricht war wirklich gut, sagt sie. Aber die Verschwörungstheorien fingen an, sie zu nerven. Und die ständig wiederholte Erklärung, „wir können nicht alles wissen“. Ihr reichte das nicht.

Wenn sie aus der Schule kam, suchte Mueller im Internet nach Belegen für die Theorien ihrer Lehrer, und stieß auf Webseiten von Skeptikern. Sie lebte zwischen den Welten, aber nach der Ausbildung entschied sie sich. Sie meldete sich nicht zur Heilpraktikerprüfung an, sondern begann, ihre Zweifel und Recherchen aufzuschreiben, erst in einem Artikel, nun in dem Buch.

Eine mühselige Sache

Seit sie die Seiten gewechselt hat, muss sie ständig diskutieren, mit Bekannten auf Facebook, mit Müttern auf dem Spielplatz, sogar mit Ärzten. Eine Hausärztin in Pankow wollte ihr homöopathische Lutschtabletten gegen eine virale Halsentzündung verschreiben, die Ärztin arbeitete mit einem Schamanen zusammen.

Und als Mueller in die Klinik kam, um ihren Sohn zur Welt zu bringen, reichte ihr die Frau an der Anmeldung ein Glas Wasser und zwei Kügelchen. Globuli. Schon wieder Homoöpathie. In einem katholischen Krankenhaus in Berlin. „Ich habe ein bisschen die Sorge, dass das mit der Aufklärung eine mühselige Sache ist“, sagt Anousch Mueller.

Ach, denkt man, wenn man über die Messe „Spiritualität und Heilen“ in Köln schlendert, was ist schon Aufklärung? Es riecht, nicht unangenehm, nach Weihrauch. Aufklärung ist möglich, über das eigene, frühere Leben zum Beispiel, Stichwort Reinkarnation.

In kleinen Zelten arbeiten Wahrsagerinnen und Kartenleser. Eine halbe Stunde kostet zwischen fünfzig und hundert Euro. Man könnte sich eine Gesichtscreme „mit Informationen aus Heilkräutern" oder einen Kristall „zur Gesundheitsprophylaxe" kaufen, oder kostenlos weiter am umfangreichen Vortragsprogramm teilnehmen.

Erst seit den 20er-Jahren war es sicherer, zum Arzt zu gehen, als nicht zum Arzt zu gehen.
Robert Jütte, Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung

In Vortragsraum 1 erklärt Sandy Kühn, eine Stimmschamanin aus Thüringen: „Jede Zelle des Körpers schwingt in drei Haupttönen. Eine Krebszelle aber, die macht nur Krach.“ Sandy Kühn jedenfalls singt sehr schön. Tiefe, schwingende Töne. Ihr schamanischer Name ist Papajeahja, die roten Haare reichen ihr bis zum Bauch, dem Teil des Körpers also, in dem viele Menschen ihrer Erkenntnis nach „energetischen Müll“ angesammelt haben.

Sandy Kühn reinigt das bei ihren Behandlungen. „Für mich ist Heilung immer, etwas in Balance bringen“, sagt sie. Eine Heilung sei immer eine Heilung für die ganze Welt. Alles hänge mit allem zusammen. Vermutlich hängen auch die Sätze der Schamanin auf eine geheime Weise miteinander zusammen. Wir können nicht alles wissen.

Man bleibt sitzen, schwingt nach, und schon baut David Vosen ein Flipchart auf. Vosen hat nicht eine, sondern fünf schamanische Ausbildungen, außerdem ist er „systemischer Coach" und lernt gerade für die Heilpraktikerprüfung. Er ist der ehrgeizige Typ Heiler, schließlich hat er eine Karriere als Vertriebsleiter hinter sich.

„32.000 netto, im Monat“, sagt er, dicke Rolex, Maßanzüge, „aber ich hab mich null selbst geliebt“. Jetzt trägt er eine grüne Leinenjacke und Turnschuhe und malt auf sein Flipchart das Untere, Mittlere und Hohe Selbst.

Im Unteren Selbst sind Minus-Informationen gespeichert. Schlechte Erfahrungen aus der Kindheit oder das Unglück der Eltern. Man könne bei Vosen lernen, das umzuprogrammieren. „Der Schamane ist in alten Kulturen der Coach“, sagt er. Das ist kein schlechter Satz.

„Es gibt die Heilkunde und die Heilkunst“

Robert Jütte leitet das Institut für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung in Stuttgart. Die alten Kulturen liegen in Deutschland etwa 150 Jahre zurück. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Titel „Arzt“ geschützt und an eine Approbation gebunden. Laienheiler zogen weiter umher und boten ihre Dienste an.

„Ab wann war es sicherer, zum Arzt zu gehen, als nicht zum Arzt zu gehen?“ Diese Frage sei interessant, sagt Jütte. Seine Antwort: „Seit den 1920er Jahren.“ Die Antisepsis setzte sich durch, erste Impfstoffe, es folgten die Vorläufer der Antibiotika, in den 1940er Jahren dann Penicillin, „eine Schneise für die naturwissenschaftliche Medizin.“

Es sei aber nicht überraschend, das ab den 1960er Jahren die Heiler wieder da waren. Und dass sie, bei allen, riesigen Fortschritten der Medizin, der steigenden Lebenserwartung, immer noch da sind.

Die Medizin ist heute fast eine reine Naturwissenschaft, sagt Jütte. Aber das sei Medizin eben nicht nur. „Es gibt die Heilkunde und die Heilkunst.“ Dass die Beziehung zwischen Arzt und Patient wichtiger Bestandteil von Behandlungen ist, wird erst langsam wieder entdeckt und neu erforscht. Es heißt jetzt „sprechende Medizin".

Heiler dürfen keine Heilung versprechen

Beim „Geistigen Heilen“ wird mal gesprochen und mal nicht. Manche Heiler seien keine großen Unterhalter, sondern legen nur Hände auf. Das erklärt Harald Wiesendanger. Er begann, die Sache als Journalist zu betrachten, und konnte sich bald nicht mehr entziehen. Zweimal sei er per Fernheilung über Nacht von schweren Erkältungen befreit worden, vermutet er, schlimmere Krankheiten habe er zum Glück nicht. Auch Wiesendanger bewegt sich in der Welt der Irrationalität, aber er versucht, diese Welt zu ordnen.

Wiesendanger hat vor zehn Jahren die „Internationale Vermittlungsstelle für herausragende Heiler“ gegründet. Er veröffentlich Listen, auf denen nur Heiler stehen, die sich an einen „Ehrenkodex“ halten. Der erste Punkt lautet: „Ich verspreche nichts – keine Linderung oder gar Heilung.“ Die Heiler dürfen nicht von Arztbesuchen oder ärztlichen Therapien abraten. Also auch nicht von Impfungen. Nicht von Chemotherapien.

Sie dürfen keine Medikamente empfehlen und keine Diagnosen stellen. „Daran erkennt man Scharlatane: Sie halten sich für bessere Ärzte“, sagt Wiesendanger. Seine Vermittlungsstelle schickt regelmäßig Undercover-Tester zu den Heilern, die auf der Liste stehen. Die Leute geben sich als Patienten aus, und schauen ob die Heiler den Kodex einhalten.

Moment mal, merken Heiler nicht, dass es gar keine echten Patienten sind? Ach was, sagt Wiesendanger. Heiler sind keine Hellseher. Was nach Einhaltung des Kodex übrig bleibt, ist Glauben. Geistiges Heilen ziele auf „seelisches Ganzsein“, das glaubt Wiesendanger. Von dem Besuch einer Heilermesse wie der in Köln rät er dringend ab.

Strahlung in der Luft

Mit dem Ehrenkodex von Wiesendanger käme man in der Stadthalle Köln-Mühlheim nicht allzu weit. Schon in der Ankündigung einiger Redner steht: „Spontanheilungen während des Vortrags sind möglich!“ Zum Beispiel bei Diana Eickhoff, die am späten Nachmittag im Vortragsraum 4 ein Wundermittel an ihre Zuschauer verteilt.

Vorher aber fragt sie: „Was denkt ihr, was euch krank macht?“ Sorgen, negative Emotionen, falsche Gedanken, rufen die Zuschauer. Falsche Gedanken. Auf Viren, Bakterien, das verdammte Rauchen kommt hier niemand. Auch Eickhoff ist mit den Antworten nicht zufrieden.

Luft und Wasser seien verschmutzt, nein: „vergiftet bis zur Unendlichkeit", sagt sie. Ebenso wie die Massenmedien. In der Luft sei gefährliche Strahlung. Ärzte stellen absichtlich Fehldiagnosen und experimentieren mit Patienten. Kritische Forscher werden massenhaft „um die Ecke gebracht".

Das Übersinnliche hat in Teilen der Gesellschaft längst die Ratio überrundet.
Anousch Mueller, Autorin des Buchs „Unheilpraktiker“

Sie stehe mit einem Bein im Gefängnis, weil sie über all das spreche, sagt Eickhoff. „Danke für Ihren Mut“, ruft ein Mann, andere nicken. Wenn einem an dieser Stelle übel wird, ist man hier eindeutig in der Minderheit.

Nach den Verschwörungstheorien präsentiert Eickhoff ihr „Produkt für vollkommene Gesundheit“. Es säubere Luft und Wasser. Am besten aber sei, man lege es sich unter die Matratze, man werde dann im Schlaf geheilt, von allem.

Es ist eine Pappe im A4-Format, mit silbergrauem Plastiküberzug, und dem Aufdruck „Aura-Balance-Akku“. Die Pappe sei mit unsichtbarer „subatomarer Information“ bespielt. Die Methode beruhe auf „35 Jahre Forschung in Quantenphysik", ihr Entdecker sei ermordet worden, und wie es genau funktioniere, man ahnt es schon, kann einem die Verkäuferin nicht sagen. „Mir ist auch egal, wie es funktioniert.“

Die Zuschauer halten die Pappen in den Händen wie einen Schatz. Das Stück kostet 224 Euro, drei Monate Rückgaberecht ohne Angabe von Gründen.

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