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Kanon der Heiligen Schrift

Das Wort Kanon (Ursprung semitisch, dann griechisch) bezeichnet eine Richtschnur, Regel, Norm. In diesem Sinne meint der Begriff "Kanon der heiligen Schrift" den Umfang der heiligen Schrift. Der biblische Kanon bezeichnet also die Sammlung der heiligen Bücher, die für die gläubige Gemeinschaft normgebend ist.

Der Kanon des ersten (und weitaus größten) Teils der Bibel, den die Christen das "Alte Testament" (AT) nennen, ist in einem längeren Prozess entstanden. Das AT teilt sich in die Schriftengruppen "Gesetz" (Tora, fünf Bücher Mose), "die Propheten" und "die Schriften". Das Neue Testament, der christliche Teil der Bibel, zitiert häufig "das Gesetz und die Propheten" oder "Moses und die Propheten" und meint damit diese Schriften.

Das Gesetz und die Propheten scheinen schon im vierten Jahrhundert vor Christus im Umfang festgestanden und kanonische Geltung gehabt zu haben (siehe Nehemia 8: Esdras verkündet dem Volk "das Gesetz"). Die dritte Schriftengruppe ist im Umfang erst später festgelegt worden. Die jüdischen Übersetzer und Bearbeiter der griechischen Fassung des Alten Testamentes (Septuaginta) haben wahrscheinlich einen weiteren Kanon angenommen als den, der später von jüdischen Autoritäten festgelegt wurde (hebräische Bibel).

Das Neue Testament zitiert sehr oft "die Schrift" oder "die Schriften" (das Alte Testament). Eigenartiger Weise werden vier Bücher des AT nicht zitiert. Dafür werden aber Bücher zitiert, die nicht zum hebräischen Kanon zählen. Das und andere Erscheinungen legen die Vermutung nahe, dass im Judentum zur Zeitenwende der Umfang des dritten Teils der Bibel noch nicht exakt fest stand.

Nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem legte eine Synode in Jabne 90/95 nach Christus den Umfang der jüdischen Bibel fest auf 24 Bücher: Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri, Deuteronomium, Josua, Richter, Samuel, Könige, Jesaja, Jeremia, Ezechiel, die 12 Propheten, Psalmen, Ijob, Sprüche, Rut, Hohelied, Prediger, Klagelieder, Ester, Daniel, Esra/Nehemia, Chronik.

Die christliche Kirche entschied sich in den ersten Jahrhunderten für den weiteren Kanon der Septuaginta. Sie übernahm jedoch nicht einfach den Kanon der jüdischen Septuaginta (der heute nicht sicher erkannt werden kann) sondern formte die Septuaginta zu einem christlichen Kanon.

Einige wichtige Theologen (Kirchenväter, z.B. Hieronymus) plädierten dafür, den engeren hebräischen Kanon anzunehmen, z.B. weil das die Auseinandersetzung mit jüdischen Gelehrten erleichterte. Synoden ab dem 4. Jahrhundert zählen die Schriften des weiteren Kanons (Septuaginta) zur Bibel. Das Konzil von Trient legte im 16. Jahrhundert die katholische Kirche auf den weiteren Kanon des Alten Testamentes fest.

Die Reformatoren kehrten zum engeren Kanon zurück. Deshalb werden heute in evangelischen Ausgaben die Schriften, die in katholischen Bibel-Ausgaben enthalten sind, aber nicht zum hebräischen Kanon zählen, unter "Apokryphen" aufgeführt. (In katholischen Büchern sind "Apokryphen" fromme Schriften aus biblischer Zeit, die auch nicht zur Septuaginta zählen.)

Die orthodoxen Kirchen zählen meist noch zwei Bücher mehr als die katholische zum Kanon.

Die ersten Christen betrachteten ganz selbstverständlich "die Schriften" (des Alten Testaments) als ihre Heilige Schrift. In einem mehrere Jahrzehnte dauernden Prozess traten frühchristliche Schriften (zuerst die Briefe des Paulus, dann vor allem die vier Evangelien) neben "die Schriften" als heilige Schriften, die im Gottesdienst vorgelesen wurden. Im zweiten Jahrhundert wuchs das Bedürfnis, Schriften zu Ansehen zu verhelfen, die die ursprüngliche Überlieferung der Apostel enthielten. Damit sollte eine "Richtschnur" geschaffen werden, um falsche, neue Lehren abweisen zu können.

Um 200 hatten die meisten Schriften des späteren "Neuen Testaments" kanonisches Ansehen erlangt. Ende des vierten Jahrhunderts zählten einige Synoden im Westen (Rom und Afrika) und später auch des Ostens 27 Schriften zum Kanon. Der Kanon des Neuen Testaments ist in der katholischen, den reformatorischen und den orthodoxen Kirchen einheitlich. Ein Dekret des Tridentinischen Konzils legte für die katholische Kirche am 8. April 1546 den Kanon der gesamten Heiligen Schrift endgültig fest.

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