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Der letzte Papst
Malachi Martin
Der letzte Papst
Eine Gruppe einflußreicher Männer aus Politik, Wirtschaft und der
katholischen Kirche will eine neue Weltordnung schaffen: die globale
Weltherrschaft. Der Papst steht dem im Wege, denn wer im Vatikan die
Fäden zieht, hat die größten Einflußmöglichkeiten. Um ihren Coup
auszuführen wollen die Verschwörer die katholische Kirche reformieren.
Zum Spielball in diesem Machtkampf werden die Brüder Paul und Christian
Gladstone. Paul, ein Anwalt, wird durch Beziehungen der Gruppe zum
Generalsekretär des EG-Ministerrats ernannt. Seinen Bruder Christian, der
Priester ist, benutzt Kardinal Maestroianni, Dreh- und Angelpunkt dieser
Intrige gegen den Papst, für geheime Kurierdienste. Der Papst wird von
seinem Geheimdienst über die Verschwörung informiert, doch er hält zwei
Enzykliken, an denen er arbeitet, für wichtiger. Damit spielt er seinen
Gegnern in die Hände …
ISBN: 3404142608
Original: Windswept House
Aus dem Amerikanischen von Michael Iwoleit und Marion Vrbicky
1999, Bastei Lübbe
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
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Geschichte als Prolog:
Vorzeichen der Endzeit
1957
Diplomaten, die die Schule harter Zeiten und der rauen Sitten
der Finanzwelt, der Wirtschaft und internationaler Rivalitäten
durchschritten haben, geben nicht viel auf Vorzeichen. Dennoch
war das Unternehmen jenes Tages so verheißungsvoll, dass die
sechs Außenminister, die sich am 25. März 1957 in Rom trafen,
das Gefühl überkam, alles, was sie umgab die
Unerschütterlichkeit der altehrwürdigen Hauptstadt Europas, die
reinigenden Winde, der offene Himmel, das angenehm milde
Wetter , sei ein günstiger Fingerzeig des Schicksals, als sie den
Grundstein für ein neues Gebäude der Nationen legten.
Als Partner beim Aufbau eines neuen Europas, das den
zänkischen Nationalismus hinwegfegen sollte, der dieses uralte
Dreieck so oft gespalten hatte, waren diese sechs Männer und
ihre Regierungen eins in der Überzeugung, dass sie ihren Länder
einen weiteren ökonomischen Horizont und ein höheres
politisches Ziel erschließen würden, als man je für möglich
gehalten hatte. Sie waren im Begriff die Vertrage von Rom zu
unterzeichnen. Sie standen vor der Gründung der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft.
In jüngster Vergangenheit war nichts als Tod und Zerstörung
in ihren Hauptstädten gediehen. Noch vor einem Jahr hatten die
Sowjets ihre expansionistische Entschlossenheit durch die
blutige Niederschlagung des Aufstands in Ungarn unterstrichen;
jeden Tag konnten die sowjetischen Panzer Europa überrollen.
Niemand traute der USA oder deren Marshallplan zu für immer
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die Last des Aufbaus eines neuen Europa zu tragen. Außerdem
konnte keiner europäischen Regierung daran gelegen sein,
zwischen die Fronten einer amerikanischsowjetischen Rivalität
zu geraten, die sich in den kommenden Jahren nur noch
vertiefen konnte.
Als sei das Selbstverständlichste auf der Welt angesichts
solcher Realitäten in einem Sinne zu handeln, unterzeichneten
alle sechs Minister als Gründungsmitglieder der EWG: die drei
Vertreter der Beneluxstaaten, weil Belgien, die Niederlande und
Luxemburg die Idee eines neuen Europa einer Feuerprobe
unterzogen und sie für vernünftig befunden hatten oder
zumindest als machbar; der Vertreter Frankreichs, weil sein
Land das schlagende Herz des neuen Europa werden sollte, wie
es stets das schlagende Herz des alten Europa gewesen war; der
Vertreter Italiens, weil sein Land die lebende Seele Europas
war; und der Vertreter Westdeutschlands, weil die Welt sein
Land nie wieder ausgrenzen sollte.
So entstand die Europäische Gemeinschaft. Man brachte
Trinkspruche auf die geopolitischen Visionäre aus, die dies
möglich gemacht hatten: auf Robert Schuman und Jean Monnet
aus Frankreich; auf Konrad Adenauer aus Westdeutschland; auf
Paul Henri Spaak aus Belgien. Und es wurde von allen Seiten
gratuliert. Es sollte nicht lange dauern, bis auch Dänemark,
Irland und England die Vorzeitige des neuen Systems einsehen
und, auch wenn es etwas geduldige Nachhilfe erfordern mochte,
selbst Griechenland, Portugal und Spanien sich anschließen
würden. Natürlich bestand immer noch das Problem die Sowjets
im Zaum zu halten. Außerdem musste ein neuer Schwerpunkt
gefunden werden. Aber an einem gab es keinen Zweifel: Die im
Entstehen begriffene EWG war der Prüfstein des neuen Europa,
das entstehen musste, wenn Europa überleben wollte.
Nach all dem Unterzeichnen, Besiegeln und Anstoßen war die
Zeit reif für das typisch römische Ritual, das ein Privileg der
Diplomaten ist: eine Audienz bei dem achtzigjährigen Papst in
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dessen Palast in der Vatikanstadt.
Auf seinem traditionellen Thron inmitten all des Pomps einer
vatikanischen Zeremonie in einem reich geschmückten Saal
empfing Seine Heiligkeit Pius XII. die sechs Minister und ihr
Gefolge mit lächelndem Gesicht. Sein Willkommensgruß war
auf richtig, seine Bemerkungen knapp. Seine Haltung glich der
eines langjährigen Besitzers und Bewohners eines riesigen Guts,
der den neu eingetroffenen Mitbewohnern, die so viele Pläne für
die Zukunft hatten, einige Ratschläge gab.
Europa, gemahnte sie der Heilige Vater, hatte seine großen
Zeitalter erlebt, als ein gemeinsamer Glaube die Herzen seiner
Menschen beseelte. Europa, drängte er, könne seine
geopolitische Bedeutung zurückerlangen, in neuem Glanz
erstrahlen, wenn in ihm ein neues Herz zu schlagen begänne.
Europa, deutete er an, könne wieder einen überirdischen,
gemeinsamen und verbindenden Glauben schmieden.
Innerlich zuckten die Minister zusammen. Pius hatte auf die
größte Schwierigkeit aufmerksam gemacht, der sich die EWG
am Tage ihrer Geburt gegenübersah. In seinen Worten schwang
die Warnung mit, dass weder demokratischer Sozialismus noch
kapitalistische Demokratie, noch die Aussicht auf ein gutes
Leben oder ein mystisches »Europa« des Humanismus die
Triebkraft zur Verwirklichung ihres Traumes liefern könnten.
Praktisch ausgedrückt fehlte ihrem neuen Europa ein strahlender
Mittelpunkt, ein höheres Prinzip, eine höhere Kraft, die es einte
und vorantrieb. Praktisch ausgedrückt fehlte ihrem Europa
etwas, was der Papst anzubieten vermochte. Ihm fehlte, was er
verkörperte.
Als er seine Ausführungen beendet hatte, schlug der Heilige
Vater zum traditionellen päpstlichen Segen drei Kreuze. Einige
wenige knieten nieder um ihn zu empfangen. Andere, die stehen
blieben, senkten die Köpfe. Aber es war ihnen unmöglich, den
Papst mit der heilsamen Kraft zu assoziieren, die er als
Statthalter Christi zu repräsentieren behauptete, oder diese Kraft
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