Wirbel um Nebenwirkungen bei Astrazeneca: Das sagen Experten

16.2.2021, 16:45 Uhr
Der Impfstoff des britischen Herstellers Astrazeneca steht in der Kritik.

© oasisamuel - stock.adobe.com Der Impfstoff des britischen Herstellers Astrazeneca steht in der Kritik.

Bleich, abgeschlagen und mit leichtem Fieber verrichten einige Mitarbeiter von Franziska Arsenijevic in diesen Tagen ihren Dienst. "Ich bin stinksauer", sagt die Leiterin eines Pflegedienstes in Scheinfeld im Landkreis Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim.

Am vergangenen Sonntag wurden 20 Angestellte – etwa 50 Prozent des Personals – mit dem Impfstoff von Astrazeneca geimpft. "Etwa fünf Stunden später traten bei den meisten erste Reaktionen auf", erzählt Arsenijevic. Am nächsten Morgen meldete sich die erste Mitarbeiterin krank, es folgten weitere. Drei klagen nach wie vor über hohes Fieber, andere über extreme Muskelschmerzen.

Wie vom Panzer überrollt

"Eine Mitarbeiterin sagte mir, sie habe das Gefühl, sie wurde von einem Panzer überrollt und konnte nicht einmal aus dem Bett aufstehen." Gerade so hat es Franziska Arsenijevic geschafft, ihre Patienten mit dem noch vorhandenen Personal versorgen zu können. Sie sei keine Impfgegnerin, betont sie, "aber kann man uns das nicht vorher sagen?"

Hätte die Pflegedienstleiterin gewusst, mit welchen Nebenwirkungen ihr Personal zu kämpfen hat, hätte sie nicht alle auf einmal zur Impfung geschickt. "Ich weiß sehr wohl, dass eine Impfung das Immunsystem aktivieren soll. Aber doch nicht auf so extreme Weise", so Arsenijevic.


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Kopfschmerzen, Müdigkeit, erhöhte Temperatur. Es fühlt sich an wie eine beginnende Grippe. "Das sind ganz gewöhnliche Impfreaktionen", sagt Christian Bogdan. "Dass jemand anschließend ein paar Tage nicht arbeitsfähig ist, kann immer passieren."

Der Professor leitet das Institut für Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene am Universitätsklinikum und der Universität Erlangen-Nürnberg. Er ist außerdem Mitglied der Stiko, der Ständigen Impfkommission, die für Deutschland Impfstoffe bewertet und empfiehlt.

Den Impfstoff des britischen Herstellers Astrazeneca hat die Stiko – anders als die Europäische Arzneimittelagentur EMA – vorerst nur für 18- bis 64-Jährige empfohlen. Die Datenlage für Ältere ist dem Expertengremium noch nicht ausreichend genug, um die Wirksamkeit einschätzen zu können. Sobald weitere Zahlen vorliegen, will die Stiko die Situation neu beurteilen.

Doch schon jetzt ist Astrazeneca wieder in den Schlagzeilen. In zwei schwedischen Krankenhäusern hatte sich Ende vergangener Woche ein Viertel der gerade geimpften Belegschaft krank gemeldet.

100 der 400 Angestellten klagten über die beschriebenen Symptomen kurz nachdem sie den Impfstoff bekommen hatten. Daraufhin stoppte die Region Sörmland, südlich von Stockholm, vorsichtshalber zeitweise weitere Impfungen, um die Häufung zu überprüfen.

Auch in Deutschland und der Region berichten Kliniken, Arztpraxen und Pflegeheime über ausgefallene Mitarbeiter nach der Impfung. Eine Arztpraxis in Nürnberg hat es getroffen. Eine Mitarbeiterin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, hat sich an die Redaktion gewandt, nachdem sie im Impfzentrum in der NürnbergMesse zusammen mit einigen Kollegen ihre Impfung – ebenfalls von Astrazeneca – erhalten hatte.

Drei Ärzte und mehrere Helferinnen liegen seitdem flach, berichtet sie. Sie selbst könne wegen massivem Schwindel kaum aufstehen. "Mein Freund hat gestern schon den Krankenwagen gerufen, aber die kamen nicht, weil sie sagten, das sei normal", so die Nürnbergerin.


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Medizinisches Personal und Pflegekräfte werden zurzeit bevorzugt geimpft, genauso wie Bewohner von Pflegeheimen und Menschen über 80 Jahre. "Wenn ein großer Teil der Belegschaft gleichzeitig geimpft wird, kann dieses Problem natürlich auftreten", sagt Bogdan. "Das ist keine spezielle Eigenschaft des Astrazeneca-Impfstoffs."

Andrea Huber (Namen geändert), die als Auszubildende im Gesundheitsbereich arbeitet, ließ sich ebenfalls im Impfzentrum in der Messe das Serum von Astra-Zeneka verabreichen. Zunächst war alles in Ordnung, doch Stunden später ging es ihr plötzlich schlecht. Die 18-jährige Nürnbergerin kämpfte zuhause gegen Übelkeit, Schüttelfrost, Erbrechen, Husten und Atemnot.

Plötzlich Schaum vorm Mund

"Plötzlich hatte sie Schaum vor dem Mund, da habe ich den Krankenwagen gerufen", berichtet ihre Mutter, "wir hatten totale Panik." Mit der Abgabe von Sauerstoff und Beruhigungsmitteln bekamen die Mediziner die Situation in den Griff.

Der Zustand der jungen Frau hat sich am nächsten Tag deutlich gebessert. "Sie ist noch benommen, aber es geht schon wieder", so die Mutter. Die zweite Impfung, mit der die Wirksamkeit des Vakzins voll zum Tragen kommen soll, werde ihre Tochter aber auf keinen Fall mehr machen.


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Gerade weil das Mittel vor allem Jüngeren verabreicht wird, kommt es vermehrt zu Nebenwirkungen. "Das sieht man in allen Studien", erklärt der Professor. "Ihr Immunsystem ist aktiver als das von Älteren, deswegen reagieren sie auch stärker auf die Impfung." Und genau diese Reaktion ist ja erwünscht, damit der Körper einen langfristigen Schutz gegen das Virus aufbaut.

Die Zulassungsstudien von Astrazeneca zeigen, dass sich rund ein Drittel der Geimpften anschließend "fiebrig fühlte", nur knapp jeder Siebte entwickelte tatsächlich Fieber. Außerdem zählen Schmerzen an der Einstichstelle, Müdigkeit, Frösteln, Kopf- und Muskelschmerzen sowie ein "allgemeines Krankheitsgefühl" zu häufigsten Nebenwirkungen. Darauf wird vor der Impfung auch hingewiesen.

"Die beschriebenen Symptome sind überhaupt kein Grund panisch zu werden", sagt Bogdan. "Sofern sie nach drei bis fünf Tagen wieder vollständig abgeklungen sind, handelt es sich um normale Impfreaktionen."

Zu dieser Einschätzung kommt auch die schwedische Arzneimittelbehörde. Es gebe keine Hinweise darauf, dass etwas mit dem gelieferten Impfmittel nicht stimme, teilt die Region Sörmland mit. Sie will die Impfungen in dieser Woche wie geplant fortsetzen.


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Andrea Huber hatte im Impfzentrum die vorgeschriebene Wartezeit nach der Impfung verbracht, ohne dass es zu Komplikationen kam. Reaktionen auf den Impfstoff in der Messehalle sind Einzelfälle, teilt Ulrike Goeken-Haidl von der Pressestelle des Impfzentrums mit. Manchmal würden Schmerzen an der Einstichstelle beklagt, die jedoch während der Beobachtungszeit abebbten.

Zum speziellen Fall von Andrea Huber sei nichts aktenkundig, so die Pressesprecherin, die Betroffene habe sich nicht gemeldet. Dies bestätigt auch die Mutter der Jugendlichen: "Ich hatte so einen Schock und so eine Wut, ich will mit dem Impfzentrum nichts zu tun haben."

Grundsätzlich treten Impfreaktionen bereits nach wenigen Stunden oder ein paar Tagen auf und klingen ebenso schnell wieder ab. Der Hersteller Astrazeneca schreibt zu den aktuellen Fällen: "Derzeit sind die gemeldeten Reaktionen so, wie wir sie aufgrund der Erkenntnisse aus unserem klinischen Studienprogramm erwarten würden." Bei der notwendigen zweiten Impfdosis würden die Nebenwirkungen erfahrungsgemäß geringer ausfallen.

Personalmangel im Krankenhaus

In den beiden schwedischen Krankenhäusern herrscht nun Personalmangel. In Nordrhein-Westfalen hat das Gesundheitsministerium nach Fällen in Dortmund, Bochum und im Landkreis Minden-Lübbecke reagiert. Dort hatten sich vor allem viele Rettungsdienstmitarbeiter nach der Impfung krank gemeldet.

Die Behörde empfiehlt deshalb, das Personal nicht mehr in großen Gruppen, sondern stärker verteilt zu impfen. Gegen die Nebenwirkungen rät es zu schmerzlindernden und fiebersenkenden Medikamenten.

In Fürth und Erlangen sind den Behörden bislang auch keine ungewöhnlichen Fälle nach Impfungen mit diesem speziellen Impfstoff gemeldet worden. Im Impfzentrum der Stadt Fürth selbst wird Astrazeneca zudem noch gar nicht verimpft.

Und: "Im Impfzentrum von Stadt Erlangen und Landkreis wird die Impfung mit dem Astrazeneca-Impfstoff erst begonnen. Entsprechend können wir noch keine Erfahrungswerte liefern", so Christofer Zwanzig, Pressesprecher der Stadt Erlangen.

Betroffene können Nebenwirkungen bei Hausärzten und Apotheken melden oder auch online im zentralen Melderegister des Bundes: www.nebenwirkungen.bund.de

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