Die Welt gedenkt dieser Tage der Russischen Revolution vor hundert Jahren. Sie hat dem 20. Jahrhundert ihren Stempel aufgedrückt. Sie stürzte Russland in einen Bürgerkrieg und führte binnen weniger Jahre zu Stalins Terrorregime. Ohne ihren fortwährenden ideologischen Einfluss hätte es nach dem Sieg der Alliierten über Hitler-Deutschland wohl auch keinen Kalten Krieg gegeben. Die Oktoberrevolution (so geheißen, weil sie nach dem damals in Russland gültigen julianischen Kalender am 25. Oktober 1917 ausbrach, was im gregorianischen Kalender dem 7. November entspricht) hat den Lauf der Weltgeschichte verändert.

Der blutige Verlauf dieser Revolution bietet wahrlich keinen Anlass, um zu feiern. Aber es überrascht doch, dass Wladimir Putins Russland ihrer nicht einmal offiziell gedenken will. Nur die winzige Kommunistische Partei wird die hundertste Wiederkehr des Tages feiern, an dem Lenin in Petrograd, dem heutigen Sankt Petersburg, die Macht übernahm. Ein Festmarsch und ein Galaempfang stehen zwar auf dem Programm. Die Feierlichkeit selbst findet aber in einem biederen Konferenzhotel fern des Kremls statt, und Wladimir Putin wird nicht daran teilnehmen.

Von Lenin hält er nichts. Er nennt den Gründer der Sowjetunion einen Verräter, weil er Russland in einen Bürgerkrieg stürzte, als es noch mitten im Krieg gegen das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn stand. Dieser Bürgerkrieg zwischen den sogenannten Roten und Weißen tobte bis 1920 – drei Jahre, in denen auch Briten, Franzosen, Polen und Japaner sich mit ihren Truppen in Archangelsk, in der Ukraine, auf der Krim und in Wladiwostok einmischten, um die Gegenrevolution zu unterstützen. Unauslöschlich bis heute setzte sich damals in den Köpfen die Vorstellung fest, Russland sei von westlicher Einkreisung bedroht. Der erbitterte Bürgerkrieg verwüstete das Land und spaltete das Volk.

Die Spaltung ist bis heute spürbar. Das ist mir vor zwei Wochen bei der Waldai-Konferenz in Sotschi auf beklemmende Weise klar geworden. Da saßen junge russische Historiker, Verwaltungsbeamte, Journalisten, Professoren zusammen und beim abendlichen Wein brach es aus ihnen heraus. Wie der Gegensatz zwischen Rot und Weiß vor hundert Jahren die Familien zerriss, Geschwister gegeneinander hetzte, die einen in den Tod trieb, die anderen ins Ausland. Auch einige westliche Akademiker, Nachfahren der damals Geflüchteten oder Vertriebenen, saßen mit am Tisch. Da war keiner, der nicht aus der eigenen Familie lange verschwiegenes, unterdrücktes Leid zu berichten wusste, abenteuerliche Geschichten und entsetzliche. Die traumatische Erfahrung der Großväter liegt noch der dritten und vierten Generation auf der Seele.