Für die Spiegelung auf der Kugel des Berliner Fernsehturms gab es Spott und Hohn für die DDR. Dabei ist sie ein reines Zufallsprodukt.

War das ein Kreuz mit dem Kreuz für die beiden SED-Chefs Walter Ulbrich und Erich Honecker! Wer hat es noch nicht erblickt im nachmittäglichen Sonnenschein am Fernsehturm am Alexanderplatz – das Lichtkreuz an der Turmkugel, rund 200 Meter hoch, mitten in Berlin. Neben der eigentlichen Aufgabe des intern als „Fernmeldeturm 32“ bezeichneten Bauwerks, nämlich als Sendeanlage für einen störungsfreien Empfang des DDR-Fernsehens und aller östlichen UKW-Radioprogramme im Umkreis von etwa 150 Kilometern zu sorgen, sollte es auch propagandistisch genutzt werden.

Warum das gründlich daneben ging, weiß am besten der Kunsthistoriker Peter Müller. Er hat 1995 für seine studentische Abschlussarbeit die Geschichte des Turms erforscht. Dabei ist er auch auf bis dahin geheime Details zum Kreuz an der Kugel gestoßen.

Errichtet wurde der Turm 1965 bis 1969. Die damalige Gesamthöhe von 365 Metern war keinem baulichen Ehrgeiz geschuldet, sondern der Funktechnik und damit der geforderten Reichweite. Nach dem weit höheren Moskauer Fernsehturm Ostankino (537 Meter) stand in Ost-Berlin damals der zweithöchste TV-Tower der Welt und steht noch heute mit 368 Metern (nach der Modernisierung durch die Telekom) Deutschlands höchstes Bauwerk.

Der gewünschte Effekt wurde für den SED-Chef zum Desaster

Im Rahmen des Ausbaus der Berliner Mitte zum Regierungszentrum der DDR wurde der Sendeanlage zusätzlich höchste symbolische Bedeutung übergestülpt. „Sie sollte im damals geteilten Berlin jedermann vor Augen führen: Hier steht die DDR, wir sind die Größten“, erzählt Peter Müller. In der Tat war der Bau des Turms mit der 4800 Tonnen wiegenden Kugel mit einem Durchmesser von 32 Metern eine technische Meisterleistung. Doch der gewünschte propagandistische Effekt geriet mehr oder weniger zum Desaster.

Erst die Suche nach einem Namen. „Spree-Sputnik“, angelehnt an die raketenähnliche Form des Turmschafts, war heißer Favorit, um die Überlegenheit des kommunistischen Systems zu unterstreichen. Moskau hatte 1957 mit „Sputnik“ den ersten Satelliten ins Weltall geschossen und der Russe Juri Gagarin war 1961 als erster Mensch in den Weltraum geflogen. Aber dann das: Kurz vor der offiziellen Eröffnung des Turms am 3. Oktober 1969 durch den damaligen SED-Chef Walter Ulbricht (1893–1973) waren am 21. Juli die Amerikaner Armstrong und Aldrin auf dem Mond gelandet. Vorbei war’s mit Moskaus Überlegenheit im Orbit. Bei der Suche nach Ersatz, so erzählt Peter Müller, erfand man den „Telespargel“. Den Namen hätten die Berliner aber nie wirklich angenommen. „Vielleicht auch deshalb, weil Spargel damals für uns Ossis kaum zu kriegen war. Fast die ganze Ernte wurde gegen Devisen in den Westen verkauft.“

Und dann die noch größere Peinlichkeit mit dem Kreuz – zehn mal zehn Meter gen Westen strahlend. Spott und Hohn aus West-Berlin ließen nicht lange auf sich warten. „Rache des Papstes“, auch „Sankt Walter“ oder „Dibelius‘ Rache“, bezogen auf den streitbaren Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg Otto Dibelius (1880–1967).

1000 kleine Pyramiden gegen Luftverwirbelungen

Das Geheimnis der Formung des Kreuzes liegt in der Beschaffenheit des Materials und dessen Verarbeitung. Die Außenverkleidung der Kuppel besteht aus dem rostfreien Edelstahl „Nirosta“, den die DDR aus Westdeutschland importieren musste. Dass es sich dabei um Kruppstahl handelt, fand erst Kunsthistoriker Peter Müller bei seinen Recherchen heraus. Die DDR hatte das wohlweislich geheim gehalten. Um die Luftverwirbelung in gut 200 Meter Höhe zu vermindern und damit ein Schwanken der Kuppel zu verhindern, wurden auf die Stahlverkleidung etwa 1000 kleine Pyramiden aufgebracht. „Sie vergrößern die Rauheit der Oberfläche und verringern damit die Angriffsfläche für Winde“, erzählt Müller. „Und diese Pyramiden sind es, die den Kreuz-Effekt auslösen, wenn die Sonne auf sie fällt. Also ein wirkliches Zufallsprodukt.“

Natürlich hat die DDR-Führung versucht, das Kreuz „abzuhängen“. Vergeblich. Die Stasi forschte nach Sabotage – und fand keine. Überlegungen, die Kuppel zu schleifen – zu teuer. Sie mit einem dunklen Kunststoff überziehen – das hätte ja nach einem überdimensionalen Fußball ausgesehen. Nicht belegt, so Müller, sei die Idee, das Kreuz einfach umzuinterpretieren – in ein Pluszeichen für den Sozialismus. Am Ende musste sich eine verärgerte DDR-Führung mit der missliebigen Symbiose aus Technologie und Meteorologie abfinden.

So strahlt das Kreuz noch heute. Etwa als kleiner Trost, dass es die Christenheit in dieser Stadt schon immer schwer hatte?!

>>> So geht’s zum Fernsehturm: Unübersehbar steht er am Platz vor dem Roten Rathaus zwischen Karl Liebknecht-Straße und Rathausstraße; zu erreichen mit U- und S-Bahn, Bus und Straßenbahn bis zum Alexanderplatz.>>> Alle Teile der Serie finden Sie hier <<<