Politik

IS-Anhänger werden abgeschoben Wen schickt die Türkei nach Deutschland?

Maschinengewehr in Syrien (Archivbild)

Maschinengewehr in Syrien (Archivbild)

(Foto: REUTERS)

Die türkische Regierung will die vielen ausländischen IS-Kämpfer, die sich in ihrer Gewalt befinden, nicht länger bewachen. Allein in dieser Woche kommen zehn Deutsche mit möglichem IS-Hintergrund zurück in die Bundesrepublik. Was bedeutet das? Ein Überblick.

Wer kommt da?

Drei Männer, fünf Frauen und zwei Kinder deutscher Herkunft sollen in dieser Woche nach Deutschland abgeschoben werden. Die ersten zwei sind schon am Montag angekommen, wie das Auswärtige Amt mitteilte. Bei einem Mann gibt es nach Angaben der Bundesregierung keine Beziehung zu der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Insgesamt wolle die Türkei 20 deutsche IS-Anhänger abschieben, hatte ein Sprecher des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vergangene Woche der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten" gesagt.

Unklar ist, ob es sich tatsächlich um Anhänger des Islamischen Staats handelt. "Wir haben keine belastbaren Erkenntnisse, nach denen es sich hier um IS-Anhänger handelt", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts. "Ob das so ist oder nicht, müssen aber letztlich die Sicherheitsbehörden prüfen." Bei zwei der Frauen gebe es immerhin Anhaltspunkte, dass sie sich in Syrien aufgehalten hätten, hieß es aus dem Auswärtigen Amt.

Die Deutsche Presse-Agentur berichtet, dass mindestens zwei der Frauen aus dem Lager Ain Issa in Syrien ausgebrochen sind. Vier der insgesamt fünf Frauen sollen in der vergangenen Woche in der Türkei festgenommen worden sein. Eine von ihnen ist dem Vernehmen nach eine Konvertitin aus Hamburg. Der Mann, mit dem sie einst ins IS-Gebiet ausgereist war, soll schon vor Jahren getötet worden sein. Zwei der Deutschen seien in Syrien gefasst worden, sagte der Sprecher des türkischen Innenministeriums, Ismail Catakli, nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Wo die anderen aufgegriffen wurden, sagte er nicht.

Wie viele Deutsche haben für den IS gekämpft?

Nach Erkenntnis der deutschen Sicherheitsbehörden sind rund 1000 Menschen von Deutschland nach Syrien oder in den Irak ausgereist, um für den IS zu kämpfen. Davon waren bis zum Sommer rund ein Drittel wieder zurückgekehrt, wie es im aktuellen Verfassungsschutzbericht heißt. Dabei sind nicht zwingend alle Ausgereisten deutsche Staatsbürger. Genauso wenig haben alle deutschen IS-Kämpfer einen Migrationshintergrund. Viele IS-Sympathisanten aus Deutschland kommen aus einem nicht-muslimischen Elternhaus und haben über das Internet zum IS oder anderen islamistischen Organisationen gefunden.

Werden IS-Kämpfer für ihre Aktivitäten im Ausland von der deutschen Justiz verfolgt?

Ja. Der Straftatbestand lautet Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und wird mit mindestens einem, maximal zehn Jahren Haft bestraft. Auch Frauen, die nicht selbst für die Terrormiliz gekämpft haben, müssen in Deutschland mit Strafverfolgung rechnen. Sie könnten wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung belangt werden. Etwa wenn sie versucht haben, Menschen aus der Heimat zur Ausreise in von der Terrormiliz kontrolliertes Gebiet zu bewegen.

Können den IS-Mitgliedern konkrete Taten nachgewiesen werden - wie etwa Mord, Körperverletzung oder eine Beteiligung daran - werden diese Vergehen von deutschen Staatsbürgern ebenfalls verfolgt. Die Strafe für Mord liegt mit lebenslänglich - also mindestens 15 Jahren - höher als die für Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Die Strafen für verschiedene Straftaten werden nicht addiert, sondern es greift die jeweils höchste Strafe.

Seit 2013 sind mehrere Rückkehrer für ihren IS-Einsatz im Ausland angeklagt und verurteilt worden. Darunter waren auch mehrjährige Haftstrafen. Allerdings sind die Verfahren wegen des hohen Sicherheitsaufwands teuer und wegen der zumeist schwierigen Beweislage bei Taten im Ausland langwierig.

Welche Gefahr geht von den Rückkehrern aus?

Die Rückkehrer stellten "ein hohes Sicherheitsrisiko dar", sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer im Sommer. Die Gefahr geht nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden nicht nur von den Kämpfern aus, sondern auch von deren Frauen und Kindern. Letztere würden über die Erziehung indoktriniert.

Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang warnt, dass das bloße Einsperren die Gefahren nicht beseitige. Bereits vorhandene Radikalisierungen gingen im Gefängnis häufig weiter. "Die kommen teilweise radikalisierter aus den Gefängnissen heraus, als sie hinein gegangen sind", so Haldenwang.

Wie viele gefangene IS-Kämpfer gibt es?

Nach Angaben Erdogans sitzen derzeit 1149 Anhänger des IS in türkischen Gefängnissen. Davon seien 737 ausländische Staatsbürger. Mehrere europäische Staaten haben es bisher abgelehnt, IS-Anhänger zurückzuholen, auch Deutschland. Hinzu kommen zahlreiche ehemalige IS-Kämpfer, die in Syrien oder Irak gefangen sind.

Welche Rolle spielt die Türkei?

Der Türkei wird seit jeher nachgesagt, dass sie das Entstehen des IS zumindest nicht verhindert hat. Viel zu lange hatten sich die Islamisten ungehindert über die syrisch-türkische Grenze bewegen können und über die Türkei Nachschub und den Export von Öl aus den IS-Gebieten abgewickelt.

Mit dem Einmarsch türkischer Kräfte in vormals von Kurden kontrollierte Gebiete in Nordsyrien fielen der Türkei im Oktober zahlreiche gefangen gehaltene IS-Kämpfer zusätzlich in die Hände. Offensichtlich hat Ankara wenig Interesse daran, sich nun um die ausländischen Islamisten zu kümmern. Möglich, dass Erdogan die Drohung einer Abschiebung auch als Verhandlungsmasse nutzt, denn der Einmarsch in Nordsyrien wird von den meisten seiner Nato-Verbündeten abgelehnt.

Ist der IS besiegt?

Der IS hat seine einstigen Herrschaftsgebiete im Irak und in Syrien verloren und gilt zwar militärisch als besiegt. Nach einem Bericht der US-geführten Anti-IS-Koalition vom Juni halten sich in dem Gebiet aber noch zwischen 14.000 und 18.000 IS-Anhänger auf, darunter 3000 Ausländer. Experten warnen, diese würden nur den passenden Zeitpunkt für ihren nächsten Aufstand abwarten.

Quelle: ntv.de, shu/dpa/AFP

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