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Wladimir Putin.

© Sergei GUNEYEV / POOL / AFP

Drohungen mit Atomwaffen: Der Westen sollte Putins Eskalationsspiel nicht mitspielen

Die Drohgebärden sind verstörend, aber bisher will Putin bloß rote Linien signalisieren und die Öffentlichkeit einschüchtern. Ein Gastbeitrag.

Claudia Major leitet die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Berlin. Liviu Horovitz und Lydia Wachs sind Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.

Jeder Krieg mit einer Atommacht wie Russland birgt das Risiko des Unvorstellbaren: eines Einsatzes von Nuklearwaffen. Genau darauf wies Außenminister Sergey Lawrow vor kurzem hin, als er sagte, ein dritter Weltkrieg würde sicher nuklear und vernichtend sein.

Tatsächlich hat Putin bereits vor diesem expliziten Verweis mehrere implizite nukleare Drohungen ausgesprochen. Zunächst führten Russlands Nuklearstreitkräfte Mitte Februar öffentlichkeitswirksam ein Manöver durch. Dieses war zwar schon seit einigen Wochen geplant, das Timing schien dennoch ungewöhnlich – normalerweise führt Russland seine alljährliche strategische Nuklearübung im Herbst durch. Zudem wurde die Übung medial stark gepusht, was eine direkte Verbindung zu den gleichzeitigen Spannungen zwischen Russland und dem Westen suggeriert.

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Einen Schritt weiter ging Putin dann wenige Tage später, als er wenig verholen mit Nuklearwaffen drohte: eine Einmischung außenstehender Staaten – vermutlich vorrangig der Nato –, so warnte er, würde massive, nie dagewesene Konsequenzen nach sich ziehen. „Nie dagewesene Konsequenzen“ gelten als Chiffre für die Folgen von Nuklearschlägen.

Ein Spiel mit der Öffentlichkeit

Ende Februar wies Putin schließlich in einer öffentlich übertragenen Sitzung den Verteidigungsminister Sergej Schoigu an, die russischen Abschreckungskräfte, die auch die Atomwaffen umfassen, in Alarmbereitschaft zu versetzen. Was dies genau bedeutet war zunächst unklar, denn ein Teil der russischen Nuklearwaffen befindet sich ohnehin jederzeit in höchster Alarmbereitschaft. Zudem gibt es unterschiedliche Stufen der Alarmbereitschaft.

Als wolle er die Weltöffentlichkeit beruhigen erklärte Verteidigungsminister Schoigu schließlich, dass es sich zunächst eher um Personalaufstockungen und ähnliche administrative Anpassungen handeln würde. Weniger beruhigend war, dass wenige Tage später erneut Übungen mit strategischen U-Booten und mobilen Interkontinentalraketen stattfanden. Auch UN Generalsekretär Guterres nannte diese Entwicklungen „markerschütternd.“

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Diese wiederholten nuklearen Drohgebärden sind tatsächlich verstörend. Dennoch bleibt ein Einsatz von Nuklearwaffen höchst unwahrscheinlich. Denn Russland und die USA befinden sich seit Jahrzehnten in einem sogenannten Gleichgewicht des Schreckens: beide haben genügend Atomwaffen, um die andere Seite zerstören zu können. Das bedeutet aber auch, dass jeglicher Einsatz von Nuklearwaffen die Gefahr der eigenen Vernichtung birgt.

Daher sind solche Waffen vor allem politische Instrumente, mit denen ein Staat seine roten Linien signalisieren kann. Zudem würden Staaten wesentlich ernsthaftere nukleare Signale versenden, bevor überhaupt ein Einsatz in Betracht kommen könnte. Denn Putin hat bislang zwar rhetorisch mit dem Säbel gerasselt, aber er hat diese Rhetorik bislang militärisch nicht hinterlegt: Er hätte etwa Raketen aus den Lagerstätten zu Flugzeugen verlegen und damit einen erhöhten Einsatzwillen signalisieren können. Aber diese praktischen Maßnahmen haben bislang nicht stattgefunden. Daher scheint Putins sogenanntes nukleares Signalling bisher vor allem symbolisch zu sein. Doch was bezweckt der Kreml damit und gegen wen richten sich die Drohungen?

Eine weitere Eimischung des Westes könnte extreme Antworten zur Folge haben

Russland führt Krieg gegen die Ukraine. Dennoch scheint sich Russlands nukleares Säbelrasseln vorrangig nicht an Kyiev zu richten. Moskau könnte mit seinen Nuklearwaffen die Ukraine zwar vernichten. Aber so makaber es klingt: Moskau hat genug konventionelle Optionen, mit denen es den Krieg weiter eskalieren oder Kyiev unter Druck setzen könnte. Dazu braucht es keine Atomwaffen.

Vielmehr scheint der Westen das Ziel Putins diffuser Drohungen zu sein. In den letzten Wochen haben die Nato und die EU nicht nur enorme Geschlossenheit bewiesen. Sie haben auch Entschlossenheit signalisiert, die Ukraine zu unterstützen und mit dem umfassenden Sanktionspaket Russland gleichzeitig wirtschaftlich zu isolieren.

Aus Moskaus Perspektive stellt sich daher die besorgte Frage, was der Westen als nächstes machen könnte. Sogar die Lieferung von Kampfflugzeugen vom Westen an die Ukraine  wurde diskutiert, jedoch als zu eskalatorisch verworfen. Die Ukraine und einige westliche Politiker:innen forderten gar eine Flugverbotszone, die ein militärisches Eingreifen des Westens bedeutet und die einen offenen Krieg zwischen der Nato und Russland auslösen könnte. Aus Moskaus Sicht geht der Westen hier zu weit: Russland scheint zu signalisieren, dass eine weitere Einmischung extreme – also nukleare – Antworten zur Folge haben könnte. Damit hofft es, die EU und Nato Staaten vor weiteren Aktivitäten abzuschrecken.

Die Bevölkerung soll Angst bekommen

Die öffentliche Natur der Drohungen des Kreml-Chefs lassen aber auch vermuten, dass sie nicht allein an westliche Entscheidungsträger:innen adressiert sind, sondern auch der Bevölkerung im Westen Angst einjagen sollen. Die Hoffnung ist, dass sich die westliche Öffentlichkeit  aus Sorge vor dem Nuklearschlag  weniger für die Ukraine engagiert oder harte Maßnahmen gegen Russland ablehnt. Ob Moskau diese gezielte Einschüchterung gelingt, hängt von der Fähigkeit westlicher Politiker:innen ab, den eigenen Bürger:innen die russische Destabilisierungsstrategie zu erklären.

Putins nukleare Drohungen zeigen dem Westen vage rote Linien auf, sind aber zum größten Teil außenpolitische Propaganda – und trotzdem verantwortungslos. Die gute Nachricht ist: Die russischen Drohungen sind vor allem Rhetorik. Sie sind ernst zu nehmen, aber kein Grund zur Panik. Ein Einsatz bleibt sehr unwahrscheinlich.

Die schlechte Nachricht ist: jeder Konflikt mit einer Atommacht ist gefährlich. Da die Probleme von Putins konventionellem Krieg noch größer werden und er sich immer mehr in die Ecke gedrängt fühlen könnte wächst auch die Wahrscheinlichkeit, dass er weiter nuklear mit dem Säbel rasselt. Der Westen sollte sich darauf einstellen, diese Entwicklungen aufmerksam beobachten, aber Putins Eskalationsspiel nicht mitspielen. Gleich kleinbeizugeben – dann hätte der Kreml sein Ziel erreicht.

Liviu Horovitz, Claudia Major, Lydia Wachs

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