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Meinung Christenverfolgung

Wir achten unsere eigenen Traditionen nicht

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Nach Geiselnahme in Kirche in Bagdad - Trauerfeier Nach Geiselnahme in Kirche in Bagdad - Trauerfeier
Trauerfeier nach dem Blutbad in einer Kirche in Bagdad
Quelle: dpa
An vielen Orten der Welt werden Christen mit dem Tode bedroht. Es ist beschämend, wie wenig das unsere Öffentlichkeit beunruhigt.

Die Tat war von perfider Kaltblütigkeit. Acht Männer sprengten am 31. Oktober dieses Jahres das schwere Tor, das in den Innenhof der syrisch-katholischen Bischofskirche in Bagdad führte. In der fand gerade, es war Sonntag, der Nachmittagsgottesdienst statt, mehr als hundert Gläubige hatten sich eingefunden.

Als die Männer das Kirchengebäude stürmten, stellte sich ihnen einer der beiden jungen Priester, Vater Wasseem, entgegen. Er wusste längst, dass er es mit Terroristen zu tun hatte. Er bat die bewaffneten Männer, niemanden zu töten – sie sollten sich an ihn halten. Das taten diese dann auch, Vater Wasseem musste sich niedersetzen, dann wurde er mit einer Pistole erschossen.

Darauf töteten die Terroristen Vater Thaer, den zweiten Priester. Sie warfen Handgranaten in die Sakristei, in die sich die Gläubigen geflüchtet hatten, einer der Männer zündete einen Sprengstoffgürtel. Am Ende waren 52 Menschen tot, mehr als 60 verletzt. Die Kirche, die sie angriffen, hatten die Terroristen, die zu der Gruppe „Islamischer Staat Irak“ gehörten, eine „dreckige Höhle der Götzenanbeter“ genannt.

Höhepunkt einer Kette von Christenverfolgungen

Vor dem Sturz des Diktators Saddam Hussein haben im Irak deutlich mehr als eine Million Christen gelebt. Sie waren seit alters her hier. Man kann das Land, aus dem Abraham stammt, als ein Urland des Christentums bezeichnen. Seit 2000 Jahren leben Christen hier. Jetzt zählt der Irak noch 400.000 bis 500.000 Christen, ihre Zahl nimmt ständig ab. Denn die Mordtat vom 31. Oktober war nur der monströse Höhepunkt einer ganzen Kette von Christenverfolgungen, die seit dem Jahr 2003 im Gange sind.

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Vor einem Jahr hatte Vater Thaer gesagt: „Als Christen in der Nachfolge Christi haben wir immer Hoffnung, und diese Hoffnung geben wir unseren Kindern weiter. Hätten wir keine Hoffnung mehr, wie sollten sie die Kinder haben?“ Das Christentum ist eine Religion, für die Zeit und Geschichte und Veränderung zählen, das Besserwerden gehört fest zu ihrem Erwartungshorizont. Es ist Aktivität und ein Zutrauen in die Zukunft darin.

Menschen, die nicht mehr standhalten können

Dieses aber kommt den irakischen Christen, die viele schwierige und bedrohliche Situationen überstanden haben, allmählich abhanden. Seit Jahren ist ein Exodus der Christen aus dem Irak im Gange – und er hat gar nichts mit jenem großen Exodus zu tun, der einst den bewussten Aufbruch weg von den Fleischtöpfen der ägyptischen Unfreiheit brachte.

Diesmal ist es die anschwellende Flucht von Menschen, die standhalten wollten und nun einfach nicht mehr standhalten können. Kurz nach dem Mordanschlag vom 31. Oktober sagte der Generalvikar der syrisch-katholischen Kirche im Irak diese bitteren Worte: „Nun ist es klar, dass sie alle von hier gehen werden.“ Und ein anderer sagte: „Schon bald wird das Christentum im Irak eine Sache der Vergangenheit sein. Es wird keine Christen im Irak mehr geben.“

Ein Glaube, dessen Bewahrung lohnenswert sein müsste

Man sollte denken, dass uns das etwas anginge. Zum einen ganz allgemein. Zu Recht haben wir ein waches Gefühl für Verletzungen von Menschenrechten entwickelt. Minderheiten, sagen wir, müssen wo auch immer ihre Rechte haben, und es ist nicht tragbar, dass religiöse Gruppen ihres Glaubens wegen verfolgt werden. Aber auch im Besonderen könnte uns das elende Schicksal der Christen im Irak etwas angehen. Denn ohne Zweifel gehört – ob wir nun gläubig sind oder nicht – das Christentum zu unserem Erbe.

Wir sind von ihm, von seinem Menschenbild geprägt. Unsere Vorstellung von der Unverletzlichkeit des Individuums hat nicht nur, aber auch christliche Wurzeln. Ein Glaube, der Nächstenliebe fordert und so großen Respekt vor dem Anderen aufbringt, dass er sogar die Feindesliebe wenn nicht predigt, so doch für wünschenswert hält: Ein solcher Glaube ist in einer notorisch kriegerischen, notorisch von Egoismus, Gewalt und Übervorteilung geprägten Welt etwas Kostbares, etwas, dessen Bewahrung lohnenswert sein müsste.

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Wir müssten eigentlich ein starkes Gefühl für dieses Erbe haben und es selbst dann verteidigen wollen, wenn wir es nicht mehr für zeitgemäß halten. Und vor allem: Wenn anderswo auf der Welt Christen verfolgt und angegriffen und ermordet werden, dann gäbe es guten Grund, das als Angriff auf uns selbst zu sehen: auf die Traditions-, Werte- und Erinnerungswelt, der wir entstammen, der wir anhängen.

Die Solidarität hielt sich in engen Grenzen

Doch davon ist leider nicht viel zu spüren. Als vor Jahren erstmals verfolgte Christen aus dem Irak in nennenswerter Zahl nach Deutschland kamen und im ehemaligen Ost-West-Auffanglager Friedland – einem symbolträchtigen deutschen Ort – erste Aufnahme fanden, hielten sich Solidarität und öffentliche Aufmerksamkeit in durchaus engen Grenzen.

Und der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble musste sich Vorwürfe anhören, es sei nicht korrekt, wenn er die Aufnahme der irakischen Christen unter ausdrücklichem Bezug auf ihr Christsein betreibe. Säkular, wie wir gottlob inzwischen seien, dürften wir nur Verfolgte sans phrase aufnehmen.

Eine Herzenskälte, die nicht zur Versöhnungsidee passt

In den Jahren 2007 und 2008 wollte in Baden-Württemberg das Diakonische Werk eine Kampagne für die Aufnahme eines Kontingents irakischer Christen nicht mittragen – mit der Begründung, man sehe lediglich Bedarf für schutzbedürftige Flüchtlinge aus dem Irak. Und auffällig war auch, dass insbesondere Kirchengemeinden, die sich der friedensstiftenden Zusammenarbeit mit Moscheegemeinden verpflichtet sahen, das Thema verfolgte Christen partout nicht anfassen wollten.

Hier wird es nun ganz absurd, und es wird eine Herzenskälte sichtbar, die so gar nicht zur Versöhnungsidee passen will: Um Muslime – die hier in Deutschland ziemlich ungestört ihrem Glauben nachgehen können – nicht in Verlegenheit zu bringen oder gar zu brüskieren, verzichtet man darauf, den Angehörigen des eigenen Glaubens beizustehen. Es gibt eine Art von interkultureller Versöhnungsarbeit, die aus Respekt oder Angst vor dem Anderen das Eigene missachtet. Das ist nicht mutig, sondern feige.

Der Westen steht weltweit im Wort

Nicht nur im Irak, sondern an vielen Orten der Welt werden Christen verfolgt, mal staatlich, mal von religiösen Eiferern. Die Christenheit macht keinen guten Endruck in der Welt, wenn sie nicht jeden einzelnen dieser Fälle als ureigene Angelegenheit sieht.

Das Christentum ist eine universalistische Religion, und diese hat lange gebraucht, bis es ihr gelungen ist, den ihr inne wohnenden Universalismus der Menschenrechte und ihre Grundachtung vor dem Individuum über den geschriebenen Buchstaben hinaus zu verwirklichen. Mit diesem Universalismus steht der Westen weltweit im Wort. Verzichtet er auf ihn, wird er nicht Achtung, sondern Hohn und Spott ernten.

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