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Infektiologe im InterviewWelche Rolle spielt die Kreuzimmunität bei Sars-CoV-2?

Können frühere Infektionen mit Erkältungs-Coronaviren vor einem schweren Krankheitsverlauf bei Covid-19 schützen? Die Hinweise dafür mehren sich.

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Deutschland, Singapur, Kalifornien, Grossbritannien, Niederlande – in verschiedenen Ländern haben Forscher bei Laborversuchen mittlerweile ein Phänomen entdeckt, das viele Fachleute zu Beginn der Pandemie für unwahrscheinlich hielten: die Kreuzimmunität. Der Begriff bedeutet im Fall der aktuellen Pandemie, dass das Immunsystem aufgrund von früheren Infektionen mit anderen Viren auch Sars-CoV-2 erkennen und erfolgreich bekämpfen könnte – obwohl diese Viren völlig neu sind.

Welche Rolle spielt die Kreuzimmunität bei Sars-CoV-2, Herr Bertoletti?

Forschungsergebnisse aus mehreren Ländern deuten darauf hin, dass ein grosser Anteil der Bevölkerung eine Kreuzimmunität gegenüber Sars-CoV-2 besitzt. Mehr als die Hälfte der Personen hätte demnach eine bereits erlernte Immunantwort gegen die neuen Coronaviren, und es besteht die Möglichkeit, dass sie daher vor einem schweren Verlauf geschützt wären.

Also sind solche Personen immun gegen Sars-CoV-2?

Das kommt darauf an, was Sie unter «immun» verstehen. Vergessen Sie die Idee, dass das Immunsystem einen wie ein Schutzschild komplett vor Infektionen bewahrt. Das passiert nur selten.

Wie muss man sich das vorstellen?

«Immun» zu werden bedeutet, dass das Immunsystem gefordert wird. Die Viren dringen in den Körper ein, beginnen, sich dort zu vermehren – und dann bekämpft das Immunsystem sie. Worauf es ankommt, ist, ob das Immunsystem die Infektion unter Kontrolle bringen kann. Und dabei könnte die Kreuzimmunität bei mehr als der Hälfte der Bevölkerung einen wichtigen Beitrag leisten.

«Es ist nicht wahr, wenn Sars-CoV-2 als teuflisches Virus bezeichnet wird.»

Antonio Bertoletti

Was haben Sie genau herausgefunden?

Wir haben bestimmte Abwehrzellen im Blut von Personen untersucht, die sicher noch keine Covid-19-Erkrankung durchgemacht haben. Bei etwa der Hälfte dieser Personen erkennen diese Abwehrzellen Bestandteile der neuen Coronaviren, obwohl sie zuvor noch nie Kontakt mit ihnen hatten. Das ist aber noch nicht alles: Diese sogenannten T-Zellen beginnen daraufhin sich zu teilen.

Also stehen bald immer mehr dieser Abwehrzellen bereit. Geben Sie Entwarnung?

Nein, wir müssen aufpassen, Masken tragen und so weiter. Aber es ist nicht wahr, wenn Sars-CoV-2 als teuflisches Virus bezeichnet wird und wenn die Menschen den Eindruck bekommen, dass man stirbt, wenn man daran erkrankt. Viele denken, wir müssen diese Viren komplett eliminieren. Die meisten von uns können aber mit ihnen leben und dank des Immunsystems die Infektion kontrollieren. Die Bevölkerungsgruppe, die wir jedoch schützen müssen, das sind die älteren Menschen. Ihr Immunsystem ist schwächer, hinzu kommen Erkrankungen und Übergewicht.

Bisher ist die Kreuzimmunität nur in Laborversuchen festgestellt worden. Kann man aus Experimenten mit wenigen Blutproben wirklich Rückschlüsse auf die breite Bevölkerung ziehen?

Ob und wie diese Abwehrzellen den Krankheitsverlauf von Covid-19 beeinflussen, ist noch nicht untersucht. Wir wissen also nicht, ob diese Kreuzimmunität, die wir da in Immunzellen aus Blutproben finden, ausreicht, damit das Immunsystem der Betroffenen eine Infektion mit Sars-CoV-2 unter Kontrolle bringt – aber es ist durchaus vorstellbar. Die allermeisten Menschen, die sich mit Sars-CoV-2 infizieren, erkranken nicht schwer. Vermutlich haben viele von ihnen das der Kreuzimmunität zu verdanken.

Weiss man, welche vorausgehenden Infektionen zur Kreuzimmunität führen könnten?

Vermutlich sind es andere Coronaviren. Infrage kommen die vier Typen von Coronaviren, die schon länger zirkulieren und immer wieder Erkältungen verursachen. Eine andere Hypothese ist, dass es zusätzlich Coronaviren aus dem Tierreich sind. Davon gibt es viele, und sie sind überall präsent. Manche Wissenschaftler vermuten, dass solche Viren auf den Menschen übergesprungen sind, ohne dass man es recht bemerkt hat.

Wie kommen Sie darauf?

Wir haben zum Beispiel bei gesunden Personen, die nie an Sars oder Covid-19 erkrankt waren, T-Zellen gefunden, welche die Sars-Viren erkennen. Eine Erklärung dafür ist, dass diese Personen unwissentlich früher einmal Kontakt mit anderen Sars-Viren von Tieren hatten. Im Tierreich zirkulieren die Sars-verwandten Cornonaviren. In einigen Monaten werden wir mehr dazu wissen.

«Mit der Kreuzreaktivität ist es wie bei einer Impfung: Mögliche Nebenwirkungen müssen genau untersucht werden.»

Antonio Bertoletti

Was läuft bei so einem Kontakt ab?

Denkbar ist, dass das Immunsystem an solchen Viren «lernt», an welchen Merkmalen Coronaviren zu erkennen sind und wie man sie beseitigt, und dass es das Erlernte dann auch bei den neuen Coronaviren anwendet.

Andere Forscher fanden nur in zwei oder drei von zehn untersuchten Blutproben Hinweise auf eine Kreuzimmunität. Sie gehen von über der Hälfte der Bevölkerung aus. Wie kommen Sie auf eine so hohe Zahl?

Wir haben in unserer Studie nur geprüft, ob die Abwehrzellen bestimmte Eiweissstoffe von Sars-CoV-2 erkennen. Diese Eiweissstoffe machen aber bloss etwa ein Fünftel aller Eiweissstoffe dieser Viren aus. Andere Forschergruppen haben den Immunzellen andere Bestandteile von Sars-CoV-2 «vorgelegt» – und ebenfalls eine Kreuzimmunität gefunden. Der Anteil kreuzreagierender Immunzellen steigt stark an, je mehr Virenteile man ihnen präsentiert.

Ärzte entnehmen Blutproben für Antikörper-Tests in Prag.

Eine Befürchtung ist, dass die frühere Infektion mit «alten» Coronaviren beim Kontakt mit Sars-CoV-2 zu einer überschiessenden, kaum kontrollierbaren Immunreaktion führen könnte. Gibt es dafür Hinweise?

Vor einem Monat hätte ich noch gesagt, ich weiss es nicht. Anfangs dachte ich, die Chancen stehen fifty-fifty, dass die Kreuzreaktivität schützt oder aber die Covid-19-Erkrankung sogar noch verschlimmert. Inzwischen aber haben wir schon über 200 Sars-CoV-2-infizierte Menschen getestet, und bisher konnten wir diese sogenannte «Enhancement»-Reaktion nicht beobachten. Das heisst aber nicht, dass es sie nicht trotzdem geben kann. Vielleicht passiert das bei manchen Personen, und vielleicht erklärt das die sehr schweren Krankheitsverläufe. Mit der Kreuzreaktivität ist es wie bei einer Impfung: Mögliche Nebenwirkungen müssen genau untersucht werden.

Könnte man testen, wer eine Kreuzimmunität hat?

Die Analyse von T-Zellen ist aufwendiger als die Suche nach Antikörpern. Die T-Zellen leben, sie müssen aus dem Blut «herausgefischt» werden, das alles braucht Zeit und technisch begabte Mitarbeiter. Wir denken aber darüber nach, einen massentauglichen Test zu entwickeln. Ich denke, das sollte machbar sein.

«Es ist unglaublich, was für eine Panik in den Medien verbreitet wird.»

Antonio Bertoletti

Wenn die Kreuzimmunität wirklich eine so grosse Rolle spielt, wird eine Impfung dann überflüssig?

Wenn man einen kompletten Schutz will, kann man mit einem guten Impfstoff vielleicht mehr erreichen als mit der Immunität, die man durch die Infektion erwirbt.

Die Zahl der Antikörper gegen Sars-CoV-2 kann nach einer Infektion offenbar schon nach kurzer Zeit wieder abnehmen. Ist das beunruhigend?

Es ist unglaublich, was für eine Panik deshalb in den Medien verbreitet wird. Natürlich sinken die Antikörperspiegel nach einer Infektion. Auch die Zahl der Abwehrzellen sinkt. Das Immunsystem hat reagiert, und danach geht es wieder zurück in den «Normalzustand».

Aber ist man dann noch geschützt?

Wieso sollte das Immunsystem dauernd mit voller Kraft Antikörper gegen Sars-CoV-2 produzieren, wenn die Infektion doch vorüber ist? Die sinkenden Antikörperspiegel bedeuten nicht, dass dann kein Immunschutz mehr besteht. Auch die Abwehrzellen verschwinden nicht komplett. Das Immungedächtnis in Bezug auf Coronaviren scheint weit zurück zu reichen. Wir haben bei einem Menschen, der an Sars erkrankt war, noch mehr als 15 Jahre später «Gedächtniszellen» des Immunsystems gefunden. Das heisst, das Immunsystem hatte die Sars-Erreger nicht vergessen.

Eine Studie aus Frankreich hat gezeigt, dass Kinder mit milder Covid-Erkrankung und solche, die heftiger betroffen waren, fast gleich hohe Antikörperspiegel gegen die «alten» Coronaviren hatten. Widerlegt das nicht die Idee der Kreuzimmunität?

Nein, überhaupt nicht. Diese Studie besagt nur, dass eine vorgängige Infektion mit «alten» Coronaviren nicht vor der Ansteckung mit den neuen schützt. Das hat aber auch nie jemand behauptet, weil es unwahrscheinlich ist, dass die B- und T-Abwehrzellen einen vollständigen Schutz vermitteln, in dem Sinn, dass keine einzige Zelle des Körpers infiziert wird. Die Kreuzimmunität kann aber vor einem schweren Verlauf schützen, und das ist der wichtige Punkt. Das ist wohl auch der Grund, warum die meisten Kinder in dieser Studie gar keine oder fast keine Symptome hatten.

«In Singapur betreffen die meisten Fälle im Moment junge, fitte und nicht übergewichtige Arbeiter.»

Antonio Bertoletti

Es gab Berichte von erneuten Infektionen mit Sars-CoV-2 schon wenige Monate nach der ersten Infektion. Was halten Sie davon?

Ich habe bisher noch nicht von bestätigten und gut untersuchten Fällen von erneuten Infektionen mit Sars-CoV-2 gehört. Wir sehen aber, dass bei einigen Patienten gegen Ende der Erkrankung sehr lange sehr geringe Mengen von Coronaviren nachgewiesen werden können. Die Tests schwanken oft zwischen positiven und negativen Ergebnissen. Ich würde aber auch nicht ausschliessen, dass eine erneute Infektion möglich ist. Allerdings würde die erlernte Immunantwort vermutlich bei einer zweiten Infektion die Vermehrung der Viren schneller bekämpfen, daher die Zeit der Übertragungsgefahr reduzieren und wahrscheinlich eine Erkrankung verhindern.

Wie ist die epidemische Lage bei Ihnen in Südostasien?

Gegenwärtig gibt es bei uns sehr wenig Neuansteckungen. In Singapur betreffen die meisten Fälle im Moment junge, fitte und nicht übergewichtige Arbeiter aus Bangladesh, die zu über 99 Prozent gar nicht oder nur leicht erkranken.

Erstaunlich ist die Lage in Vietnam: Das fast 100 Millionen Einwohner zählende Land hat bisher nur etwa 400 Infektionen gemeldet. Wie das?

Vietnam hat sicher viel gut gemacht. Möglicherweise spielt aber auch dort die Kreuzimmunität mit bestimmten Coronaviren eine Rolle. Die Hitze und die Luftfeuchtigkeit könnten ebenfalls einen Einfluss auf die Ausbreitung haben.

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