Von Merkels Orgien zu Söders Rausch CSU-Chef zieht sich Kanzlerinnen-Maske über

Ein Gastbeitrag von Thomas Paulwitz

Nun eifert Markus Söder Angela Merkel sogar schon in der Sprache nach. Was die „Öffnungsdiskussionsorgien“ der Bundeskanzlerin waren, ist nun des bayerischen Ministerpräsidenten „Öffnungsrausch“. Das soll wohl signalisieren, daß zwischen Merkel und Söder kein Blatt Papier paßt.

20. April 2020: In der Telefonkonferenz des CDU-Präsidiums beschwert sich Angela Merkel über „Öffnungsdiskussionsorgien“ – also über eine aus ihrer Sicht zu freizügige Debatte über die Rückkehr zu Grundrechten, die das Grundgesetz garantiert.

1. März 2021: In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer warnt Markus Söder vor einem „Öffnungsrausch“: „Wir müssen kluge Entscheidungen treffen und dürfen nicht die Nerven verlieren. Es sollte keinen Öffnungsrausch geben, sondern ein kluges Öffnen mit Leitplanken.“

Geht es etwa um die Eröffnung von Bordellen und Besäufnisanstalten?

Von Merkels Orgien nun also zu Söders Rausch: Beiden Wortschöpfungen ist eines gemeinsam: Ein Wort wie „Öffnung“, das für Freiheit steht, wird durch ein anderes Wort zerstört, das Ausschweifungen und Sittenverfall kennzeichnet. Merkel verbindet freie Marktwirtschaft mit „Orgien“, Söder mit „Rausch“. Als ob es nicht um die langersehnte Öffnung des Einzelhandels ginge, sondern um die Eröffnung von Bordellen, Drogenhöhlen und Besäufnisanstalten.

Die Absicht dahinter scheint klar: Wer für freiheitliche Regelungen eintritt, handelt unverantwortlich. Er „verliert die Nerven“ und wird zum Sicherheitsrisiko. So stempelt man Regierungskritiker zu Feinden des Allgemeinwohls ab. Diskussionen über unterschiedliche Standpunkte, grundsätzlich Merkmal einer funktionierenden Demokratie, gelten als Orgien und rauschhaftes und zügelloses Verhalten.

Gezielt gestreutes Schlagwort

Söder wäre jedoch nicht Söder, wenn er nicht versuchte, Merkel zu übertrumpfen und ein noch schärferes Schlagwort zu schaffen. „Öffnungsrausch“ ist kürzer, kerniger und kraftvoller als das typische Merkelsche Mäandertalerwort von den „Öffnungsdiskussionsorgien“.

Ein weiterer, wesentlicher Unterschied: Während der Ausdruck „Öffnungsdiskussionsorgien“ eher zufällig an die Öffentlichkeit geriet, streute Söder den „Öffnungsrausch“ gezielt in die Medien: nicht in einer dem Wesen nach vertraulichen Telefonkonferenz, sondern in einer öffentlichen Pressekonferenz. Daß ihm das Wort am 1. März nicht einfach so herausgerutscht ist, ist daran zu erkennen, daß er es schon am Vortag in Umlauf brachte. Da gab er zum Beispiel dem Bayerischen Rundfunk zu Protokoll, daß man jetzt nicht in „eine Art Öffnungsrausch“ verfallen und eine „dritte Welle“ riskieren dürfe.

Söder mit Merkel-Maske

Bemerkenswert ist, daß Söder Angela Merkels Ausdruck in ähnlicher Form wiederaufnimmt, ungeachtet der Kritik, die sie im April für ihre abfällige Rede von den „Öffnungsdiskussionsorgien“ erfahren mußte. Hier tritt jemand selbstsicher und festen Schrittes in die Fußtapfen der Kanzlerin. In der „Fastnacht in Franken“ verkleidete sich Söder schon als Edmund Stoiber und Prinzregent Luitpold. Jetzt hat er die Merkel-Maske übergezogen.

Handelt es sich also möglicherweise um eine versteckte Botschaft an die Kanzlerin? „Sieh nur, wir sprechen dieselbe Sprache!“ Oder ist es gar eine Nachricht an die CDU insgesamt? „Seht nur, ich spreche die Sprache von Angela Merkel!“ In beiden Fällen wäre es dasselbe Signal: Söder kann wie Merkel sein, Söder kann Kanzler sein.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

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Thomas Paulwitz (*1973) ist Mitbegründer und Chefredakteur der seit dem Jahr 2000 erscheinenden Zeitschrift DEUTSCHE SPRACHWELT (Erlangen).
Außerdem ist er Vorstandsvorsitzender der in Düsseldorf ansässigen Theo-Münch-Stiftung für die Deutsche Sprache sowie Vorstandsmitglied und Mitbegründer der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft zu Köthen/Anhalt. 2006 erhielt er den Gerhard-Löwenthal-Preis für Journalisten „in Anerkennung seiner herausragenden Verdienste für einen engagierten unabhängigen Journalismus“. Die Sprachpflegezeitschrift DEUTSCHE SPRACHWELT erscheint vierteljährlich in gedruckter Form und dient den Bürgern, die sich um die deutsche Sprache sorgen, als Sprachrohr. Der Bezug der spendenfinanzierten Zeitschrift ist kostenlos: Postfach 1449, 91004 Erlangen, [email protected]
Bild: Foto-berlin.net/Shutterstock
Text: Gast
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