Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wollen Entscheidungen in der Europäischen Union beschleunigen. Um dies zu erreichen, sprachen sich beide dafür aus, die Einstimmigkeit für einige Politikfelder aufzuheben. 

"Ich befürworte eine institutionelle Reform", sagte Macron. Der amtierende EU-Ratsvorsitzende bekräftigte, einstimmige Entscheidungen in Schlüsselfragen ergäben keinen Sinn mehr, wenn die EU sich schneller entwickeln wolle. Bereits beim EU-Gipfel am 23. und 24. Juni solle darüber diskutiert werden. Frankreich hat noch bis Ende Juni den Ratsvorsitz inne.

Von der Leyen sagte, Mehrheitsentscheidungen etwa in der Gesundheits- oder der Verteidigungspolitik seien sinnvoll, wenn Europa eine größere globale Rolle spielen wolle. Sie befürwortet daher nach eigenen Worten eine Ausweitung der Mehrheitsbeschlüsse zwischen den 27 Mitgliedsstaaten. Auch die Berliner Ampel-Koalition will Mehrheitsbeschlüsse in der EU voranbringen.    

Zukunftskonferenz für Europa

Macron und von der Leyen reagierten damit auf die Abschlusserklärung der sogenannten Konferenz zur Zukunft Europas. Ein Jahr lang hatten sich EU-Institutionen mit Bürgerinnen und Bürgern beraten, um Vorschläge für ein besseres und demokratischeres Europa zu erarbeiten. So wünschten sich die Menschen eine gerechtere und solidarischere EU mit einem verstärkten Kampf gegen den Klimawandel und schnelleren Entscheidungen. 

Die im Bericht aufgeführten Vorschläge umfassen neun Themen: Klimawandel und Umwelt, Wirtschaft, Migration, digitale Transformation, Demokratie, Bildung, Werte und Rechtsstaatlichkeit, Gesundheit und die Stellung der EU in der Welt. Sie zielen darauf ab, Diskriminierung zu beenden. Auch wird die Union aufgefordert, "mutig zu sein und schnell zu handeln", um eine Vorreiterrolle in Sachen Umwelt und Klima zu übernehmen – etwa, indem sie einen nachhaltigen Verkehr fördert und zu einer "echten Kreislaufwirtschaft" wird.

Dafür sind sie auch für einen Verzicht auf das Einstimmigkeitsprinzip der 27 Mitglieder zählenden Staatengemeinschaft bereit. Dieses gilt derzeit in den Bereichen Außen- und Sicherheitspolitik, Steuern, EU-Finanzen, einigen Bereichen der Justiz und des Inneren sowie der sozialen Sicherheit und des Sozialschutzes. 

Vertragsänderungen für Reformen

Mehr als 300 Vorschläge wurden im Anschluss der Zukunftskonferenz übergeben. Sie würden teils Vertragsänderungen nötig machen. Dies gilt etwa für die Forderungen nach erweiterten Kompetenzen der EU im Gesundheitsbereich oder einem Vorschlagsrecht des Europäischen Parlaments für Gesetze. Vertragsänderungen gelten aber als äußerst kompliziert und langwierig. Von der Leyen sagte jedoch, "wenn nötig" sollten die EU-Verträge geändert werden. Auch Macron zeigte sich offen dafür.

Um Verträge zu ändern, ist in der Regel ein kompliziertes Verfahren vorgesehen: Regierungen, das EU-Parlament oder die EU-Kommission können entsprechende Entwürfe vorschlagen, die dann den Staats- und Regierungschefs sowie den nationalen Parlamenten übermittelt werden. Wenn die Staats- und Regierungschefs mit einfacher Mehrheit den Änderungsvorschlägen zustimmen, wird ein Konvent von Vertretern der nationalen Parlamente, der Staats- und Regierungschefs, des EU-Parlaments und der Kommission einberufen. Dieser kann einstimmig eine Empfehlung zu den Entwürfen annehmen. Zudem müssen die Änderungen im Einklang mit den nationalen Verfassungen in Kraft gesetzt werden.   

Europaparlament schlägt Verfassungskonvent vor

Das Europaparlament hat für eine umfassende Reform der Europäischen Union sowie eine Änderung der EU-Verträge vorgeschlagen, einen Verfassungskonvent einzuberufen. Macron befürwortete das: "Wir werden unsere Texte reformieren müssen. Einer der Wege zu dieser Reform ist die Einberufung eines Konvents zur Revision der Verträge." Reformbedürftig seien etwa der Vertrag von Maastricht zum Euro und einer einheitlichen Geldpolitik oder das Schengener Abkommen zum Wegfall fester Grenzkontrollen innerhalb der EU.

Zeitgleich zur Ankündigung Macrons veröffentlichten 13 EU-Staaten ein Papier, in dem sie sich gegen einen Verfassungskonvent aussprachen. "Wir haben bereits ein Europa, das funktioniert", heißt es in der Stellungnahme. Es gebe keinen Grund, institutionelle Reformen durchführen, um Ergebnisse abzuliefern. "Wir erinnern daran, dass Vertragsänderungen nie ein Ziel der Konferenz waren." Das Papier wurde vor allem von nördlichen und östlichen EU-Ländern unterstützt, darunter Dänemark, Polen, Rumänien und Tschechien.

Macron warnte dagegen davor, sich von den Zögerern bei Reformvorhaben ausbremsen zu lassen. Man müsse sich vor der Avantgarde nicht fürchten, sondern mitreißen lassen. Der Wille, die 27 Mitgliedsstaaten zusammenzuhalten, bremse nach seiner Einschätzung die Ambitionen der EU bereits seit Längerem.