Nur noch eine Minderheit in Europa betet täglich, Tausende konvertieren zu anderen Religionen - immer mehr Muslime verabschieden sich innerlich von ihrer Religion, wie Religionswissenschaftler Michael Blume beobachet. Er hat über das Phänomen ein Buch geschrieben.
„Die Säkularisierung hat den Islam voll erfasst, die meisten Muslime machen ihre Glaubenszweifel aber bislang mit sich alleine aus und reden oft nur mit engsten Vertrauten darüber“, sagte er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst.
Der Islam befinde sich weltweit in einer tiefen Krise, auf die einige Muslime mit Radikalisierung und Gewalt antworteten, während noch viel mehr ihre religiöse Praxis verringerten oder ganz aufgäben.
Dieser „stille Rückzug“ zeige sich daran, dass nur noch eine Minderheit der Muslime in Europa das Gebet praktiziere, und Tausende Muslime zum Christentum, den Bahai oder den Religionen ihrer Vorfahren konvertieren, so der Autor des Buches „Islam in der Krise“, das am 31. August im Patmos Verlag erscheinen soll. Vor allem Frauen, Jugendliche und Gebildete würden sich aus den meist konservativen und bildungsfernen Moscheegemeinden zurückziehen.
Blume: „Säkularisierung statistisch verschleiert“
Diese Säkularisierung der Muslime wird nach Ansicht des Referatsleiters für die nichtchristlichen Religionen und Minderheiten im baden-württembergischen Staatsministerium allerdings statistisch verschleiert. „In den meisten auch staatlichen Statistiken in Deutschland werden mit Bezug auf den Islam absurde Fehler gemacht.“ Als Christ zähle zu Recht nur, wer getauft wurde und weiterhin einer Kirche angehört. Aber als Muslime zähle man alle Nachfahren muslimischer Eltern oder alle, die sich irgendwie noch so bezeichnen.
„Dies erinnert ungut an den türkischen Staat, der auch bei Kindern alevitischer, jesidischer oder nichtreligiöser Eltern ungefragt ‚Islam' im Personalausweis einträgt“, sagte Blume. Immer mehr ehemalige Muslime beschwerten sich daher zu Recht, dass sie statistisch als „Muslime“ geführt und religiösen Verbänden zugerechnet werden, mit denen sie nichts zu tun haben und nichts zu tun haben wollen.
Der Religionwissenschaftler schlug vor, dass nur diejenigen als Muslime zu zählen sind, die bereit sind, einen monatlichen Beitrag für ihre Religion zu zahlen. Nur etwa 20 Prozent der Menschen mit muslimischen Hintergrund gehörten bislang einem religiösen Verband an – mit eher sinkender Tendenz. „Wir müssen uns schon fragen, ob der Staat für Leute den Religionsunterricht auf Dauer organisieren und finanzieren soll, die selbst überhaupt keine Beiträge an eine Religionsgemeinschaft leisten.“