WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Politik
  3. Ausland
  4. Erster Auftritt: Pussy-Riot-Frauen wollen für Häftlinge kämpfen

Ausland Erster Auftritt

Pussy-Riot-Frauen wollen für Häftlinge kämpfen

Kaum aus dem Gefängnis, stellen die Musikerinnen klar: Sie wollen weiter für Menschenrechte in Putins Russland kämpfen. Zusammen mit dem Blogger Alexej Nawalny sollen Häftlinge unterstützt werden.

Im kleinen Moskauer Studio des unabhängigen russischen Fernsehsenders Doschd herrscht Gedränge. Dutzende Kameraleute bauen ihre Stative auf. Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Aljochina von der Punkband Pussy Riot werden gleich ihre erste Pressekonferenz nach der Freilassung abhalten. Sie haben es gerade so pünktlich geschafft. Am frühen Morgen waren sie aus der Stadt Krasnojarsk in Sibirien losgeflogen. Gleich nach der Ankunft hat Nadeschda Tolokonnikowa noch schnell ihre Tochter Gera gesehen.

Der Sender hat die Pressekonferenz „Heißer Draht“ genannt – so nennen sich auch die jährlichen Bürgerfragestunden mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Doch im Unterschied zu Putins inszenierten Livesendungen sollen hier richtige Fragen gestellt werden dürfen, Fragen, die eben niemand im Vorfeld kennt. Die Fragen können auch per Skype und Twitter geschickt werden. Doschd versteht sich als Gegenprogramm zu den staatlichen Sendern: Man hat nicht viel Geld, aber man ist unabhängig.

Nach einer kleinen Pause kommen Tolokonnikowa und Maria Aljochina an den Tisch, auf dem Dutzende Mikrofone aufgestellt sind, sie wirken ruhig. Wer eine bunte Show erwartet hat, ist hier falsch. Die beiden jungen Frauen wollen vor allem über eine Menschenrechtsorganisation sprechen, die sie nun gründen wollen. Doch die erste Frage, die ihnen gestellt wird, lautet: „Glauben Sie an Gott?“ Nadeschda Tolokonnikowa antwortet: „Ich glaube an das Schicksal.“

„Im Gefängnis zwischen Leben und Tod“

Gleich danach werden sie gefragt, warum sie sich nicht gleich nach der Freilassung mit ihren kleinen Kindern getroffen haben, sondern mehrere Tage zusammen in Krasnojarsk verbracht haben. Tolokonnikowa antwortet: „Wir haben uns in Krasnojarsk getroffen, um unser neues Projekt zu besprechen. Unser Leben ist mit diesem Projekt verbunden. Wir fühlen unsere Verantwortung.“ Auch Aljochina ist das Projekt enorm wichtig. „Es gibt Menschen, die in diesem Moment im Gefängnis zwischen Leben und Tod sind“, sagt sie – und merkt ein wenig schnippisch an: „Wenn Männer entlassen worden wären, würde jetzt die Frage nach Kindern nicht gestellt.“

Damit ist klar: Nach der Freilassung wollen Tolokonnikowa und Aljochina für Rechte von Häftlingen kämpfen. „Wir sind jetzt andere Menschen, wir haben eine Zeit in Haft verbracht, die sich von Ihrer Realität unterscheidet.“ Die kremlnahe Boulevardzeitung „Lifenews“ ist auch vor Ort und fragt nach der Finanzierung der neuen Organisation, ob vielleicht der freigelassene Ex-Oligarch Michail Chodorkowski Geld gebe. Tolokonnikowa sagt, sie würden Chodorkowski nicht nach Geld fragen.

Auch die Marke Pussy Riot wollen sie nicht nutzen, um Geld zu bekommen. „Wir sind kein Teil der kommerziellen Welt“, ergänzt Tolokonnikowa. Sie haben beschlossen, auf die Marke Pussy Riot komplett zu verzichten. Die Organisation werde sich durch Spenden über das Internet finanzieren. Mit von der Partie werde aber der oppositionelle Blogger Alexej Nawalny sein.

Häftlinge bei Klagen unterstützen

Maria Aljochina betont: „Das Schlimmste ist, dass die Mehrheit der Menschen sich dafür nicht interessiert.“ Die Aufgabe sei, zu erklären, warum es wichtig ist, sich mit Gefängnissen zu beschäftigen. Das werde am Ende der Gesellschaft auch mehr Sicherheit bringen. „Der russische Staat ist nur daran interessiert, viele Polizeiuniformen zu niedrigen Preisen nähen zu lassen“, sagt Aljochina. Die Frauen wollen die Häftlinge damit unterstützen, ihre Klagen gegen Haftbedingungen und Gewalt rechtlich durchzusetzen.

Und wollen sie politisch aktiv werden? Tolokonnikowa schließt das zumindest nicht komplett aus. „Menschenrechtsaktivität ist zurzeit in Russland eine politische Aktivität“, sagt sie denn auch. „Das Schwierigste in Putins Russland ist die Unmöglichkeit, zu sprechen und gehört zu werden. Ich bin Aktivistin geworden, weil normale politische Aktivität totgeschwiegen wird. Das ist die Tragödie einer ganzen Generation, die etwas sagen will, aber nicht darf.“

Indirekter Aufruf zum Sotschi-Boykott

Und die beiden Musikerinnen halten auch eine Botschaft bereit, was die Olympischen Spiele in ihrem Land angeht. Tolokonnikowa sagt dazu: „Die Reise zu den Winterspielen in Sotschi bedeutet – ob man das will oder nicht – Akzeptanz für den politischen Kurs von Wladimir Putin. Es soll die persönliche Wahl jedes Einzelnen sein, ob er die Politik von Putin akzeptiert oder nicht.“

Und Aljochina ergänzt: „Ich möchte Menschen im Ausland auf Folgendes aufmerksam machen: Sie sollen zu den Spielen nicht wie zu jedem anderen Sportevent kommen. Nehmen Sie es als ein politisches Ereignis wahr. Wenn Sie kommen, denken Sie bitte daran, dass es in unserem Land Menschen gibt, die diese Möglichkeit nicht haben, weil sie hinter Gittern sind.“

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema