Olaf Scholz im Time Magazine: Man darf das Volk nicht zu ernst nehmen

Der Kanzler sprach zwei Stunden mit der US-Zeitschrift. Dabei fielen bemerkenswerte Sätze über seine Vorstellung von Führung und das Verhältnis zu Russland.

„Deutschlands Moment: Kanzler Olaf Scholz könnte den Platz seines Landes in der Welt verändern – wenn er schnell genug handelt“, findet das Time Magazine.
„Deutschlands Moment: Kanzler Olaf Scholz könnte den Platz seines Landes in der Welt verändern – wenn er schnell genug handelt“, findet das Time Magazine.Screenshot: Website vom Time Magazine/Mark Peckmezian

Vor fünf Tagen sprach Scholz zwei Stunden mit dem Time Magazin. Es ist das erste längere Gespräch mit einem ausländischen Medium seit Beginn des Krieges. Im Artikel, der daraus entstand und der aktuell offenbar auch das Cover der Zeitung zieren soll, spricht Scholz über seinen Führungsstil, die Zeitenwende und den Kurs gegenüber Russland. Besonders bemerkenswert sind die Aussagen zu seinem Amtsverständnis. In einem Absatz wird er befragt, was sein Auftrag als Kanzler in dieser historischen Situation sei.

„Seiner Ansicht nach wurde er vom deutschen Volk beauftragt, das Land so zu führen, wie er es für richtig hält – und nicht, wie es die Umfragen sagen“, schreibt die Autorin Lisa Abend. Dann wird es wirklich spannend: „Wenn man eine gute Führungspersönlichkeit ist, hört man auf das Volk“, sagt Scholz und ergänzt: „Aber man meint nie, das Volk will genau das, was es fordert.“ („But you never think they really want you to do exactly what they propose.“)

Besuch bei Putin war „sehr schlechte Erfahrung“

Scholz erzählt auch über seinen letzten Besuch bei Wladimir Putin am 15. Februar. Das Treffen beschreibt Scholz als eine „sehr schlechte Erfahrung“. Als Putin ihm dabei seine Vorstellungen von einem „Großrussland“ erläutert habe, habe Scholz dagegengehalten: „Ich habe gesagt: ‚Verstehen Sie doch bitte, wenn die Politiker anfangen, in den Geschichtsbüchern nachzuschauen, wo die Grenzen vorher waren, dann würden wir noch Hunderte von Jahren Krieg führen.‘“ Offensichtlich ließ sich der russische Machthaber davon nicht nachhaltig beeindrucken.

Scholz erklärt, weshalb ihm der Kampf um die Souveränität der Ukraine so wichtig ist. „Kein Land ist der Hinterhof eines anderen.“ Das sei eine imperialistische Auffassung von Politik. „Deshalb mussten wir so stark reagieren, wie wir es getan haben.“

„Scholz ist ein ruhiger Typ, okay. Aber er muss reden“

In dem Stück kommen auch Kritiker des Scholz’schen Kurses zu Wort. So unter anderem Toni Hofreiter und Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Letztere lobt die Reaktion des Kanzlers auf den Einmarsch der Russen, jene Zeitenwende-Rede, aber fordert mittlerweile mehr. „Es war ein wirklich großer Moment“, sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag dem Time Magazine über die Rede. „Und dann wurde es still.“

Sie kritisiert die Kommunikation des Kanzlers. „Wir erzählen die Geschichte nicht“, sagt Strack-Zimmermann. „Wir müssen erklären, was in der Ukraine passiert und was das für die Deutschen und für Europa bedeutet. Wir müssen unseren Verbündeten erklären, was wir mit Waffen machen. Und okay, er ist ein ruhiger Typ. Aber er muss reden.“

Das zukünftige Verhältnis zu Russland

Und Scholz lässt sich, nach einigem Nachhaken – so beschreibt es Autorin Lisa Abend – auch zu einer Einschätzung des zukünftigen Verhältnisses zu Russland zitieren. Auf die Frage, ob er sich eine Annäherung an Russland vorstellen kann, räumt Scholz ein, dass es kein Zurück mehr gebe.

Zwar werde Russland „eine Realität“ bleiben, mit der die Ukraine ein Friedensabkommen schließen müsse, wie Scholz es ausdrückt. Doch „wird es nie mehr eine besondere Beziehung zwischen Deutschland und Russland geben, die nicht die europäische Beziehung zu Russland ist“.