Die Hagia Sophia in Istanbul wird wieder eine Moschee

Mit der Umwandlung des bekanntesten Gebäudes der türkischen Metropole erfüllt Erdogan den Wunsch konservativ-religiöser Kreise. Für die Anhänger einer säkularen Türkei ist der Entscheid ein weiterer Rückschlag.

Volker Pabst, Istanbul
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Eine Flagge mit dem Antlitz des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan weht über der Hagia Sophia. Diese kann nach einem Gerichtsentscheid wieder in eine Moschee umgewandelt werden.

Eine Flagge mit dem Antlitz des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan weht über der Hagia Sophia. Diese kann nach einem Gerichtsentscheid wieder in eine Moschee umgewandelt werden.

Emrah Gurel / AP

Nach 86 Jahren soll die Hagia Sophia wieder ein islamisches Gotteshaus werden. Der türkische Staatsrat, eines der höchsten Gerichte des Landes, hat am Freitag einen Regierungsbeschluss von 1934 aufgehoben, der das bekannteste Gebäude Istanbuls zu einem Museum gemacht hatte. Damit ist der Weg für die symbolträchtige Rückwandlung des ikonischen Bauwerks in eine Moschee frei.

Unmittelbar nach Bekanntgabe des Entscheids überwies Präsident Recep Tayyip Erdogan die Hagia Sophia per Erlass an die staatliche Religionsbehörde Diyanet. Wann ein erstes Gebet stattfinden wird, ist noch unklar. Im Vorfeld war mehrmals vom 15. Juli die Rede gewesen, dem Jahrestag des gescheiterten Putschversuches von 2016. Auch das wäre ein Schritt von grosser symbolischer Bedeutung.

Ein Gebäude von hohem Symbolwert

Die meistbesuchte Sehenswürdigkeit von Istanbul ist eng mit der wechselvollen Geschichte der Stadt verwoben. Die Hagia Sophia wurde 537 als grösste Kirche des Byzantinischen Reichs erbaut und diente lange als Sitz des orthodoxen Patriarchen von Konstantinopel. Unmittelbar nach der Eroberung der Stadt durch die Osmanen 1453 soll sich Sultan Mehmet der Legende nach direkt zur Hagia Sophia begeben haben, um dort ein erstes Gebet zu verrichten. Fortan diente das Bauwerk als Moschee.

Mustafa Kemal Atatürk, der erzsäkulare Gründerpräsident der türkischen Republik, liess die übertünchten byzantinischen Fresken und Mosaike wieder freilegen und machte das Gebäude 1934 zu einem Museum. Das Nebeneinander von Koransuren und orthodoxen Heiligen im Innern des Kuppelbaus widerspiegelt die christliche und die islamische Vergangenheit des einzigartigen Bauwerks.

Die Forderung, die Ayasofia, wie der Monumentalbau in der Türkei genannt wird, wieder als Moschee zu nutzen, gab es auf religiöser Seite immer. Politisch auf grösseren Widerhall stiess sie aber erst unter der nationalreligiösen AKP von Recep Tayyip Erdogan. Vor den hart umkämpften Lokalwahlen 2019 stellte der türkische Präsident erstmals auch persönlich die Umwandlung in Aussicht, ohne der Ankündigung allerdings Taten folgen zu lassen.

Als das Thema vor einigen Wochen wieder auf die Agenda kam, glaubten viele Beobachter, es handle sich erneut um ein kurzlebiges Ablenkungsmanöver angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage. Doch nun hat Erdogan Ernst gemacht. Angesichts der stark politisierten Justiz in der Türkei zweifelt niemand daran, dass der Staatsrat sein Urteil in Einklang mit der Regierung fällte.

Internationale Kritik

Der Entscheid wurde im Vorfeld international aufmerksam verfolgt, wobei unterschwellig immer Spuren eines islamisch-christlichen Kulturkampfs durchschimmerten. Unter anderem forderte der amerikanische Aussenminister Pompeo die Beibehaltung des Status als Museum.

Die grösste Bedeutung kommt der Hagia Sophia in der orthodoxen Welt zu, wo das Schicksal Konstantinopels in der Selbstwahrnehmung bis heute eine Rolle spielt. Der russische Patriarch Kyrill erklärte Anfang Juli, dass eine Umwandlung der Hagia Sophia eine Bedrohung für Russlands Spiritualität darstelle. Noch schärfere Töne kamen aus Griechenland, wo die Identifikation mit dem christlichen, griechischsprachigen Konstantinopel am grössten ist und die Umwandlung als explizit antigriechischer Schritt verstanden wird. Politiker in Athen stellten dabei auch eine Verbindung zur gegenwärtigen grossen Verstimmung zwischen den beiden Ländern her.

Die Türkei weist jegliche Kritik als Einmischung in innere Angelegenheit ab. «Die Hagia Sophia befindet sich auf türkischem Territorium, sie wurde erobert!», erklärte Aussenminister Cavusoglu in einem Interview. In Zeiten, in denen die imperiale Vergangenheit vielerorts kritisch hinterfragt wird, mag die hierzulande bis heute fast ausschliesslich positive Konnotation der Eroberung erstaunen, selbst wenn man um den im Koran festgehaltenen Aufruf weiss, Konstantinopel für den Islam zu gewinnen. Dass die Türkei in der Nutzung der Hagia Sophia über volle Souveränität verfügt, ist rechtlich aber unbestritten.

Eine Stellvertreterdebatte über die Identität der Türkei

Kritik von aussen führt hierzulande meistens dazu, dass sich eine grosse Mehrheit der Bevölkerung hinter die Regierung stellt. Dies könnte auch diesmal Teil des Kalküls von Erdogan sein, dessen Umfragewerte nach unten zeigen. Allerdings spielte die internationale Dimension in der innertürkischen Diskussion immer nur eine untergeordnete Rolle.

Wichtiger als der im Ausland primär wahrgenommene christlich-islamische Gegensatz um die Hagia Sophia ist in der Türkei der säkular-religiöse. Das historische Bauwerk ist zum Objekt einer Stellvertreterdebatte um die Identität des Landes geworden. Säkulare Kreise sehen die Umwandlung in eine Moschee als Angriff auf Atatürks Erbe und als weiteren Rückschlag für die einst so pluralistische Identität Istanbuls.

Während die Opposition die Pläne der Regierung anfangs offen kritisierte, ist es in den vergangenen Wochen ruhiger geworden. Gerade für Ekrem Imamoglu, den Hoffnungsträger der Opposition, dürfte es als Oberbürgermeister von Istanbul schwierig sein, die nicht nur in ultrareligiösen Kreisen populäre Umwandlung des wichtigsten Bauwerks seiner Metropole offen zu verurteilen.

Stattdessen erwarb die Stadt Istanbul an einer Auktion in London kürzlich für einen Millionenbetrag ein Porträtbild von Mehmet dem Eroberer, das nun in einem städtischen Museum zu sehen ist. Die Botschaft: Auch wir wissen an die glorreiche osmanische Vergangenheit anzuknüpfen, allerdings ohne andere vor den Kopf zu stossen. Der Bruch mit dem osmanischen Erbe war – ebenso wie der erzwungene Säkularismus – in breiten Bevölkerungsschichten nie sonderlich populär, was Erdogans AKP besser als jede andere Partei zu nutzen wusste. Der Erfolg eines Oppositionspolitikers wie Imamoglu beruht auch darauf, dass er in beiden Fragen kompromissbereiter ist, als es seine Partei lange war.

Christliche Bildnisse sollen bewahrt werden

Bis jetzt ist unklar, wie die Umnutzung der Hagia Sophia umgesetzt wird. Namhafte Wissenschafter hatten im Vorfeld in einem offenen Brief erklärt, nicht die Verwendung des einzigartigen Baus, sondern dessen Erhalt sei die zentrale Frage. Sorge besteht vor allem darin, dass die kunstvollen Fresken aus christlicher Zeit dauerhaft beschädigt würden. In islamischen Gotteshäusern sind keine Bildnisse erlaubt. Während in Trabzon an der Schwarzmeerküste eine Lösung mit Vorhängen gefunden wurde, kam es bei anderen Umwandlungen ehemaliger Kirchen zu Moscheen zu schweren Schäden am kulturhistorischen Erbe.

Der Präsidentenberater Ibrahim Kalin, ein enger Vertrauter Erdogans, erklärte am Donnerstag gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu, dass die Wiederzulassung islamischer Gebete in der Hagia Sophia keine Zerstörung der christlichen Darstellungen nach sich ziehen werde. Der Status als Weltkulturerbe werde bewahrt, und Touristen könnten das Gebäude weiterhin besuchen. Weitere Details werden von der Ansprache des Präsidenten erwartet, die für Freitagabend auf 20 Uhr 53 angekündigt wurde. Im Jahr 2053 wird sich die Eroberung Istanbuls zum 600. Mal jähren. Am Symbolwert der Entscheidung lässt auch Erdogan keinen Zweifel.