Anzeige

Jurist zu Impfpflicht-Debatte "Wenn sich jemand partout nicht impfen lassen will, kann das schon schwierig werden"

Impfgegner
Teilnehmerin einer Protestkundgebung der Initiative "Querdenken" in Stuttgart
© Christoph Schmidt/dpa
Deutschland diskutiert über Sonderrechte für Geimpfte. Dabei wird oft aus einem moralisch-ethischen Standpunkt argumentiert. Aber wie sieht die gesetzliche Lage aus? Der stern hat bei Manuel Leidinger, Rechtsanwalt und Pressereferent aus Köln, nachgefragt.

Kaum ist die Impfkampagne gegen das Coronavirus angelaufen, wird in Deutschland auch schon gestritten: Sollen Geimpfte besondere Rechte genießen dürfen oder nicht? Wie könnte das in der Praxis überhaupt aussehen? Und vor allem: Wie sieht eigentlich die gesetzliche Lage aus?

Der stern hat mit Manuel Leidinger, Rechtsanwalt und Pressesreferent der Kölner Kanzlei Wilde Beuger Solmecke, über Grundrechte, Impfgegner und eine Stigmatisierung von Nicht-Geimpften gesprochen.

Herr Leidinger, ganz allgemein gefragt: Werden Geimpfte in den kommenden Monaten anders behandelt werden als Nicht-Geimpfte? Befürchten Sie da eine Zweiklassengesellschaft?

Man kann es nicht komplett ausschließen.

Werden Restaurantbesitzer künftig also Nicht-Geimpfte abweisen?

Restaurants oder Cafés haben grundsätzlich ein Hausrecht. Sie genießen Vertragsfreiheit und können sich demnach aussuchen, mit wem sie Verträge schließen. Sie können also sagen: Ich lasse nur geimpfte Leute in mein Restaurant, und ich bediene nur geimpfte Leute.

Glauben sie, dass viele von dieser Freiheit Gebrauch machen werden?

Ich halte es nicht für komplett unwahrscheinlich. Ich habe aber auch Stimmen aus der Politik gehört, die dann ein Verbot gegen ein solches Vorgehen aussprechen wollen würden.

Wäre ein solches Verbot denn realistisch? Damit würde Restaurants quasi vorgeschrieben werden, auch Nicht-Geimpfte zu bewirten.

Ein komplettes Verbot wäre sehr extrem, weil es einen extremen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit und damit auch in die Privatautonomie der Betroffenen bedeuten würde. Der Gesetzgeber hat die Grundrechte der Restaurantbesitzer zu berücksichtigen. Aber möglicherweise gibt es Wege, hier regulierende Maßnahmen zu treffen.

Wie sieht es denn bei der Lufthansa aus? Darf sie geimpften Passagieren den Vorzug lassen?

Die Lufthansa oder auch die Deutsche Bahn haben eine Beförderungspflicht. Die können nicht einfach sagen: "Wir nehmen nur Geimpfte mit!", sondern müssen auch alternative Wege finden, um die Infektionsgefahr unter den Passagieren einzudämmen.

Zum Beispiel?

Sie könnten sich von den Passagieren einen negativen Corona-Test vorzeigen lassen. Lufthansa-Chef Carsten Spohr hat bereits angekündigt, dass Langstreckenflüge künftig wohl nur mit einem negativen Corona-Test oder einem Impfnachweis möglich sein werden. 

Wenn Sie einen Impfgegner zum Freund hätten: Was würden Sie dem sagen, was er in den nächsten Monaten zu erwarten hat?

Das ist natürlich schwierig zu prognostizieren, weil sich gerade gefühlt ständig etwas ändert. Ständig werden neue Gesetze und Verordnungen erlassen. Aber wenn sich jemand partout nicht impfen lassen will, kann das schon schwierig werden. Das ist letztlich auch eine Herausforderung für den Gesetzgeber, die Leute zu berücksichtigen, die sich aus berechtigten Gründen weigern. Da muss ein Ausgleich geschaffen werden.

Sehen Sie die Gefahr, dass ein sogenannter Corona-Pass die Nicht-Geimpften stigmatisieren könnte?

Mmh. Das ist natürlich keine rechtliche Frage mehr. Sagen wir es so: Ich hoffe es nicht. Es wäre fatal, wenn die Impfung die Gesellschaft spalten würde. Das darf nicht die Folge sein.

Unter der Voraussetzung, dass eine Impfung tatsächlich davor schützen kann, andere Menschen anzustecken, was ja wissenschaftlich noch nicht geklärt ist: Wie realistisch wäre die Einführung einer Impfpflicht denn unter rein juristischen Gesichtspunkten?

Eine komplette Impfpflicht halte ich für sehr unwahrscheinlich. Sie wäre ein erheblicher Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit der Bürger und in die allgemeine Handlungsfreiheit. Es müssen immer auch die Menschen berücksichtigt werden, bei denen eine Impfung möglicherweise auch mit gesundheitlichen Gefahren verbunden ist. Realistischer wäre, dass man einzelnen Bevölkerungsgruppen eine Impfpflicht auferlegt.

Welche könnten das sein?

Für eine beschränkte Impfplicht gibt es bereits eine Gesetzesgrundlage im Infektionsschutzgesetz. Sie wäre denkbar für Pflegekräfte, für Ärzte, für Menschen, die im Krankenhaus arbeiten – also Menschen, die eben besonders gefährdet sind, sich anzustecken. Das kann durchaus kommen. Das gibt es ja bereits bei der Masernimpfung, zu der Mitarbeiter in Krankenhäusern und Arztpraxen oder Kitas und Horten verpflichtet sind.

Ist das Grundrecht auf die Normalität, zu der wir als geimpfte Gesellschaft zurückkehren würden, in einer Demokratie nicht mindestens genauso hoch zu bewerten wie das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit?

Es ist gut, dass Sie das sagen. Es muss natürlich immer eine Abwägung stattfinden zwischen der allgemeinen Handlungsfreiheit, der körperlichen Unversehrtheit und dem Gesundheitsschutz in der Gesamtbevölkerung – denn der ist ein anderes hohes Gut, das dem gegenübersteht.

Und zu welchem Ergebnis kommen Sie bei dieser Abwägung?

Wenn es um eine allgemeine Impfpflicht geht, überwiegen meines Erachtens die allgemeine Handlungsfreiheit und das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit des Einzelnen. Eine beschränkte Impfpflicht bei bestimmten Risikogruppen ist dagegen eher denkbar und kann verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden.

VG-Wort Pixel