«Genderpolizei»: SVP-Politikerin empört sich über Sprachregeln im Zürcher Rathaus

Im Zürcher Stadtparlament wird ein Vorstoss zurückgewiesen, weil er nicht «geschlechtergerecht» formuliert ist. Die SVP-Gemeinderätin Susanne Brunner will dies so nicht hinnehmen.

Daniel Fritzsche
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Susanne Brunner wehrt sich gegen die «Verhunzung der deutschen Sprache», wie sie es nennt. (Bild: Christoph Ruckstuhl / NZZ)

Susanne Brunner wehrt sich gegen die «Verhunzung der deutschen Sprache», wie sie es nennt. (Bild: Christoph Ruckstuhl / NZZ)

Ende Mai haben linke Aktivistinnen und Aktivisten im Zürcher Pfingstweidpark ein Festival veranstaltet. Sie protestierten gegen die in ihren Augen «herzlose Asylpolitik». Das Sicherheitsdepartement liess die Besetzer gewähren – trotz fehlender Bewilligung und Lärmklagen aus dem Quartier.

Dies machte die SVP-Stadtparlamentarierin Susanne Brunner stutzig, und sie tat, was eine Stadtparlamentarierin in einem solchen Fall tun kann: Sie reichte im Gemeinderat eine sogenannte Interpellation ein. Darin stellte sie konkrete Fragen: Warum hat die Polizei das Gelände nicht geräumt? Wer bezahlt die Beseitigung von Abfall und Sprayereien?

Der Vorgang ist soweit nicht sonderlich spektakulär. Die SVP äussert sich im rot-grün dominierten Parlament immer wieder kritisch und versucht, die Stadtregierung unter Druck zu setzen. Dennoch war diesmal etwas anders: Das Büro des Gemeinderats akzeptierte Brunners Vorstoss nicht. Mitte Juni hat es ihn zurückgewiesen. Dies, weil die SVP-Frau die Richtlinien zum Abfassen eines solchen Vorstosses verletzt habe – «insbesondere was die sprachliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern betrifft». So heisst es im Rückweisungsschreiben, das der NZZ vorliegt.

Ein einmaliger Vorgang

Konkret verwendete die einstige Stadtratskandidatin beim Verfassen ihrer Interpellation fast ausschliesslich die männliche Form. Sie schrieb von «Besetzern», «Anwohnern» und «Touristen». Nur im ersten Satz nannte sich neben den «Aktivisten» auch die «Aktivistinnen».

Der zweite Vizepräsident des Gemeinderats, der die Vorstösse jeweils prüft, wies Brunner darauf hin, dass dies so nicht gehe. Brunner weigerte sich, Anpassungen zu machen. «Ich finde es sprachlich nicht schön, wenn in jedem Satz beide Geschlechter genannt werden müssen», sagt sie. «Das ist nicht mein Stil.» Das Binnen-I (BesetzerInnen) oder substantivierte Partizipien (Besetzende) sind für sie ein Graus, eine «Verhunzung der deutschen Sprache».

Das Büro, in dem 13 Parlamentarierinnen und Parlamentarier sitzen, liess dies nicht gelten: Per Mehrheitsentscheid hielt es fest, dass die Interpellation so nicht entgegengenommen werden kann. «Ich war entsetzt», sagt Brunner. «Sprachregeln sollten doch kein Kriterium dafür sein, ob ich meine politischen Rechte ausüben kann oder nicht.» Durch das Vorgehen sieht sie Grundrechte verletzt, namentlich jenes der Meinungsäusserungsfreiheit.

Tatsächlich ist der Vorgang im Zürcher Stadtparlament einmalig. Noch nie sei ein Vorstoss aus diesen Gründen zurückgewiesen worden, heisst es bei den Parlamentsdiensten auf Anfrage. Vom Ablauf her sei aber korrekt gehandelt worden. Welche Bedingungen ein Vorstoss erfüllen muss, ist in den Ausführungsbestimmungen zur Geschäftsordnung des Gemeinderats festgehalten. Diese Richtlinien kann das Büro in eigener Kompetenz anpassen.

Der Absatz zur «geschlechtergerechten Sprache», auf den sich die Rückweisung stützt, ist am 1. Mai 2018 in Kraft getreten – also erst vor relativ kurzer Zeit. Dort heisst es: «Frauen und Männer sind sprachlich gleichberechtigt zu behandeln.»

Seit dem Frauenstreik die Relationen verloren

Seitdem der Passus gilt, beobachten vor allem Politiker auf der rechten Ratsseite ein strengeres Regime. Vorstösse müssten häufiger nachgebessert werden. In der SVP-Fraktion kursieren Begriffe wie «Genderpolizei». Susanne Brunner findet, dass die rot-grüne Mehrheit Andersdenkende mit der Brechstange umerziehen will. «Ausgerechnet die, die sonst immer Toleranz predigen, wollen mir nun vorschreiben, wie ich Sätze zu formulieren habe.» Dies gehe viel zu weit. Brunner spricht von «Zwängerei».

Spätestens seit den Diskussionen rund um den Frauenstreik habe man die Relationen verloren, sagt Brunner. Sie selber sehe die Gleichstellung zwischen Mann und Frau erreicht. Wenn sie in Texten die männliche Form verwende, meine sie die weibliche stets mit. Dabei verweist die SVP-Gemeinderätin auf eine kürzlich veröffentlichte, gewichtete Umfrage von «20 Minuten». Beinahe 80 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wandten sich gegen die Aussage, dass Geschlechterstereotype durch die Sprache zementiert würden. «Das zeigt, dass sich der Zürcher Gemeinderat in dieser Frage verrannt hat», sagt Brunner.

Nicht alle sehen dies so. Die SP-Politikerin Helen Glaser ist zurzeit erste Vizepräsidentin des Gemeinderats und damit Teil des Büros. Hauptberuflich arbeitet sie als Gesetzesredaktorin beim Bund. Glaser findet es richtig, dass beim Einreichen von Vorstössen auf geschlechtergerechte Sprache geachtet wird. «Das gehört für mich zu einem modernen Parlamentsbetrieb dazu», sagt sie. Der Gemeinderat vertrete schliesslich nicht bloss die Zürcher, sondern zum gleichen Mass auch die Zürcherinnen.

Sie beobachtet, dass es vor allem auf der rechten Ratsseite zuweilen Widerstand gebe. Auf der linken Seite sei man für das Thema stärker sensibilisiert. Aber auch dort musste das Büro schon korrigierend eingreifen. Dann etwa, wenn Texte mit dem «Gendersternchen» (Besetzer*innen) versehen sind. «Das ist so nicht vorgesehen», sagt Glaser. Grundsätzlich orientiere man sich bei der Prüfung an dem Sprachreglement, an das sich auch der Stadtrat und die Verwaltung beim Verfassen von Texten hielten.

Ein Fall für die Gerichte?

Susanne Brunner will die Rückweisung nicht einfach so akzeptieren. Vermutlich noch diese Woche wird sie eine erneute Interpellation zum Pfingstweidpark mit dem fast wortgleichen Inhalt einreichen. Neu kommt eine Anmerkung hinzu, in der sie so umfassend wie möglich festhält: «Im nachfolgenden Text wird für die Bezeichnung von Individuen das generische Maskulinum verwendet. Dieses umfasst weibliche Individuen und solche Individuen, welche sich keinem Geschlecht zuordnen wollen und/oder können, gleichermassen wie männliche Individuen. Es werden somit Frauen, Männer und Diverse sprachlich gleichberechtigt behandelt.»

Ob das Büro die Ergänzung akzeptieren wird? Falls nicht, stünde es Brunner frei, den ablehnenden Entscheid im Gemeinderat verhandeln zu lassen. Und falls sie dort keine Mehrheit erhielte, könnte sie den Fall vor den Bezirksrat ziehen. «Mir geht es um das Grundsätzliche», sagt Brunner entschlossen. Darum, dass ihr niemand die Sprache im Mund verdreht. Ein juristischer Entscheid hätte den Vorteil, dass dann für künftige Fälle Klarheit herrschte. Die Gemeinderäte würden es sicher verdanken – und die Gemeinderätinnen auch.

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