ST.GALLEN: Gott wirkt im Biologieunterricht

St.Galler Kantonsräte fordern strengere Vorgaben für religiös-fundamentalistische Privatschulen. Sie werfen ihnen vor, Schüler gezielt zu indoktrinieren. Nun wehren sich die Piusbrüder.

Michael Genova
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Die erzkatholische Priesterbruderschaft St. Pius X. führt im Kanton St. Gallen drei Privatschulen. (Bild: Urs Bucher (Wangs, 12. Mai 2017))

Die erzkatholische Priesterbruderschaft St. Pius X. führt im Kanton St. Gallen drei Privatschulen. (Bild: Urs Bucher (Wangs, 12. Mai 2017))

Michael Genova

michael.genova@ostschweiz-am-sonntag.ch

Als Pater Pirmin Suter das Klassenzimmer betritt, stehen die Schüler der sechsten Klasse zur Begrüssung auf. Mit einem leichten Kopfnicken deutet der Rektor an, dass sie sich wieder hinsetzen dürfen. Die zwölf Knaben lernen an diesem Morgen bei Pater Udressy, wie sie sich in Paris auf Französisch zu einem Treffen verabreden. Das Klassenzimmer befindet sich im kürzlich eingeweihten Neubau. Neben der Wandtafel hängt ein Kruzifix – so wie in allen Räumen des Instituts Sancta Maria in Wangs.

«Wir bieten unseren Schülern eine moderne Ausbildung in einer katholischen Atmosphäre», sagt Pater Suter. Er trägt eine schwarze Soutane mit dem typischen weissen Stehkragen. Das Institut Sancta Maria ist eine von 29 Privatschulen mit einer offiziellen Bewilligung im Kanton St. Gallen. Doch seit eine Gruppe von Kantonsräten eine Motion eingereicht haben, steht Rektor Suter in der Kritik. Parlamentarier aus SP, FDP und SVP fordern schärfere Vorgaben für Privatschulen, die «religiös-fundamentalistischen Kreisen» nahestehen. Es bestehe die Gefahr, dass Heranwachsende «gezielt indoktriniert» würden. Gemeint ist auch das Institut Sancta Maria, welche die Priesterbruderschaft St. Pius X. führt. Zurzeit besuchen in Wangs rund 90 Schüler das Knabeninternat.

Piusbrüder sind gegen strengere Auflagen

Pater Suter hält die Motion schlicht für «überflüssig», wie er gleich zu Beginn des Gesprächs deutlich macht. «Es entstünde lediglich zusätzlicher bürokratischer Aufwand.» Denn das Institut werde schon heute regelmässig vom Kanton beaufsichtigt. Zudem störe es ihn, dass die Schulen der Piusbrüder als fundamentalistisch bezeichnet werden. «Wir sind einfach katholisch.» Wobei Suter die Konflikte mit Rom nicht verschweigt. «Die heutige Kirche hat ihr katholisches Profil aufgegeben.» Deshalb fänden immer weniger Menschen Halt in der katholischen Kirche.

Die Priesterbruderschaft St. Pius X. wurde 1970 von Erzbischof Marcel Lefebvre gegründet und steht für einen traditionalistischen Katholizismus. So feiern die Piusbrüder bis heute die tridentinische Messe und stehen Beschlüssen des Zweiten Vatikanischen Konzils wie der Ökumene oder der Religionsfreiheit ablehnend gegenüber. Sie werden deshalb oft als «ultrakonservativ» bezeichnet. 1988 kam es zum Bruch mit dem Vatikan. Doch seit einigen Jahren versucht Rom, die Piusbrüder wieder in die Amtskirche zu integrieren.

Max Lemmenmeier, SP-Kantonsrat und Mitunterzeichner der Motion, wirft den Piusbrüdern vor, dass an ihren Schulen die Evolutionstheorie abgelehnt und der Kreationismus gelehrt werde. Mit letzterem ist die Vorstellung gemeint, dass das Leben auf der Erde nur durch den Eingriff eines Schöpfergottes zu erklären ist. Das widerspreche den wissenschaftlichen Erkenntnissen, sagt Lemmenmeier. «Wir lehren heute auch nicht mehr, dass die Erde flach sei.»

Lemmenmeier stützt seine Vorwürfe auf ein Youtube-Video des Instituts Sancta Maria mit dem Titel «Konnte das Leben durch Zufall entstehen?». Entdeckt hatte den Beitrag die Internet-Zeitung "Infosperber". In einer 20-minütigen Fragestunde vor Schülern erklärt Matthias Gaudron, Chefdogmatiker der deutschsprachigen Piusbruderschaft, was von der Evolutionstheorie Darwins zu halten ist. Sein Fazit: «Die Evolutionstheorie ist auch ein Glaube.» Und: «Es muss wenigstens immer wieder ein Eingreifen Gottes gegeben haben.» Kantonsrat Lemmenmeier spricht deshalb von einer «knallharten ideologischen Indoktrination». Es sei klar, dass dies nicht Teil der Schule sein könne.

Rektor Pirmin Suter ist studierter Biologe und kritisiert, dass Lemmenmeier seine Vorwürfe nicht belegen könne. Sogenannte Kreationisten würden die Heilige Schrift wörtlich auslegen und bei Widersprüchen die Erkenntnisse der Naturwissenschaften einfach ablehnen. Am Institut Sancta Maria hingegen werde die Evolutionstheorie mit offiziellen Lehrbüchern der Volksschule unterrichtet. Im Bereich der Mikroevolution habe die Piusbruderschaft kein Problem mit Darwins Selektionstheorie. Doch im Bereich der Makroevolution könnten selbst Naturwissenschafter einige Evolutionsschritte nicht plausibel erklären. So zum Beispiel der Übergang von der unbelebten Materie zu den Lebewesen. Hier müsse der Schöpfergott eine gewisse Rolle gespielt haben, ist Suter überzeugt. «Es ist auch unwissenschaftlich, Gott kategorisch auszuschliessen.»

Islamische Kindergärten und Schulen im Visier

Pater Suters Argumente vermögen Max Lemmenmeier nicht zu überzeugen: «Letztlich ist dies auch eine kreationistische Vorstellung.» Gott habe in dieser Darstellung die Erde zwar nicht in sechs Tagen erschaffen, doch wirke er über ­einen längeren Zeitraum. «Das läuft auf dasselbe hinaus.» Lemmenmeier hat mit der überparteilichen Motion nicht nur christliche Schulen im Blick. Er sei auch gegen islamische Kindergärten und Privatschulen. Auslöser für den Vorstoss war ein Entscheid des Bundesgerichts, das im Kanton Zürich einen islamischen Kindergarten verboten hatte.

Kantonsrat Lemmenmeier sieht nun den St. Galler Erziehungsrat in der Pflicht. Dieser habe in der Vergangenheit zu wenig genau hingeschaut, weil er die Konfrontation scheue. Dazu Alexander Kummer, Leiter des St. Galler Amtes für Volksschule: «Ich kann diese Kritik nicht nachvollziehen.» Zu inhaltlichen Fragen könne er keine Stellung nehmen. Bei der Aufsicht über das Institut Sancta Maria sei aber nichts explizit festgestellt worden, sagt er. Sollte das Parlament die Motion gutheissen, sei zu prüfen, wie stark man die Privatschulfreiheit einschränken könne.