Bundeskanzlerin Merkel vor einem Rednerpult

Ehe für alle im Bundestag Merkel erklärt Abstimmung zur Gewissensfrage

Stand: 27.06.2017 22:26 Uhr

Nach der überraschenden Kehrtwende der Kanzlerin bei der Ehe für alle sieht die SPD ihre Chance: Gegen den Willen der Union will die SPD eine Abstimmung im Bundestag erzwingen - noch in dieser Woche. Die Unionsparteien heben den Fraktionszwang auf.

Der überraschende Kursschwenk von Kanzlerin Angela Merkel sorgt für Bewegung: Noch in dieser Woche soll der Bundestag über die völlige rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen abstimmen. Die SPD, die die sogenannte Ehe für alle seit langem fordert, will das Thema auf die Tagesordnung setzen.

Nach jahrelanger Ablehnung der gleichgeschlechtlichen Ehe mit vollem Adoptionsrecht erklärte die Unionsfraktion während ihrer Sitzung heute die Abstimmung zur Gewissensfrage. Damit entfällt der Fraktionszwang im Bundestag, der Abgeordnete an die Linie der Parteiführung binden soll. Die Abstimmung könnte am Freitag sein.

Kein Fraktionszwang - eine Entscheidung mit Folgen

Laut Teilnehmern der Unionsfraktionssitzung sagte die CDU-Chefin, die Abgeordneten könnten frei abstimmen. Ohne Fraktionszwang gilt eine Mehrheit für die sogenannte Ehe für alle als sicher.

Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU), der sich noch vor der Sitzung zu einer Aufhebung des Fraktionszwangs nicht äußern wollte, habe die Unionsabgeordneten nun aufgerufen, in möglichst großer Zahl an der Abstimmung teilzunehmen. Jene, die eine völlige Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Ehe mit der Ehe von Frau und Mann ablehnten, sollten respektvoll mit der Meinung der anderen umgehen.

Auch CSU gibt Abstimmung frei

Zuvor hatte schon die CSU erklärt, im Falle einer Abstimmung den Fraktionszwang für ihre Abgeordneten aufzuheben. Sie müssten sich nicht an die Position der Partei halten: "Wir haben Respekt und Verständnis, wenn Bundestagsabgeordnete der CSU bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag ihrem Gewissen folgend eine abweichende Entscheidung treffen."

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz kommt zwischen Außenminister Sigmar Gabriel und dem Fraktionsvorsitzenden der SPD im Bundestag, Thomas Oppermann, aus dem Saal der Bundespressekonferenz.

SPD-Kanzlerkandidat Schulz war mit seinem Vorstoß für die Ehe für alle in der Bundespressekonferenz vorgeprescht.

Vorstoß von SPD-Kanzlerkandidat Schulz

Diesem politischen Wendemanöver war ein Vorstoß von SPD-Kanzlerkandidat Schulz vorangegangen, um den Bundestag noch in dieser Woche über die Ehe für alle entscheiden zu lassen. Das Parlament werde auf der Grundlage eines rheinland-pfälzischen Antrages aus dem Bundesrat abstimmen, hatte Kanzlerkandidat Martin Schulz angekündigt.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann forderte bei der Entscheidung eine namentliche Abstimmung im Bundestag. "Ich will das gerne namentlich abstimmen lassen, damit die Wählerinnen und Wähler auch wissen, wer hinter der Ehe für alle steht", sagte Oppermann dem ZDF-"heute-journal".

"Eher eine Gewissensentscheidung"

Merkel war erstmals am Montagabend von ihrem klaren Nein der CDU zur gleichgeschlechtlichen Ehe abgerückt. Sie wünsche sich eine Diskussion, die "eher in Richtung einer Gewissensentscheidung geht", sagte die CDU-Vorsitzende bei einer Veranstaltung der Zeitschrift "Brigitte".

Angela Merkel und Brigitte-Chefredakteurin Brigitte Huber bei der Gesprächsreihe ''Brigitte Live''

Angela Merkel und Brigitte-Chefredakteurin Brigitte Huber bei der Gesprächsreihe ''Brigitte Live''

Wende schon mit Seehofer abgesprochen?

Diese Haltung der CDU-Chefin ist neu. Denn die Union hatte die Ehe für homosexuelle Paare bislang stets abgelehnt. Grüne, Linke, FDP und SPD hatten dagegen in den vergangenen Wochen die Öffnung der Ehe auch für homosexuelle Paare ausdrücklich zu ihren Wahlkampf-Forderungen gemacht.

Im Alleingang soll Merkel diesen halben Kurswechsel nicht vollzogen haben. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hat sie die Linie mit CSU-Chef Horst Seehofer abgesprochen.

Merkels "einschneidendes Erlebnis"

Nun berichtete sie von einem "einschneidenden Erlebnis" in ihrem Wahlkreis. Dort sei sie von einer lesbischen Frau eingeladen worden, zu Hause bei ihr und ihrer Partnerin vorbeizuschauen und zu sehen, dass es ihren acht Pflegekindern gut gehe.

Merkel betonte, wenn das Jugendamt einem lesbischen Paar acht Pflegekinder anvertraue, könne der Staat nicht mit dem Kindeswohl gegen Adoptionen argumentieren.

Keine gleichen Rechte

Homosexuelle Paare in Deutschland können ihre Lebenspartnerschaft seit 2001 offiziell eintragen lassen. Inzwischen wurden diese Paare in vielen Bereichen, etwa bei Unterhaltspflicht, im Erbrecht oder beim Ehegattensplitting, verheirateten heterosexuellen Paaren gleichgestellt.

Doch vor allem beim Adoptionsrecht gibt es immer noch Benachteiligungen. So dürfen Homosexuelle nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2013 in einer Lebenspartnerschaft zwar auch Adoptivkinder des Partners adoptieren. Die gemeinsame Adoption eines Kindes ist jedoch nicht möglich. Merkel hatte im vergangenen Bundestagswahlkampf Adoptionen für gleichgeschlechtliche Paare noch mit dem Argument des Kindeswohls abgelehnt.

Zwei Männer halten Hände
Rund 20 Länder weltweit erlauben die Ehe für alle - viele auch das Recht auf Adoption

Europa:
Bis dato ist die Ehe für alle in 13 europäischen Ländern erlaubt. Vorreiter waren die Niederlande als weltweit erstes Land, in dem 2001 die Eheschließung vor dem Standesamt auch Homosexuellen zugestanden wurde. Es folgten Belgien, Spanien, Norwegen, Schweden, Portugal, Island, Dänemark, Frankreich, Großbritannien (mit Ausnahme Nordirlands), Luxemburg, Irland und Finnland. In den Niederlanden, Dänemark, Schweden, Spanien, Belgien, Frankreich und Großbritannien besteht zudem ausnahmslos das Recht auf Adoption durch homosexuelle Paare.

Amerika:
Kanada führte 2005 das Recht auf Eheschließung und Adoption für Homosexuelle ein. In vielen Provinzen wurden gleichgeschlechtliche Verbindungen aber bereits vor 2005 erlaubt. In den USA ist die Ehe für alle nach einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs seit 2015 möglich. Bis dahin hatten dies noch 14 von 50 Bundesstaaten untersagt. In Südamerika haben bislang vier Staaten die Eheschließung zwischen homosexuellen Paaren erlaubt. Als erstes Land führte Argentinien die Ehe für alle im Jahr 2010 ein. Es folgten Uruguay, Brasilien und Kolumbien. In allen vier Ländern dürfen die verheirateten homosexuellen Paare zudem Kinder adoptieren.

Asien:
Im Mai 2016 stimmte der Oberste Gerichtshof in Taiwan für die Zulassung der Ehe für alle und schaffte damit eine Premiere in Asien. Im Nahen Osten gilt Israel als ein Vorreiter bei den Rechten für homosexuelle Paare, vor allem beim Adoptionsrecht. Gleichgeschlechtliche Ehen können zwar in Israel selbst nicht geschlossen werden, sie werden aber anerkannt, wenn sie im Ausland geschlossen wurden.

Afrika:
Als erstes und bislang einziges Land auf dem Kontinent führte Südafrika im November 2006 die gleichgeschlechtliche Ehe mit Adoptionsrecht ein.

Ozeanien:
2013 führte Neuseeland die Ehe für alle samt Adoptionsrecht ein.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 27. Juni 2017 um 16:00 Uhr.