Netzwerkdurchsetzungsgesetz – kann man Hass verbieten?

In Deutschland ist am 1. Januar das «Netzwerkdurchsetzungsgesetz» gegen Hetze in vollem Umfang in Kraft getreten. Befürworter sehen darin eine Antwort auf die Verrohung der Gesellschaft, Kritiker fürchten um die Meinungsfreiheit.

Jonas Hermann, Berlin
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Wer sich den sperrigen Namen «Netzwerkdurchsetzungsgesetz» ausgedacht habe, wurde der deutsche Justizminister Heiko Maas (SPD) einmal in einer Talkshow gefragt. «Kann ich Ihnen auch nicht genau sagen», antwortete er. Doch den juristischen Zungenbrecher benutzt ohnehin fast niemand. Die Rede ist vom «NetzDG» oder schlicht vom «Facebook-Gesetz». Im Oktober ist es in abgeschwächter Form in Kraft getreten, damit sich die betroffenen Unternehmen vorbereiten können. Seit dem 1. Januar gilt das Gesetz gegen Hass und Hetze in sozialen Netzwerken nun in vollem Umfang: Offensichtlich strafbare Beiträge müssen Unternehmen wie Facebook und Twitter künftig innert 24 Stunden entfernen. Für möglicherweise strafbare Inhalte gilt eine Siebentagefrist, um über die Löschung zu entscheiden. Falls sich ein Betreiber weigert, drohen Bussgelder von bis zu 50 Millionen Euro. Und wer als Nutzer den Eindruck hat, dass seine Beschwerde gegen eine mutmassliche Hassbotschaft nicht ernst genommen wird, kann sich künftig beim Bundesamt für Justiz beschweren; die Bonner Behörde untersteht dem Justizministerium.

Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, hat das neue Netzwerkdurchsetzungsgesetz initiiert. (Bild: M. Popow / Imago)

Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, hat das neue Netzwerkdurchsetzungsgesetz initiiert. (Bild: M. Popow / Imago)

Zu dem neuen Gesetz gibt es drei Positionen, die – für sich genommen – allesamt legitim sind: die der deutschen Regierung, die der Plattformbetreiber und die jener Nutzer, die für eine möglichst unregulierte Streitkultur eintreten.

Für Facebook gilt: keine Nutzer verlieren

Im deutschen Justizministerium beobachtet man seit dem Sommer 2015 eine «zunehmende Verbreitung von strafbaren Hassbotschaften über das Internet». Damals hatte Justizminister Maas mehrere Gespräche mit Facebook geführt und erfolglos versucht, das Unternehmen auf freiwilliger Basis zu einem härteren Kurs gegen Hassrede zu bewegen. Maas und die Befürworter des NetzDG sehen die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats in Gefahr, wenn Beleidigungen zwar auf der Strasse strafbar sind, im Netz aber kaum Folgen haben. Das NetzDG soll diese Lücke schliessen und die Nutzer auch im digitalen Raum vor Beleidigungen und Drohungen schützen.

Für die Betreiber der sozialen Netzwerke ist die Angelegenheit ambivalent. Sie setzen alles daran, möglichst viele Nutzer möglichst lange auf den Plattformen zu halten. Ökonomisch gesehen sind die Netzwerke Werbeplattformen: je mehr Verkehr, desto höher die Anzeigenerlöse. Nutzer, die sich diskriminiert oder bedroht fühlen, werden auf der fraglichen Plattform irgendwann weniger Zeit zubringen oder sich ganz abmelden. Das schmälert Reichweite und Erlöse und soll daher verhindert werden. Andererseits gibt es aber auch Nutzer, die den scharf und polemisch ausgetragenen Streit mit fremden Menschen schätzen und viel Zeit darauf verwenden. Gerade kontroverse Beiträge erhalten viel Aufmerksamkeit und generieren Klicks. Für die streitfreudigen Nutzer liegt der Reiz von Facebook und Twitter auch darin, dass die Plattformen für jedermann zugänglich sind – unabhängig von Gruppenzugehörigkeit, Gesinnung oder Ausdrucksweise.

Löschen die Plattformen aus Angst zu viel?

Einer der lautesten Vertreter dieses Lagers ist der Hamburger Rechtsanwalt und Blogger Joachim Steinhöfel. Er konnte im vergangenen Jahr mehrere Löschungen bei Facebook rückgängig machen lassen, und er lässt keine Gelegenheit aus, seinen Unmut über das Gesetz in die Öffentlichkeit zu tragen. Steinhöfel und andere NetzDG-Gegner sagen, dass Facebook und Twitter aus Angst vor Ansehensverlust und Geldstrafen überreagierten und vermehrt Beiträge entfernten, die von der Meinungsfreiheit gedeckt seien. Der Fachbegriff heisst «Overblocking». Obwohl das NetzDG erst zum Jahreswechsel voll in Kraft getreten ist, sind sich seine Gegner sicher: Facebook löscht und sperrt schon seit Monaten weit mehr als nötig. Ihre Liste mit Beispielen ist lang.

Eine Facebook-Sprecherin dementiert auf Anfrage einen Zusammenhang zwischen den jüngsten Löschungen und dem NetzDG. Dem Gesetz steht das Management der weltgrössten Social-Media-Plattform selbst skeptisch gegenüber. «Das NetzDG ist nicht der optimale Weg, um Hassrede zu bekämpfen, und nicht die beste Nachricht für die Meinungsfreiheit», sagt die Sprecherin. Facebook habe schon vor Inkrafttreten des Gesetzes einiges gegen Hassrede unternommen. So seien deshalb allein in Deutschland im vergangenen Sommer monatlich etwa 15 000 Beiträge gelöscht worden.

Weltweit prüfen 7500 Mitarbeiter, ob Inhalte strafbar sind oder gegen die sogenannten Gemeinschaftsstandards des Konzerns verstossen. 1200 von ihnen arbeiten in Deutschland. Ob die Zahl auf Dauer reicht, bleibt abzuwarten. Hassrede zu definieren, sei schwierig und die Unterscheidung zwischen Verleumdung und politischer Satire sei ein schmaler Grat, sagt die Facebook-Sprecherin. Trotz Skepsis habe das Unternehmen dem Gesetz unter Zeitdruck und mit grossem Personalaufwand Folge geleistet. Gäbe es eine Alternative? Die Facebook-Sprecherin verweist auf Brasilien. Dort entscheiden spezielle Gerichte im Schnellverfahren über möglicherweise strafbare Inhalte. Facebook müsse diese Urteile nur noch umsetzen und habe somit Rechtssicherheit.

Nichtjuristen entscheiden in acht Sekunden

Die Privatisierung der Rechtsdurchsetzung in Deutschland macht vielen Juristen Sorge. «Ich sehe das Gesetz sehr kritisch, da letztlich die Betreiber der Internetplattformen in eigener Regie das Grundrecht der Meinungsäusserungsfreiheit beurteilen sollen», sagt etwa Timo Schutt, Fachanwalt für Internetrecht in Karlsruhe. Auch FDP-Generalsekretärin Nicola Beer teilt diese Sicht. Sie hält das NetzDG für praxisfern, weil es Facebook überfordere: «Die Beiträge werden von Mitarbeitern der Bertelsmann-Tochter Arvato gesichtet. Diese Mitarbeiter sind in der Regel keine Juristen und haben im Durchschnitt nur acht Sekunden Zeit, um zu entscheiden, ob ein Beitrag gelöscht werden muss.» Die FDP wolle auch etwas gegen den Hass im Netz tun, aber das NetzDG sei «völlig untauglich». Deshalb habe die Partei einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, der derzeit im parlamentarischen Verfahren ist.

Neben den Liberalen lehnen auch die Linkspartei und die AfD das neue Gesetz ab. Letztere prüft derzeit noch, ob sie gegen das NetzDG Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einreichen will. Zwei Beschwerden gegen das Gesetz hat das höchste deutsche Gericht bereits nicht angenommen, über die Annahme weiterer Beschwerden werde noch entschieden, teilte ein Sprecher mit.

Das Justizministerium wollte sich auf Anfrage nicht mehr zu dem Gesetz äussern. Minister Maas war im vergangenen Jahr unter Druck geraten, als sowohl der wissenschaftliche Dienst des Bundestags wie auch die Mehrheit der Sachverständigen im Rechtsausschuss Zweifel anmeldeten, ob das Gesetz verfassungskonform sei. Auch Reporter ohne Grenzen, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und der Sonderbotschafter für Menschenrechte der Vereinten Nationen haben das NetzDG kritisiert. Dennoch hat es der Bundestag im Sommer mit den Stimmen von Union und SPD durchgewinkt.