Söders Spiel mit den Bildern : Im Angesicht des Kreuzes
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Markus Söder hängt ein Kreuz im Eingangsbereich der bayerischen Staatskanzlei auf. Bild: dpa
Markus Söder weiß, wie man sich in Szene setzt: Dass er für das Aufhängen eines Kreuzes in der bayerischen Staatskanzlei vor allem Kritik, Hohn und Spott erntet, nimmt der Ministerpräsident in Kauf.
Markus Söder vertraut seit jeher mehr auf die Wirkung eines Bildes als auf die von tausend Worten. Die jetzige Kontroverse über den Beschluss des bayerischen Kabinetts, wonach in Dienstgebäuden des Freistaats Kreuze aufzuhängen seien, gibt ihm recht. Denn angekündigt hatte er das Ganze schon in seiner Passauer Aschermittwochsrede – ohne nennenswerte Reaktionen. Also musste ein Bild her, möglichst mit knackiger Legende. Für Dienstag lud die Staatskanzlei Journalisten ein, fotografisch festzuhalten, wie der Ministerpräsident im Eingangsbereich der Staatskanzlei ein Kreuz anbringt – nicht irgendeines, sondern das, das der frühere Münchner Kardinal Friedrich Wetter einst Edmund Stoiber geschenkt und zusammen mit dem Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern geweiht hatte.
Jetzt, wo ein Bild da war, zündete die Sache tatsächlich, wenn auch nicht unbedingt so, wie Söder sich das gewünscht haben mochte. In den sozialen Netzwerken jedenfalls überwog – zumindest dem Augenschein nach – Kritik, Hohn und Spott. Tenor: Söder instrumentalisiere die Religion für seine politischen Zwecke, er schränke die Religionsfreiheit ein. FDP-Politiker Christian Lindner fühlte sich an den türkischen Präsidenten Erdogan erinnert, die Spitzenkandidatin der bayerischen SPD, Natascha Kohnen, warf der CSU vor, sie betreibe „Politfolklore auf Kosten unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts“.
Negative Religionsfreiheit und Neutralitätspflicht des Staates
Klar ist, dass Söder, ehemals wissenschaftlicher Mitarbeiter am Erlanger Lehrstuhl für Staats-, Verwaltungs- und Kirchenrecht, da rechtlich auf einem sehr schmalen Grat tänzelt. Das Grundgesetz statuiert zwar keine streng laizistische Ordnung, wie sie etwa in Frankreich herrscht. Der Staat darf sich offen gegenüber den Religionen seiner Bürger zeigen und muss weder geschichts- noch religionsblind sein. Doch er darf sich eben auch nicht mit einer Religion allein identifizieren. Die bayerische Verordnung – formal eine Ergänzung der allgemeinen Geschäftsordnung der bayerischen Staatsverwaltung – sei daher „verfassungsrechtlich eng auf Kante“ genäht, sagt der Göttinger Professor für Öffentliches Recht Michael Heinig.
Die Linien, die das Bundesverfassungsgericht aufgezeigt hat, sind vor allem die negative Religionsfreiheit und die Neutralitätspflicht des Staates. Aus der Glaubensfreiheit in Artikel 4 ergibt sich nämlich auch das Recht, nicht vom Glauben anderer behelligt zu werden. Diese negative Glaubensfreiheit sahen die Richter in ihrem Kruzifix-Beschluss 1995 jedenfalls dann verletzt, wenn jemand in einer Zwangssituation wie etwa im Rahmen der Schulpflicht „unter dem Kreuz“ lernen muss oder im Gerichtssaal einem religiösen Symbol ausgesetzt ist. Seitdem kann jeder Schüler verlangen, dass das Kreuz im Klassenraum abgehängt wird. Doch schon damals ließ Karlsruhe anklingen, dass dieses Recht nicht bei jedem peripheren Kontakt mit einem religiösen Symbol gelte – wie etwa beim Vorbeigehen im Eingangsbereich einer Behörde. Schwerer wiegt die staatliche Neutralitätspflicht. Denn der Staat dürfe sich zwar seiner kulturgeschichtlichen Herkunft versichern, sagt Heinig, und zu der gehöre auch das Christentum. „Doch darf sich der Staat eben nicht klar mit einer Religion identifizieren.“
Man merkte Söder und seinem Innenminister Joachim Herrmann bei der Vorstellung des Kabinettsbeschlusses an, dass sie Kritikern schon von sich aus den Wind aus den Segeln nehmen wollten. Söder hob ungefragt hervor: „Wir haben Religionsfreiheit.“ Aber: „Wir wollen die kulturelle Prägung des Landes auch sichtbar machen.“ Das Kreuz sei „nicht ein Zeichen einer Religion, sondern für die geschichtlich-kulturelle Identität und Prägung Bayerns“. Es sei „kein Verstoß gegen ein Neutralitätsgebot“. Auch den möglichen Einwand „negative Religionsfreiheit“ versuchte er von sich aus abzuräumen: Man habe bewusst den Eingangsbereich gewählt, wo die Leute nicht ständig mit dem Kreuz konfrontiert würden. Herrmann fügte „vor dem Hintergrund der Islamdebatte und auch mancher inakzeptablen Islamfeindlichkeit“ hinzu: „Wir definieren uns in Bayern nicht gegen etwas anderes, sondern wir müssen uns aufgrund unserer eigenen Werte und unserer eigenen Tradition und Kultur definieren.“
Als 1995 Karlsruhe über Kruzifixe in Klassenzimmern richtete, protestierten Bischöfe und CSU-geführte Staatsregierung Seit an Seit. Diesmal waren die Reaktionen der Kirchen durchaus gemischt. Einerseits Freude über die Sichtbarmachung des Kreuzes, andererseits die Befürchtung, das Kreuz werde durch eine Vereinnahmung durch den Staat profanisiert. Wahrscheinlich ist aber genau das der Preis für die Vereinbarkeit mit dem Neutralitätsgebot. Heinig schreibt Söders Aktion eine „dialektische Wirkung“ zu. Mit ihr solle die christliche Prägung des Landes hervorgehoben werden, doch führe genau das zu einer Säkularisierung des Kreuzes, da es der Staat schließlich nicht als theologisches Symbol aufhängen darf, sondern nur als kulturgeschichtliches Requisit. Das Christentum werde so musealisiert und zur Kulturgeschichte depotenziert.