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Eichsfeld in Thüringen
Das katholische Gallien der DDR

Welche Rolle die Kirche spielte bei der Friedlichen Revolution vor 30 Jahren - darüber ist eine breite Debatte entbrannt. Dabei wird der Fokus fast nur auf die evangelische Kirche gerichtet. Und die Katholiken? Im Eichsfeld waren sie überaus renitent, was bei der SED für so Unmut sorgte.

Von Michael Hollenbach | 02.10.2019
Die Kirche Klüschen Hagis während der Männerwallfahrt im thüringischen Eichsfeld im Jahr 2019
Die Kirche Klüschen Hagis während der Männerwallfahrt im thüringischen Eichsfeld im Jahr 2019 (dpa-Zentralbild / Swen Pförtner)
Fangen wir mit dem Ende an. Im Herbst 1989 fanden auch im Eichsfeld, in Orten wie Heiligenstadt und Leinefelde Montagsdemonstrationen statt.
"Der Revolutionsprozess im Eichsfeld begann relativ spät, nahm aber umso schneller an Dynamik auf," erläutert Christian Stöber, Jahrgang 1987, dessen historische Studie über den Katholizismus im Eichsfeld in diesen Tagen erscheint.
Franz Konradi ist Zeitzeuge: Er war jahrelang Priester in Heiligenstadt. Er erinnert sich an den Herbst 89. Die katholischen Bischöfe in der DDR hatten sich für eine politische Abstinenz ausgesprochen. Das galt aber nicht im Eichsfeld: "Es wurde in der Kirche diskutiert: Können wir unsere Kirche öffnen für so politische Diskussionen? Wir haben sie geöffnet. Und auf kein Placet vom Bischof gewartet."
Und Paul-Julius Kockelmann erzählt, wie er als Propst im Oktober 89 nach dem Friedensgebet indirekt zur Montagsdemo aufgerufen hat: "Und ich habe gesagt: Also ich habe gehört, da wollen nachher ein paar Leute von uns zum Rat des Kreises gehen. Und wie ich den Laden kenne, werden der eine oder andere sie begleiten. Oh, Oh. Viel Reklame brauchte man da nicht zu machen."
Der Historiker Christian Stöber sagt: "Das war natürlich eine Einladung, an der Demonstration teilzunehmen, ohne dass es ein öffentlicher Aufruf war zu einer öffentlichen Demonstration. Insofern sieht man das im Eichsfeld eher mit Argwohn, wenn man andernorts die Revolution als protestantische bezeichnet."
Die SED misstraute den Katholiken
Kockelmann, der 28 Jahre lang Propst in Heiligenstadt war, lobt zwar im Nachhinein die Ökumene vor Ort, räumt aber ein gewisses Misstrauen gegenüber den protestantischen Pfarrern ein.
"Es war so, wenn du mit evangelischen Theologen ins Gespräch kamst, hast du erst mal geguckt, wes Geistes Kind ist er: Ist er mit dem Herzen doch ein bisschen fürs System oder schroff ablehnend? Diese Sorge hatte man beim katholischen Priester nicht: Der war dagegen."
Und zwar von Anfang an. Nach 1945 wählten die Katholiken in der Region zwischen Harz und Werra fast geschlossen die CDU, so Stöber: "Der Eichsfelder, wenn er sich politisch engagieren wollte, trat dann der CDU bei. CDU, hast du Ruh, war das gängige Motto." Nach der Gleichschaltung der CDU zur DDR-Blockpartei traten Anfang der 50er Jahre auch einige Katholiken in die SED ein, wurden dort aber misstrauisch beäugt. "Die galten als unsichere Kantonisten, ihre politische Zuverlässigkeit galt als eingeschränkt und deshalb haben sie nie die höchsten Ämter erreicht."
Mit dem "Eichsfeldplan" gegen das katholische Milieu
Die Auseinandersetzungen zwischen der DDR und der katholischen Kirche verschärften sich Ende der 50er Jahre mit der Einführung der Jugendweihe – gedacht als atheistische Alternative zur Konfirmation und zur Firmung.
"Da war von Anfang an eine Kampfstellung", so Franz Julius Kockelmann, "hier im Eichsfeld war es so, dass ausgesucht wurde, wo waren Klassen, wo die Väter Lehrer waren, da hatte man reingehauen."
Die SED versuchte Lehrer unter Druck zu setzen, um die Jugendweihe zu etablieren. Auf den ersten Blick mit Erfolg. So berichtet Christian Stöber, dass sich in dem Ort Teistungen zunächst mehr als zwei Drittel der Jugendlichen für die Jugendweihe angemeldet hatten: "Dann hat die Kirche zur Nicht-Teilnahme aufgerufen und am Ende war die Quote bei fast null Prozent."
Wenn auch die Zahl der Jugendlichen, die zur Jugendweihe gingen, sich bis in die 80er Jahre erheblich erhöhen sollte, so blieb sie im Eichsfeld doch immer deutlich unter dem DDR-Durchschnitt.
Und schon Ende der 50er Jahre hatte die SED erkannt, dass sie keinen Zugang zum katholischen Milieu fand. Das war einer der Gründe für den sogenannten Eichsfeld-Plan. Die landwirtschaftlich geprägte Region sollte industrialisiert werden, so Stöber: "Man wollte aus diesem widerspenstigen katholischen Milieu ein staatsloyales Industrieproletariat formen: Man gibt den Leuten Arbeit, Wohnraum, ein Maß an Wohlstand und dadurch wird sie sich von der Kirche distanzieren und zum Sozialismus überwandern."
So die Überlegung der SED. Leinefelde, ein Dorf mit einigen hundert Einwohnern, sollte zur sozialistischen Musterstadt ausgebaut werden. Hier entstand die größte Baumwollspinnerei Europas mit rund 5000 Arbeitsplätzen. Viele Beschäftigte wurden aus eher protestantischen Regionen ins Eichsfeld geholt. Doch einen durchschlagenden Erfolg konnte die SED nicht verzeichnen: "Wir können selbst hier am Ende noch einen Katholikenteil von 50 Prozent ausmachen."
Rosenkranzkommunismus
Ausgerechnet in Leinefelde entstand Ende der 80er Jahre – mit viel Geld von den westdeutschen Bistümern - das größte Kirchenbauprojekt der DDR: eine Machtdemonstration der katholischen Kirche. Eine andere Machtdemonstration, so Stöber, waren die regelmäßigen Wallfahrten – zum Beispiel die Männerwallfahrt zum Klüschen Hagis mit bis zu 20.000 Katholiken: "Damals schon genutzt vom Bischof, vor der versammelten Pilgergemeinde Orientierung zu geben, Stellung zu beziehen, und daran haben sich die Katholiken im Eichsfeld orientiert. Das andere war die Palmsonntagsprozession in Heiligenstadt. Das war eine deutliche Machtdemonstration. Daran haben immer mehr Menschen teilgenommen als an den staatlichen und parteilichen Aufmärschen."
Ulrich Neymeyr, Bischof von Erfurt, predigt beim Gottesdienst an der kleinen Kirche Klüschen Hagis. Die vom Bistum Erfurt veranstaltete Männerwallfahrt katholischer Christen im Eichsfeld ist alljährlich Anziehungspunkt für Tausende Menschen.
Predigt während der Männerwallfahrt im Eichsfeld 2019 (Swen Pförtner / dpa-Zentralbild / dpa)
Der 76-jährige Priester Franz Konradi, der zu DDR-Zeiten an zahlreichen Wallfahrten teilgenommen hat: "Wir haben gesagt: Die Menschen stimmen mit den Füßen ab. Dort, wo sie hingehen, ist auch ihr Herz."
Das Eichsfeld war durch und durch katholisch geprägt. Die SED wollte im Prinzip keine Katholiken in ihren Reihen, konnte im Eichsfeld aber auch nicht auf deren Mitarbeit verzichten. Als Katholik in der Sozialistischen Einheitspartei – das war auf beiden Seiten nicht gern gesehen. Stöber sieht ein "ideologisches Dilemma". Die Rede war damals vom Rosenkranzkommunismus: Der "lehnt sich an an eine Bezeichnung der DDR-Staatssicherheit, die katholische SED-Mitglieder mit Häme und Spott entweder als Rosenkranzkommunisten oder als Maria Mutter Gottes-Kommunisten bezeichnete. Und das trifft das ideologische Dilemma, das die SED hatte."
Katholische Parallelwelt im DDR Sozialismus
Viele Katholiken hatten unter schulischen und beruflichen Nachteilen zu leiden, wenn sie sich deutlich zu ihrer Kirche bekannten. Doch da konnte oft die Institution Kirche helfen: Ihre Kitas, Schulen, Krankenhäuser und Bildungshäuser bildeten eine Art Auffangbecken, sagt Stöber: "Wenn es so war, dass die Leute Verluste hatten im Berufsleben, dann versuchte die Kirche zu kompensieren, indem sie Ersatzlaufbahnen schuf. Also Rückhalt zu bieten gegen die Drangsalierung."
Der Katholizismus im Eichsfeld war eine Art Parallelwelt im DDR-Sozialismus.
Konradi: "Damals haben wir gesagt: Unser Zuhause war die Kirche. Es war ein eigener Freiraum, den sie sich bewahrt hat und das war wie eine Oase."
Die Kirche ging zwar nicht auf die Barrikaden; sie setzte aber selbstbewusst darauf, dass die große Mehrheit hinter ihr stand. Der ehemalige Propst Kockelmann: "Es war ein wortloser Widerstand."
Der Historiker Christian Stöber, heute wissenschaftlicher Leiter des Grenzmuseums Schifflersgrund, beurteilt das zum Teil massive Vorgehen der SED gegen die katholische Kirche als kontraproduktiv: "Gerade, weil man so offensichtlich gegen die katholische Kirche vorgehen wollte, hat das auch diejenigen enger an das katholische Milieu gebunden, die der Kirche sonst eher distanzierter gegenübergestanden haben."
Blick durch einen rekonstuierten DDR-Grenzsperr- und Signalzaun auf das Grenzmuseum Schifflersgrund in Asbach-Sickenberg, Thüringen
Das Grenzmuseum Schifflersgrund in Asbach-Sickenberg, Thüringen (picture alliance / dpa / Uwe Zucchi)
Das zeige vielleicht auch der Vergleich zum westlichen Eichsfeld in Niedersachsen rund um Duderstadt:
"Hier setzte schon während der 70er Jahre unter der Rahmenbedingung Demokratie und sozialer Marktwirtschaft ein schleichender Niedergang des katholischen Milieus ein, den wir auf östlicher Seite unter den Rahmenbedingungen Kommunismus so nicht fassen können."
Mit Benedikt ins Rampenlicht
12 Jahre nach der friedlichen Revolution rückte das Eichsfeld ins Rampenlicht. Am 23. September 2011 besuchte Papst Benedikt XVI. die Wallfahrtskapelle Etzelsbach. Eine Anerkennung für das "katholische Gallien" der DDR.
Papst Benedikt XVI bei seiner Rede: "Ich habe seit meiner Jugend so viel vom Eichsfeld gehört, dass ich dachte, ich muss es einmal sehen, und mit euch zusammen beten."
Papst Benedikt XVI. 2011 bei seiner Ankunft in Etzelsbach
Papst Benedikt XVI. 2011 bei seiner Ankunft in Etzelsbach (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
"Das ist ein starkes Zeichen vom Papst," sagt Stöber, "er hat das ja auch direkt angesprochen, dass er das sehr wertschätzt, eine Bevölkerung, die zwei Diktaturen standgehalten hat. Durch die große Berichterstattung, das hat dafür gesorgt, dass man zum einzigen Mal in das nationale Rampenlicht rückte.
30 Jahre nach der Wende ist auch im östlichen Eichsfeld zu spüren, dass das katholische Milieu an Bindungskraft verloren hat. "Es ist nicht mehr so selbstverständlich, so geschlossen, es ist vielfältiger, und die Bindung an die Kirche ist geringer," sagt der 76-jährige Priester Franz Konradi. Der Gottesdienstbesuch ist zwar noch überdurchschnittlich hoch, aber längst nicht mehr so stark wie zu DDR-Zeiten. "Da war immer ein Entweder-Oder; die oder die Seite, und heute hat man hundert Seiten. Das ist verwirrender geworden."
Christian Stöber: "Rosenkranzkommunismus - Die SED-Diktatur und das katholische Milieu im Eichsfeld 1945-1989"
Ch. Links Verlag, Berlin 2019, 424 Seiten, 40 Euro