Die Überwindung der Kluft. Von P. Bernward Deneke FSSP

„Die Lebenswirklichkeit und die kirchliche Lehre klaffen in Sachen Sexualität weit auseinander.“ Natürlich! Und weiter: „Es ist eine wachsende Kluft zwischen der wissenschaftlichen Theologie und dem Lehramt festzustellen.“ Nicht zu vergessen: „Die Kirche droht den Anschluss an die Gesellschaft zu verlieren.“ So drückt sich ein x-beliebiger Vertreter des Fachs „Moraltheologie“ aus, einer von vielen, die seit Jahrzehnten ungefähr dasselbe von sich geben, seit einigen Jahren allerdings noch lautstärker als zuvor.

Man versteht diese Theologen. Es gibt ja dem Gefühl ihrer eigenen Wichtigkeit Auftrieb, wenn sie sich als Vermittler zwischen dem Lehramt und dem „Menschen von heute“ betrachten können. Ihnen kommt es dann zu, die Kluft zwischen der „Lebenswirklichkeit“ und der kirchlichen Lehre zu schließen. Und sie werden dadurch zu Rettern der Kirche, die ohne den Anschluss an die Gesellschaft früher oder später in die Bedeutungslosigkeit abdriften müsste.

Wie aber wollen die Theologen die Kluft schließen? Indem sie sie kleiner machen. Nicht mehr hunderte Meter, sondern allenfalls wenige Zentimeter sollen zwischen der einen und der anderen Seite liegen. Und in welcher Richtung soll diese Annäherung geschehen? Drei Möglichkeiten bestehen: Entweder bewegen sich beide Seiten aufeinander zu, oder jeweils eine Seite macht sich auf den Weg zur anderen. Welcher Variante besagte Theologen wohl den Vorzug geben? Dreimal darf geraten werden!
Interessanterweise sprechen sie nämlich selten bis nie davon, dass der vielbeschworene „Mensch von heute“ zum vollen Glauben und der ihm entsprechenden Sittlichkeit geführt werden müsse. Das Wort „Bekehrung“ wird bei ihnen allenfalls im Blick auf das Lehramt verwendet: Dieses arg zurückgebliebene Gebilde muss sich der heutigen „Lebenswirklichkeit“ öffnen, sie respektieren, akzeptieren, honorieren. Die Kirche soll endlich erklären, dass sich „zwei Menschen auch jenseits der Ehe auf eine menschlich authentische, freie und respektvolle Weise lieben können" – wobei mit „Liebe“ hier nicht die Tugend der christlichen Nächstenliebe (Caritas, Agape), sondern die sinnliche, leidenschaftliche, sexuelle Liebe (Amor, Eros) gemeint ist.

Wer sich ein wenig im theologischen Blätterwald umsieht, begegnet solchen Aussagen auf Schritt und Tritt. Die Flutwelle, die sich vor über 50 Jahren gigantisch erhob und nicht nur die säkulare Gesellschaft, sondern auch große Teile der katholischen Landschaft überschwemmte, rollt neu an. Damals konnte sie dem Felsen Petri wenig anhaben, der seither als beeindruckendes Monument inmitten der weithin überfluteten Umgebung aufragte. Diesmal aber soll auch er zu Sturz gebracht werden. Geeignete Instrumente dafür sind theologische Fakultäten und Ausschüsse, Bischofskonferenzen und Laiengremien, kirchliche Großevents und „synodale Prozesse“.

Das wäre ein eigenes Thema. Hier aber geht es um die Tatsache, dass Christen von Anfang an gegen den Trend standen. Wenn der heilige Paulus über die „Lebenswirklichkeit“ der Menschen seiner Zeit schreibt, klingt das so: Sie wandeln „in der Nichtigkeit ihres Sinnes, sind verfinstert am Verstand, entfremdet dem Leben Gottes wegen der Unwissenheit, die in ihnen ist aufgrund der Verstockung ihres Herzens; sie, die abgestumpft sind, haben sich der Ausschweifung hingegeben, um gierig jede Art von Unreinheit mit Gier auszuüben…“ (Eph 4,19ff.) Eine Stelle unter vielen dieser Art.

Auch damals schon klafften also christliche Lehre und „Lebenswirklichkeit“ auseinander, zwischen Kirche und Gesellschaft tat sich eine erhebliche Kluft auf. Aber der Theologe Paulus versuchte nicht, seine Apostelkollegen zu einer positiven Wertung der Gegebenheiten zu bewegen. Als durchdrungener Missionar wusste er, dass der einzige erstrebenswerte „Anschluss“ unter solchen Gegebenheiten derjenige der Menschen an den Mystischen Leib Christi, das Reich der Wahrheit und der Gnade, ist. Würde die Kirche den Anschluss an die Gesellschaft auf ihrer rasanten Talfahrt suchen, so müsste sie mit ihr untergehen.

Der Beitrag erschien zuerst im Schweizerischen Katholischen Sonntagsblatt vom 29. September 2019.
Klaus Elmar Müller
Bereichert von der Argumentation dennoch zwei Einwände: 1. Auch zur Ehe gehören Fasziniertsein und Begehren (eros/amor), ja Gott selber ist auf die Gegenliebe des von ihm schön geschaffenen Menschen aus (Benedikt XVI. nach der Enzyklika"Deus caritas est"). So deutet auch die hl. Mutter Teresa Jesu Kreuzeswort "Mich dürstet". 2. Inopportun für die Petrusbruderschaft, aber wahr wäre es, auch darauf …Mehr
Bereichert von der Argumentation dennoch zwei Einwände: 1. Auch zur Ehe gehören Fasziniertsein und Begehren (eros/amor), ja Gott selber ist auf die Gegenliebe des von ihm schön geschaffenen Menschen aus (Benedikt XVI. nach der Enzyklika"Deus caritas est"). So deutet auch die hl. Mutter Teresa Jesu Kreuzeswort "Mich dürstet". 2. Inopportun für die Petrusbruderschaft, aber wahr wäre es, auch darauf hinzuweisen, dass sogar der derzeitige Inhaber der Kathedra Petri darangeht, den Felsen Petri zu zertrümmern.
kath. Kirchenfreund
gut, aber wenn man die Lehre an die "Lebenswirklichkeit" anpaßt, bzw die Lebenswirklichkeit der Sexualität zum obersten Gebot macht, dann bekommen wir einen Saustall, daß ein normaler Mensch keine Kirche mehr betreten kann. Warum fängt die Kirche nicht an, zu gewissen Themen zu schweigen, wie zum Homosex und zum Islam ? Das wäre das Beste. Aber dieses sich Anbiedern an kirchenfeindliche Strömungen …Mehr
gut, aber wenn man die Lehre an die "Lebenswirklichkeit" anpaßt, bzw die Lebenswirklichkeit der Sexualität zum obersten Gebot macht, dann bekommen wir einen Saustall, daß ein normaler Mensch keine Kirche mehr betreten kann. Warum fängt die Kirche nicht an, zu gewissen Themen zu schweigen, wie zum Homosex und zum Islam ? Das wäre das Beste. Aber dieses sich Anbiedern an kirchenfeindliche Strömungen, das zerstört alles. Die Kirche redet ja ständig von der Vergebung der Sünden. Aber wenn man nicht aufhört über die Sünden zu reden, ist ja keine Vergebung. Vielmehr will man die Sünden jetzt zu Tugenden umquatschen. Das wird nicht nur die Kirche machen, sondern alle. Die Menschheit wird dadurch ein riesiger Saustall werden, wo einen jeden Tag ekelt vor den Nachrichten.
Eugenia-Sarto
Die Kirche soll nicht schweigen zu den Sünden, sondern die Menschen aufklären, dass es sich um schwere Sünden handelt. So steht es ja geschrieben in der hl. Schrift. Und die Ueberlieferung hat dies immer eingeschärft bis zum Konzil zumindest.
kath. Kirchenfreund
wenn man sie fragt, wie ihnen der Islam gefällt, wäre es besser zu schweigen, als ihn mehr zu loben als die eigene Religion.