Allzu große Nähe hindert Freunde, sich gegenseitig zu betrachten
Allzu große Nähe hindert Freunde, sich gegenseitig
zu betrachten
Quelle: Gertrud v. Helfta, Gesandter der göttlichen Liebe,
I. Buch, 17. Kapitel.
Von ihrer noch vertrauteren Annäherung zu Gott
Als sie die Heimsuchung des Herrn eine Zeitlang nicht
erfahren hatte, dadurch aber keine Beschwerde fühlte,
fragte sie den Herrn einmal, woher dies komme, worauf
derselbe ihr antwortete:
„Allzu große Nähe hindert Freunde daran, sich gegen-
seitig vollkommen zu betrachten. So z.B. wird derjenige,
der mit einem andern sich vereinigt, wie durch Umarmung
oder Kuss, für diesen Augenblick an seinem Anblick ge-
hindert.“
Durch diese Worte erkannte sie, dass die Entziehung der
Gnade zuweilen das Verdienst des Menschen vermehrt,
wenn er nämlich nach der Entziehung in nichts nach-
lässiger verfährt, wiewohl er dann mit größerer Mühe
arbeitet. Während sie hierauf bei sich nachdachte, warum
der Herr sie mit seiner Gnade jetzt anders als früher heim-
suchte, sprach er zu ihr:
„In den ersten Jahren habe ich dich öfter durch Antworten
unterrichtet, damit du imstande wärest, andern meinen
Willen mitzuteilen. Jetzt aber lasse ich dich während des
Gebetes nur im Geiste meine Eingebungen empfinden,
die in Worten nach deinem Sinne auszudrücken sehr
schwer wäre. So nämlich sammle ich in meiner Schatz-
kammer den Reichtum meiner Gnade an, in der Absicht,
damit jeder in dir finde, was er sucht, gleichwie in einer
Braut, die Mitwisserin aller Geheimnisse ihres Bräutigams
ist, obgleich es ihr nicht zusteht, die Geheimnisse des Bräu-
tigams zu entdecken, welche sie durch die Gunst gegen-
seitiger Vertraulichkeit kennt.“
Deshalb vermochte sie, wenn sie für ein ihr dringend
empfohlenes Anliegen betete, keineswegs den Willen
zu haben, irgendeine Antwort vom Herrn zu erlangen,
wie sie es früher getan; vielmehr genügte es ihr, wenn
sie den Antrieb der Gnade, für etwas zu beten, fühlte,
weil sie dann durch die Sicherheit der göttlichen Ein-
gebung eine Gewissheit hatte wie vorher durch eine
göttliche Antwort. Suchte ferner jemand Rat oder Trost
bei ihr, so fühlte sie sogleich, dass ihr die Gnade, Be-
scheid zu geben, eingegossen werde, mit solcher Sicher-
heit, dass sie dafür gewagt hätte, den Tod zu erleiden,
auch wenn sie über diese Angelegenheit vorher niemals
etwas weder durch Schrift noch durch Worte noch auch
in Gedanken erkannt hatte. Wenn sie aber in einer Sache
betete, worin der Herr ihr nichts offenbarte, so freute sie
sich, dass die göttliche Weisheit so unerforschlich und
sie so untrennbar mit der gütigen Liebe vereinigt sei,
weshalb es am sichersten sei, ihr alles zu überlassen;
und dies gefiel ihr dann mehr, als wenn sie die ver-
borgensten Geheimnisse Gottes alle hätte durchforschen
können.
Bild: St. Gertrud, die große Deutsche
zu betrachten
Quelle: Gertrud v. Helfta, Gesandter der göttlichen Liebe,
I. Buch, 17. Kapitel.
Von ihrer noch vertrauteren Annäherung zu Gott
Als sie die Heimsuchung des Herrn eine Zeitlang nicht
erfahren hatte, dadurch aber keine Beschwerde fühlte,
fragte sie den Herrn einmal, woher dies komme, worauf
derselbe ihr antwortete:
„Allzu große Nähe hindert Freunde daran, sich gegen-
seitig vollkommen zu betrachten. So z.B. wird derjenige,
der mit einem andern sich vereinigt, wie durch Umarmung
oder Kuss, für diesen Augenblick an seinem Anblick ge-
hindert.“
Durch diese Worte erkannte sie, dass die Entziehung der
Gnade zuweilen das Verdienst des Menschen vermehrt,
wenn er nämlich nach der Entziehung in nichts nach-
lässiger verfährt, wiewohl er dann mit größerer Mühe
arbeitet. Während sie hierauf bei sich nachdachte, warum
der Herr sie mit seiner Gnade jetzt anders als früher heim-
suchte, sprach er zu ihr:
„In den ersten Jahren habe ich dich öfter durch Antworten
unterrichtet, damit du imstande wärest, andern meinen
Willen mitzuteilen. Jetzt aber lasse ich dich während des
Gebetes nur im Geiste meine Eingebungen empfinden,
die in Worten nach deinem Sinne auszudrücken sehr
schwer wäre. So nämlich sammle ich in meiner Schatz-
kammer den Reichtum meiner Gnade an, in der Absicht,
damit jeder in dir finde, was er sucht, gleichwie in einer
Braut, die Mitwisserin aller Geheimnisse ihres Bräutigams
ist, obgleich es ihr nicht zusteht, die Geheimnisse des Bräu-
tigams zu entdecken, welche sie durch die Gunst gegen-
seitiger Vertraulichkeit kennt.“
Deshalb vermochte sie, wenn sie für ein ihr dringend
empfohlenes Anliegen betete, keineswegs den Willen
zu haben, irgendeine Antwort vom Herrn zu erlangen,
wie sie es früher getan; vielmehr genügte es ihr, wenn
sie den Antrieb der Gnade, für etwas zu beten, fühlte,
weil sie dann durch die Sicherheit der göttlichen Ein-
gebung eine Gewissheit hatte wie vorher durch eine
göttliche Antwort. Suchte ferner jemand Rat oder Trost
bei ihr, so fühlte sie sogleich, dass ihr die Gnade, Be-
scheid zu geben, eingegossen werde, mit solcher Sicher-
heit, dass sie dafür gewagt hätte, den Tod zu erleiden,
auch wenn sie über diese Angelegenheit vorher niemals
etwas weder durch Schrift noch durch Worte noch auch
in Gedanken erkannt hatte. Wenn sie aber in einer Sache
betete, worin der Herr ihr nichts offenbarte, so freute sie
sich, dass die göttliche Weisheit so unerforschlich und
sie so untrennbar mit der gütigen Liebe vereinigt sei,
weshalb es am sichersten sei, ihr alles zu überlassen;
und dies gefiel ihr dann mehr, als wenn sie die ver-
borgensten Geheimnisse Gottes alle hätte durchforschen
können.
Bild: St. Gertrud, die große Deutsche