Tina 13
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Gebetstag in Düsseldorf, 7. Sept. 2013 - Frau aller Völker

Predigt von S. E. Joachim Kardinal Meisner,
Erzbischof von Köln,
beim Gottesdienst in der Mitsubishi Electric Halle in Düsseldorf

Liebe Schwestern, liebe Brüder!
1. Auch wenn das Bürgerliche Gesetzbuch in seinem 1. Paragraphen die Rechtsfähigkeit des Menschen erst mit der Geburt beginnen lässt, so leben wir doch alle schon länger, nämlich seit unserer Empfängnis im Mutterschoß. Ja, in gewissem Sinne noch länger. Denn in Wirklichkeit reicht die Geschichte eines jeden Menschenlebens noch viel weiter zurück. Seine Anlagen, seine Begabungen, sein Aussehen, all das hat der Mensch in hohem Maß von seinen Vorfahren ererbt. Sie haben ihm auch freilich manches Ungute mitgegeben, vor allem unser Stammvater Adam hat uns eine drückende Schuld vererbt. Und die ganze lange Kette nach ihm hat dieses schlimme Erbe noch vergrößert durch die persönliche Schuld. Als aber Gott mit einer grundsätzlichen Erneuerung des Menschen begann, indem er Maria das Leben schenkte, da hat er gleichsam noch einmal frisch von vorne angefangen. Es war eine Schöpfung wie damals im Paradies. In Maria ist nichts als Gnade. Ihr Herz, ihr ganzes Sein ist von Gottes Gnade durchströmt und durchheiligt. Nichts in ihr und an ihr muss Gott missfallen. Zu ihr kann Gott ganz und vorbehaltlos „Ja“ sagen. So ist Maria der Mensch schlechthin, der Mensch, wie er dem Herzenswunsch Gottes entspricht. Sie ist ganz und gar Ebenbild des allheiligen Gottes. Gott hat sie in die Heilsgeschichte unserer Zeit als das göttliche Gegenbild zu dem diabolischen Menschenbild der Gottlosigkeit hineingestellt. Darum verehren wir sie mit Recht als „Frau aller Völker“.

Die Frage unserer Zeit ist die Frage nach dem Menschen. Der Mensch ist kein vernunftbegabtes Tier, das nichts Höheres in sich hätte. Mag sich der menschliche Leib aus niederen Lebensformen hinaufentwickelt haben, aber der menschliche Leib allein ist nicht der Mensch.
Gott hat vielmehr jenem hochentwickelten Leib, der bereits geeignet war, dem Menschen als Leib zu dienen, durch einen besonderen Schöpfungsakt die unsterbliche Seele eingeschaffen, die ihn zum göttlichen Ebenbild werden lässt. Erst dann trat der Mensch als Mensch sein Dasein und seine Geschichte an. Das ist der Mensch, der ganze Mensch mit Leib und Seele, von unten und von oben, aus dem Leben der Erde und doch hineinragend in Gottes eigene Welt durch seine von Gott geschenkte Seele. Und noch nicht genug damit! Durch Christus, den uns Maria geschenkt hat, werden wir hinaufgehoben bis zu der schwindelnden Höhe seines heiligsten Herzens. Darum verehren wir sie als Mutter aller Kinder Gottes.

2. Doch können wir uns mit Maria überhaupt vergleichen? Ist der Abstand nicht zu groß? Muss dieser Versuch nicht von vornherein scheitern, dass wir verwandte Kinder Evas, ihr, der neuen Eva, ähnlich werden könnten? Wir alle waren mit der Erbschuld behaftet. Aber durch unseren Ursprung aus Gottes Hand und durch Christus wurden wir in der Taufe ihr, unserer großen heiligen Schwester Maria, ähnlich. Wir wurden Glieder am gleichen Leib, der Christus selbst ist, wie sie. Christ, erkenne nun deinen Standort in der Welt! – Erkenne, wer du bist und was du bist! Was nützt es uns, wenn wir den entferntesten Sternen und dem kleinsten Atom und der kleinsten Lebenszelle ihre Geheimnisse entreißen, aber nicht wissen, wer und was wir selber sind? Wie könnten wir richtig leben? Wie könnten wir den Sinn unseres Daseins richtig erfüllen? Wie können wir überhaupt verhüten, umsonst und vergeblich gelebt zu haben, wenn wir nicht wissen, was wir sind, woher wir sind und wozu wir sind? Und da erscheint uns heute Gottes großes Zeichen am Himmel: Maria. Jener Mensch, der am meisten Gottes Wunsch entspricht. Sie gibt uns die Antwort auf unsere Frage nach uns selbst und nach dem Menschen: „Ich bin die Magd des Herrn“ (Lk 1,38), das heißt: „Ich bin der Mensch Gottes schlechthin“.

3. Sie sagt uns: Du bist unsterblich. Denke einmal darüber nach, was das heißt: Du hörst nie mehr auf zu sein. Du hast etwas von der Unvergänglichkeit Gottes an dir. Was Gott am brennenden Dornbusch sagte: „Ich bin der ‘Ich-bin-da‘“ (Ex 3,14), das kannst du auch von dir selbst sagen: „Ich bin, der ich bin da. Ich höre nie mehr auf zu sein. Ich brauche nie um meine Existenz zu bangen. Ich werde mich nie mehr los. In Ewigkeit muss ich mich ertragen und aushalten“. Und wenn du vor dir fliehen möchtest und dir das Leben nähmest, du springst nur noch nackter in dich selbst hinein. Dein Ich ist unsterblich. Mit deinem Dasein ist eine Ewigkeit ins Dasein getreten, die nie und nimmer ein Ende hat. Du bist, der du bist, und das als Ebenbild Gottes. Deswegen sagt Maria von sich: „Siehe, von nun an“ (von meiner Erschaffung an) „preisen mich selig alle Geschlechter“ (Lk 1,48), denn nie mehr hört ihr und unser Dasein auf.

Bei einem Besuch in einem Gefängnis wollte mich ein Jugendlicher unter vier Augen sprechen. Er hatte ein junges Mädchen ermordet und wurde nun nicht fertig damit, dass er eine menschliche Existenz, einen Menschen ausgelöscht, ins Nichts zurückgestoßen hat. Im Gespräch konnte ich ihm verständlich machen: „Aus dem Nichts ins Dasein setzen und aus dem Dasein ins Nichts zurückstoßen, kann nur Gott. Der Mord an dem jungen Mädchen ist schlimm und unentschuldbar, aber du hast es nicht ins Nichts zurückgestoßen, sondern von der einen Stufe des Daseins auf eine andere“. Maria sagt: „Ich bin und bleibe die Magd des Herrn“.

4. Wir sind Gottes Ebenbild. Du hast die Macht zu denken und zu wissen, wie Gott ein Denkender zu sein. Du sollst die Welt in der Breite und dich selbst in der Tiefe und Gott in der Höhe erkennen. Und du sollst in der Offenbarung sogar teilnehmen am geheimnisvollen Wissen Gottes selbst. „Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast“ (Joh 17,3), heißt es im Evangelium. Maria hat das selbst erfahren und verwirklicht. Daher lautet ihr jubelnder Dank: „Der Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilig“ (Lk 1,49). Und du hast die Macht zu lieben, wie Gott ein Liebender ist, denn Gott ist die Liebe. Du bist sein Ebenbild, also sollst du lieben. Das hat uns Maria vorgemacht. Darum verwirklichst du den Sinn deines Daseins: dich zu lieben, die Welt zu lieben, Gott zu lieben, den Menschen zu lieben, das heißt: wie Maria zu lieben. Was wäre unser Leben ohne die Liebe? Wie eine Erde ohne Sonne, wie Kohle ohne Glut. Du sollst lieben und kannst lieben und über deinen Gott lieben, aus deinem ganzen Herzen, aus ganzer Seele. Welch eine Verwandtschaft mit Gott! Welch eine geschwisterliche Nähe zu Maria! Welch ein Vorzug, dass wir lieben können und lieben dürfen und froh darüber sind, geliebt zu werden! Und du kannst darum zu Gott sprechen wie Maria: „Meine Seele preist die Größe des Herrn“ (Lk 1,46). Der Mensch lebt seit der gnadenvollen Erhebung Marias in der Freundschaft Gottes. Und deshalb, weil Gott uns in Maria in solch schwindelnde Höhe erhoben hat, bis zu seinem Herzen, darfst du dich wirklich freuen: Du bist wirklich Schwester und Bruder Mariens.

In diese unsere pessimistische Zeit hinein, die sich immer so gibt, als ob sie nichts mehr hätte, woran sie sich freuen könnte, klingt das Jubellied der Mutter Christi hinein, das Lied unserer Mutter Maria, das Magnifikat. Sie, die sich trotz aller äußerer Armseligkeit vor Seligkeit nicht fassen kann, jubelt es hinaus in die Welt: „Der Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilig“. Und da ist es, als sänge nicht nur dieses heilige Mädchen aus Palästina, da singt die ganze Kirche mit: Menschen und Engel und alle Kreatur, alle wissen sie zu erzählen, was Gott Großes an ihnen getan hat. Jeder hat ein anderes Magnifikat. Jeder hat andere Gaben und Gnaden empfangen. Jeder weiß etwas anderes von Gottes Größe und Güte zu erzählen. Und du, wo ist dein Magnifikat, dein Dank und deine Freude an Gott? Lass dich von Maria dazu inspirieren!

5. „Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht“ (Lk 1,50), heißt es im Magnifikat weiter. Gottes Erbarmungen, das ist das große Thema im Leben der Mutter des Herrn. Auch der Sünder darf sich freuen, denn Gottes Barmherzigkeit steht auch ihm offen. Gott schafft Gerechtigkeit mit Macht den Armen und Unterdrückten. Im Reiche Gottes gibt es schon längst keine Ausbeuter und Ausgebeuteten mehr. Es gibt nur noch Kinder des einen gütigen Vaters und Geschwister der heiligen Jungfrau Maria. Und ich denke, dass das Magnifikat, das Lied Mariens, nie wieder in ihrer Seele verhallt ist. Es klang wohl weiter in tiefen, vollen Akkorden in der heiligen Weihnacht. Es klang wohl noch nach in ihrer Seele bei der Flucht nach Ägypten. Es klang gewaltig in ihrem Staunen über die Wunder und Werke ihres Sohnes während der öffentlichen Wirksamkeit. Und in den schwersten Stunden unter dem Kreuz klangen immer noch in ihrer Seele die fernen Klänge des Magnifikats.

Ich glaube wirklich, Maria ist nicht zusammengebrochen unter dem Kreuz, sodass der Evangelist von ihr schreiben kann: „Bei dem Kreuz Jesu stand seine Mutter“ (Joh 19,25). Und sie hat die furchtbaren, entsetzlichen Stunden nur deshalb überstanden, weil damals das Eine in ihrer Seele stark und wirksam lebte: Gott und seine Vatergüte und seine Liebe, der Inhalt des Magnifikats. Ich kann es mir nicht anders denken, als das zwischen die Hammerschläge und das Hohngelächter der Menge und das schmerzliche Atmen ihres Kindes ganz fern, ganz leise hineinklang: „Meine Seele preist die Größe des Herrn“. Das ist unsere Freude als marianische Menschen, als erlöste Menschen. Diese Freude klingt auch über Krankenbetten und im verlassensten Kerker der Welt weiter. Und wenn auch das Herz ganz starr und stumpf ist von Schmerz und Gram und Pein, wenn es auch unser Gefühl nicht singen kann: Der Glaube soll es wenigstens singen dürfen: „Meine Seele preist die Größe des Herrn“.

Heilige, gesegnete Gottesmutter, du bist auch unser aller Schwester geworden. Gib uns die Kraft und die Freude des Magnifikats in unsere Herzen, damit wir auch in unserer freudlosen Zeit den Menschen nicht das Zeugnis des Magnifikats, das Zeugnis der Freude an Gott, schuldig bleiben! Amen.
+ Joachim Kardinal Meisner
Erzbischof von Köln

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Tina 13
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Tina 13
„Meine Seele preist die Größe des Herrn“. Das ist unsere Freude als marianische Menschen, als erlöste Menschen. Diese Freude klingt auch über Krankenbetten und im verlassensten Kerker der Welt weiter. Und wenn auch das Herz ganz starr und stumpf ist von Schmerz und Gram und Pein, wenn es auch unser Gefühl nicht singen kann: Der Glaube soll es wenigstens singen dürfen: „Meine Seele preist die …More
„Meine Seele preist die Größe des Herrn“. Das ist unsere Freude als marianische Menschen, als erlöste Menschen. Diese Freude klingt auch über Krankenbetten und im verlassensten Kerker der Welt weiter. Und wenn auch das Herz ganz starr und stumpf ist von Schmerz und Gram und Pein, wenn es auch unser Gefühl nicht singen kann: Der Glaube soll es wenigstens singen dürfen: „Meine Seele preist die Größe des Herrn“.

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"In Maria ist nichts als Gnade. Ihr Herz, ihr ganzes Sein ist von Gottes Gnade durchströmt und durchheiligt. Nichts in ihr und an ihr muss Gott missfallen. Zu ihr kann Gott ganz und vorbehaltlos „Ja“ sagen. So ist Maria der Mensch schlechthin, der Mensch, wie er dem Herzenswunsch Gottes entspricht. Sie ist ganz und gar Ebenbild des allheiligen Gottes. Gott hat sie in die Heilsgeschichte …More
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"In Maria ist nichts als Gnade. Ihr Herz, ihr ganzes Sein ist von Gottes Gnade durchströmt und durchheiligt. Nichts in ihr und an ihr muss Gott missfallen. Zu ihr kann Gott ganz und vorbehaltlos „Ja“ sagen. So ist Maria der Mensch schlechthin, der Mensch, wie er dem Herzenswunsch Gottes entspricht. Sie ist ganz und gar Ebenbild des allheiligen Gottes. Gott hat sie in die Heilsgeschichte unserer Zeit als das göttliche Gegenbild zu dem diabolischen Menschenbild der Gottlosigkeit hineingestellt. Darum verehren wir sie mit Recht als „Frau aller Völker“.

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