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"Vom Himmel hoch da komm ich her". Eine Weihnachtsgeschichte.

Dieser Bericht von Frau Antoinette R., geboren am 17. Februar 1944, wurde einem mit Gloria.tv bekannten Geistlichen überlassen. Es handelt sich um die spätere Niederschrift der Erzählung des Vaters.

Am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg. Unser Vater wurde nicht eingezogen, sondern von der Tuchfabrik Tanscheidt in Kettwig/Ruhr freigestellt, weil die Tuchfabrik Militärtextilien herstellte.

Während des Krieges von 1939 bis 1942 musste er jedoch nachts bei Luftangriffen auf die Panzerfabrik Krupp in Essen, die nur 6 Kilometer Luftlinie von Kettwig entfernt war, als Flakhelfer tätig sein, während unsere Mutter Bernhardine mit Gregor, Josefa und Johanna - Antoinette war noch nicht geboren - Schutz im Luftschutzbunker suchte.

Im Jahr 1942, als unser Vater 40 Jahre alt war, wurde er von der Tuchfabrik Tanscheidt nicht mehr freigestellt und wurde eingezogen.

Auf Grund seines Alters kam er zu den Sanitätern und diente direkt hinter der Kriegsfront in Ungarn am Hauptverbandsplatz. Während dieser Zeit hatte er einen schweren Unfall. Er wurde durch einen Huftritt eines Pferdes am Rückgrat verletzt. Die Folge war, daß er nicht mehr richtig gehen konnte und humpelte, bzw. hinkte.

Seine Vorgesetzten unterstelltem ihm, er würde simulieren und das Humpeln vorgeben, um aus dem Militärdienst entlassen zu werden. Daraufhin musste er sich vor einem Gericht verantworten. Er erhielt die Nachricht, am 13. Februar 1944 um 11.00 Uhr vor dem Standgericht in Genü-Budapest zu erscheinen.

In seiner Not und unsäglichen Angst vor dem Verhandlungstag konnte er in der Nacht kaum Schlaf finden. Neben vielen Gebeten ging auch seine Familie ihm nicht aus dem Kopf.

Am Morgen des 13. Februars machte er sich auf den Weg mit dem Gedanken, dass jetzt in diesen Tagen sein viertes Kind geboren werden sollte. Voller Angst um seine Frau und den kleinen Kindern ging er Richtung Budapest, betend und fest auf den Herrn hoffend.

Er lief auf einer langen Straßenallee, als plötzlich ein Wagen vom Himmel herab erschien. Der Wagen fuhr durch die Bäume und machte genau vor ihm Halt. In dem Wagen befanden sich drei Männer. Sie stiegen aus dem Wagen und lächelten ihn freundlich an. Sie sagten: "Habe keine Angst, es wird dir nichts passieren."

Sie sagten weiter: "Nur drei Dinge musst du dir merken:
1. Ruhe bewahren.
2. Nichts sagen, wonach du nicht gefragt wirst.
3. Immer die Wahrheit sagen, so wie du sie immer im Leben gesagt hast."

Danach verabschiedeten sie sich freundlich und stiegen in den Wagen. Der Wagen fuhr hoch durch die Bäume gen Himmel.

Die Zeit drängte und er war noch nicht in Genü. Sein Weg ging über eine große, lange Brücke, die über die Donau führte. Ungefähr in der Mitte der Brücke kam ihm eine fein gekleidete Frau entgegen. Unser Vater sprach sie an: "Nach Genü " Die Dame lächelte ihn an und sagte: "Ich weiß!"

Er fragte nochmal: "Ich muß zum Standgericht nach Genü!" Die Dame war sehr freundlich und sagte: "Ich weiß, geh immer geradeaus, dann wirst du dein Ziel nicht verfehlen."

Er bedankte sich und ging eilendes Schrittes weiter. Er drehte sich noch einmal nach der schönen Dame um, aber sie war nicht mehr da.

Beim Standgericht bekam er eine Henkersmahlzeit. Der Oberste Richter am Standgericht war ein Arzt. Er wurde von ihm gründlich untersucht. Der Arzt stellte ihm viele Fragen. Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch und sagte laut: „Alfons Plum, geboren am 30. 06. 1902 in Roetgen, Kreis Monschau, wird heute am 12. 2.1944 zum" – er wollte gerade sagen: "Tode verurteilt" - als unser Vater rief: „Was habe ich denn getan, ich bin vom Pferd getreten worden!“

Er legte das Hämmerchen auf den Tisch und forderte unsern Vater auf sich nochmals ganz auszuziehen. Er holte einen zweiten Militärarzt dazu, und sie berieten sich. Der zweite Arzt sagte: "Das gibt es."

Der Arzt und Richter stellte dann fest, dass unser Vater nicht simulierte und die Gehbehinderung die Folge der Rückgratverletzung war.

Er entließ unseren Vater aus dem Militärdienst, so dass unser Vater ein halbes Jahr vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder bei uns in Kettwig war.

Als unser Vater das Standgericht verließ war der draußen stehende Wachsoldat sehr verwundert und sagte zu unserem Vater, er sei der erste Soldat, der freigesprochen worden ist, dann alle Soldaten zuvor wurden standrechtlich erschossen.

1954, zehn Jahre später, kam unser Vater nach Hofheim im Taunus zur Kur. Der leitende Kurarzt, der unseren Vater untersuchte, war der Oberste Arzt und Richter vom Standgericht in Genü-Budapest. Unser Vater sagte zu ihm: “Ich kenne Sie, Sie sind mein Lebensretter.“

Der Arzt fing an zu zittern und fragte schroff: "Wie? Wo? Wann?" Unser Vater antwortete: "Sie waren Chefmilitärarzt am Standgericht 1944 in Genü."

In dem Moment fiel er ohnmächtig auf den Boden. Es kam Hilfe und er wurde hinausbegleitet. Der Arzt wurde von unserem Vater während seiner danach vierwöchigen Kur nicht mehr gesehen.

Stattdessen kamen am Morgen zwei Assistenzärzte und wollten von unserem Vater wissen, was er dem Kurarzt gesagt hat und warum er den Zusammenbruch hatte. Aber unser Vater schwieg.

Sie fingen an, eindringlicher auf ihn einzureden. Schließlich sagte unser Vater: "Eins möchte ich sagen, ich möchte nicht an seiner Stelle auf seinem Sterbebett liegen."

Dann wollten die Ärzte von unserem Vater wissen, ob das richtig ist, dass der leitende Kurarzt Standgerichtsrichter im Krieg war, denn in der Kurklinik Hofheim war das als Gerücht bereits bekannt.

Wochen später lasen wir in der Zeitung, dass sie einen Kurarzt aus dem Taunus verhaftet hatten, der tausende Menschen durch Erschießen während des Zeiten Weltkrieges auf dem Gewissen hat.

1947 beschlossen unsere Großeltern Anna Maria und Alois Plum aus Roetgen, ihre SiIbersammlung nach ihrem Tod ihrem Sohn Alfons zukommen zu lassen. Damit wollten sie ihn, seine Frau und fünf Kinder finanziell absichern.

Die Großeltern starben 1950 hochbetagt, und die Silbermünzen bekam an unseren Vater. Die einzelnen Münzen hatten einen Durchmesser von 6-7 cm. Unsere Eltern nahmen diesen Schatz aber nicht um ihre eigene finanzielle Not zu mindern.

Die Erlebnisse des Krieges, das Überleben vor dem Standgericht in Ungarn und die unversehrte Rückkehr zu seiner Familie hat seinen tiefen Glauben, seine Demut und seine Dankbarkeit gegenüber Gott noch verstärkt.

Unsere Eltern entschlossen sich die Kiste mit den Silbertalern an Pfarrer Karl Tochtrop von der Kirchengemeinde St. Josef in Kettwig anonym zu übermitteln. Die Reaktion darauf ist nicht bekannt.

Der Pfarrgemeinderat beschloss, die Silbermünzen einschmelzen zu lassen um damit den bereits vorhandenen Tabernakel zu verschönern. Es entstand eine beeindruckende Verschönerung durch zwei Tabernakeltürchen, auf welchen die Zeichen Alpha und Omega eingearbeitet wurden.

Die Gemeinde war sich einig: Dies war eine Meisterleistung und eine große Bereicherung für die Gläubigen.
jamacor
Goldfisch
Sehr beeindruckend, einfach, geht aber zu Herzen!