Das Klima reagiert weniger sensitiv auf CO2 als gedacht

Wie stark das Klima auf Treibhausgase reagiert, ist Gegenstand erbitterter Debatten. Jetzt hat eine Gruppe angesehener Forscher eine Sensitivität ermittelt, die unter dem vom Uno-Klimarat genannten Wert liegt. Die Spanne der Ungewissheit ist allerdings nach wie vor gross.

Sven Titz
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Wie schnell erwärmt sich das Klima – wie schnell schmilzt das Eis? (Bild: Imago)

Wie schnell erwärmt sich das Klima – wie schnell schmilzt das Eis? (Bild: Imago)

Müsste man die Forschungsergebnisse zum Klimawandel in einer Zahl zusammenfassen, dann wäre es die Klimasensitivität: Sie gibt an, wie stark sich die Luft an der Erdoberfläche im Vergleich zum vorindustriellen Niveau langfristig erwärmt, wenn sich der Gehalt an CO2 verdoppelt. Die Stärke der Klimasensitivität ist umstritten. In einem Bericht aus dem Jahr 1979, dem amerikanischen «Charney Report», wurde die Spanne mit 1,5 bis 4,5 Grad Celsius angegeben, bei einem wahrscheinlichsten Wert von 3 Grad. Seit dem vielzitierten Werk hat sich kaum etwas geändert. Auch im Bericht des Uno-Klimarats von 2007 tauchen die 3 Grad wieder auf, mit grosser Ungewissheitsspanne.

Bewegt sich jetzt etwas? Ein Beitrag von 17 Klimaforschern im Magazin «Nature Geoscience» hat vergangene Woche ein starkes Echo hervorgerufen. Bei einer neuen Untersuchung der Klimasensitivität sind die Autoren auf vergleichsweise niedrige Werte gekommen: Ihr zentraler Schätzwert liegt bei 2 Grad Celsius Erwärmung, ein Drittel niedriger als im Uno-Bericht.¹ Allerdings ist die Ungewissheit auch in der neuen Studie gross. Stützt man sich auf die Messungen des letzten Jahrzehnts, reicht die Spanne von 1,2 bis 3,9 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau. Da die Temperatur bis heute bereits um 0,8 Grad gestiegen ist, wäre bei einer Verdoppelung des CO2-Gehalts noch mit einem Anstieg zwischen 0,4 und 3,1 Grad zu rechnen.

Angesehene Autoren

Die Studie hat auch wegen der Autoren Aufsehen erregt. Es sind vorwiegend Forscher, die an Berichten des Uno-Klimarats mitarbeiten, darunter Reto Knutti und Ulrike Lohmann von der ETH Zürich. Dass gerade solche Fachleute eine niedrige Sensitivität ermitteln, lässt aufhorchen.

Wie es zu der Studie kam, erzählt der Hauptautor Alexander Otto von der University of Oxford: Man habe eine Arbeit von 2002 anhand genauerer Daten aktualisieren wollen, denn in den letzten Jahren hätten mehrere Wissenschafter Versuche in dieser Richtung unternommen. Im Wesentlichen hat das Team um Otto die Energieflüsse im Klimasystem seit Mitte des 19. Jahrhunderts analysiert. Aus dem durch Treibhausgase veränderten Strahlungshaushalt, dem Energiezuwachs und dem Temperaturanstieg der Luft berechneten die Forscher die Klimasensitivität. «Es ist die einfachste Methode», sagt Otto. Niedriger als bisher sind die ermittelten Werte, weil Messungen und Analysen genauer geworden sind, gerade im letzten Jahrzehnt. Zum Beispiel wird die Kühlung durch Aerosole heute schwächer eingeschätzt als früher und im Gegenzug auch die Erwärmung durch die Treibhausgase.

Das Resultat passt in den Trend. Die meisten Studien der letzten Jahre hätten eine etwas geringere Klimasensitivität gezeigt, kommentiert der Klimaforscher Andreas Schmittner von der Oregon State University. Es gebe auch Studien, die höhere Werte nahelegten, doch die Möglichkeit sehr hoher Werte von mehr als 5 Grad Celsius erscheine mehr und mehr als unplausibel. James Annan, ein britischer Klimaforscher, der in Japan tätig ist, begrüsst das Resultat der neuen Studie sehr. «Endlich haben die Wichtigen und Anerkannten gesprochen», schreibt er in seinem Blog. Annan vertritt schon lange die Ansicht, dass hohe Werte der Klimasensitivität unwahrscheinlich sind.

Eine weitere Besonderheit ist an der neuen Studie bemerkenswert: Der Mitautor Nicholas Lewis aus Bath in England arbeitet nicht an einem wissenschaftlichen Institut, sondern betreibt und finanziert seine Forschung privat. Nach dem Mathematikstudium in Cambridge arbeitete Lewis in der Finanzbranche. Vor vier oder fünf Jahren gab er den Beruf zugunsten der Wissenschaft auf. Unabhängige Forscher habe es in früheren Zeiten oft gegeben, meint er. Lewis ist in das Autorenteam aufgenommen worden, weil er in jüngster Zeit intensiv an dem Thema gearbeitet hat. Er veröffentlichte zum Beispiel in diesem Frühling eine eigene Studie zur Klimasensitivität im «Journal of Climate», ebenfalls mit niedrigem Resultat.²

Unterschiedliche Auslegung

Interessanterweise interpretieren Lewis und Otto die Resultate ihrer Studie unterschiedlich. Laut Otto muss man sich genauso viele Sorgen um die globale Erwärmung machen wie früher, denn eine Überschreitung des 2-Grad-Ziels sei nach wie vor möglich. Die Resultate der Studie seien im Rahmen der Ungewissheit mit bisherigen Schätzungen des Uno-Klimarats vereinbar.

Lewis hingegen betont die Absenkung gegenüber früheren Arbeiten. Das betrifft neben der Klimasensitivität auch die kurzzeitige Klimareaktion (Transient Climate Response). Diese Kenngrösse ist für die Politik vielleicht noch wichtiger. Sie sagt aus, wie stark sich die Luft bis zum Zeitpunkt der CO2-Verdopplung erwärmt – nicht erst später. Legten die Autoren die Messwerte der Jahre 2000 bis 2009 zugrunde, kamen sie, ausgehend vom vorindustriellen Level, auf eine kurzzeitige Klimareaktion von 1,3 Grad Celsius (oder 0,5 Grad ab heute). Bei den meisten Klimamodellen liegt die Kenngrösse um die 1,8 Grad; jedes dritte Modell zeigt eine zu starke kurzzeitige Klimareaktion. Auf eine Überschätzung hatten auch mehrere andere Studien der letzten Zeit hingedeutet. Mit der neuen Untersuchung verfestigt sich dieser Befund nun.

Die Ungewissheit – Basso continuo der Klimaforschung – konnte allerdings auch durch die neue Studie kaum verringert werden. Weiterhin scheint von moderaten bis drastischen Erwärmungsszenarien alles denkbar zu sein.

¹Nature Geoscience, Online-Ausgabe vom 19. 5. 2013, ² Journal of Climate, Online-Ausgabe vom 15. 4. 2013.

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