Überwachung mit Gesichtserkennung: Made in China, erprobt in Xinjiang und weltweit exportiert

In China kann man mit dem Gesicht bezahlen oder in ein Flugzeug einchecken. Doch Gesichtserkennung wird auch zur Überwachung der Bevölkerung eingesetzt. Was Peking perfektioniert, interessiert auch repressive Regime anderswo.

Patrick Zoll
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Eine Menschenmenge, aber keine Anonymität: Gesichtserkennungsprogramme mit künstlicher Intelligenz filtern Individuen aus der Gruppe heraus.

Eine Menschenmenge, aber keine Anonymität: Gesichtserkennungsprogramme mit künstlicher Intelligenz filtern Individuen aus der Gruppe heraus.

Thomas Peter / Reuters

Seit Sonntag müssen Kunden, die einen neuen Handyvertrag abschliessen wollen, in China ihr Gesicht scannen lassen. Bisher reichte es, einen offiziellen Ausweis vorzulegen – jetzt wird mit künstlicher Intelligenz überprüft, ob der Ausweis auch wirklich zu der Person gehört, die ihn vorweist. Damit soll laut offiziellen Angaben verhindert werden, dass SIM-Karten weiterverkauft werden oder dass mit gestohlenen Identitäten Dienstleistungen bezogen werden.

Gesichtserkennung ist in China weit verbreitet. Das Gesicht reicht etwa, um in einzelne Hotels einzuchecken, oder ersetzt bei einer Fluggesellschaft den Boarding-Pass. Schätzungsweise 118 Millionen Chinesen haben sich für Systeme registriert, die das Bezahlen mit Gesichtserkennung erlauben. Gegenüber dem Vorjahr hat sich die Zahl verdoppelt, bis 2022 sollen 760 Millionen teilnehmen, wie die Hongkonger Zeitung «South China Morning Post» schreibt. Dies wäre die Hälfte der Bevölkerung.

Technologiefirmen profitieren von Überwachung in Xinjiang

Die grosse Akzeptanz der Bevölkerung in dem riesigen Heimmarkt ist ein Grund dafür, dass chinesische Firmen in Sachen künstlicher Intelligenz – worunter auch die Gesichtserkennung fällt – global an der Spitze mitmischen. Vereinfacht gesagt gilt, dass Algorithmen umso besser werden, je mehr Daten sie auswerten können. Und in Sachen Datensammeln gibt es in China wenig gesetzliche Hürden. Die Datenschutzgesetzgebung ist viel lascher als in westlichen Ländern.

Doch es gibt einen weiteren – weit düstereren – Grund für die technologische Führerschaft der chinesischer Unternehmen. Viele der chinesischen Firmen in den Bereichen künstliche Intelligenz und Überwachung hätten in den letzten Jahren von den stark angestiegenen Ausgaben für die Überwachung insbesondere in der westlichen Provinz Xinjiang profitiert, schreibt die Denkfabrik Australian Strategic Policy Institute (ASPI) in einer aktuellen Studie zu den internationalen Verbindungen chinesischer Technologiefirmen. So soll der Telekomausrüster Huawei, ein Weltführer in seinem Bereich, ebenso direkt an der technischen Umsetzung der Überwachung in Xinjiang beteiligt sein wie ByteDance. ByteDance ist besser bekannt für seine Social-Media-Plattform Tiktok, die für seine kurzen lustigen Videos unter Teenagern weltweit beliebt ist.

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In Xinjiang hat Peking die Überwachung weiter getrieben als anderswo: Schätzungsweise 1,5 Millionen Bürger muslimischen Glaubens, vorwiegend turksprachige Uiguren, sind dort in Umerziehungslager gesteckt worden, weil sie von radikalem Gedankengut befallen sein sollen. Auch ausserhalb der Lager wird praktisch jeder Schritt der Menschen mit Kameras überwacht. Bereits im April hatte die «New York Times» aufgezeigt, dass gewisse Algorithmen gezielt darauf ausgelegt sind, Uiguren zu erkennen.

Überwachung als Exportschlager

Die Wirtschaftsplaner in Peking haben schon vor Jahren die künstliche Intelligenz zu einem strategisch wichtigen Sektor erklärt, in dem China zur Weltspitze gehören will. Diese Technologien sollen auch exportiert werden; im Fokus stehen die Länder, die sich der Belt-and-Road-Initiative angeschlossen haben. Der chinesische Staat fördert dort Projekte, die künstliche Intelligenz anwenden, häufig mit günstigen Darlehen.

Das weltweite Marktpotenzial ist gross: Mindestens 75 von 176 untersuchten Ländern haben Überwachungssysteme mit künstlicher Intelligenz im Einsatz, heisst es in einer Studie des Carnegie Endowment of Peace. Dabei handle es sich bei weitem nicht nur um autoritäre Systeme. Rund die Hälfte der entwickelten Demokratien setzten auf künstliche Intelligenz, etwa bei der Grenzkontrolle oder der Terrorbekämpfung, schreiben die Autoren. Allerdings setzten autoritäre Regime die Technologien auch zur Repression ein.

Chinesische Unternehmen haben sich bei Überwachungstechnologien mit künstlicher Intelligenz global eine starke Position geschaffen. Allein Systeme von Huawei kommen in 50 Ländern zum Einsatz – und Huawei ist nicht allein. Selbst zusammengerechnet kommen die grossen amerikanischen Anbieter wie IBM, Palantir und Cisco nur auf eine Präsenz in 32 Ländern. Verschiedene Länder setzten auf mehrere Anbieter.

Internationale Standards definieren

China versucht auch verstärkt, die weltweiten Standards nach seinem Gusto zu formen. Laut einem Bericht der «Financial Times», die sich auf ihr zugespielte Dokumente beruft, nehmen chinesische Firmen grossen Einfluss auf den Prozess, in dem die neuen Uno-Richtlinien für Gesichtserkennung und technologische Überwachung entstehen. Die zuständige Uno-Organisation ist die International Telecommunication Union (ITU) mit Sitz in Genf. Die Standards der ITU sind deshalb so wichtig, weil viele ärmere Länder diese praktisch eins zu eins übernehmen. Ihnen fehlt häufig das technische Know-how, die Standards selber zu definieren. Mit anderen Worten: Wer seine Technologie zum weltweiten Standard erheben kann, hat einen beträchtlichen Wettbewerbsvorteil.

Es geht allerdings nicht nur um Marktanteile. Die chinesischen Unternehmen erhoffen sich vom Zugang zu afrikanischen Märkten auch, ihre Algorithmen verfeinern zu können. Bisher tun sich Gesichtserkennungsprogramme bei dunkelhäutigen Menschen schwer. Die chinesische Firma CloudWalk hat letztes Jahr mit Simbabwe einen Vertrag abgeschlossen «zur strategischen Zusammenarbeit bei einem Massen-Gesichtserkennungs-Projekt», wie es das chinesische Propagandablatt «Global Times» beschreibt. Demnach soll CloudWalk Zugang zu den Gesichtsdaten von Millionen von Einwohnern des repressiv regierten südafrikanischen Landes erhalten.

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