Ich fühle mich diskriminiert, zum Glück!: Wie die identitäre Linke den Universalismus entsorgt

Die französische Feministin Caroline Fourest untersucht das Movens der postmodernen Linken, in jeder Kleinigkeit eine Diskriminierung auszumachen und damit die Werte der Aufklärung zu verraten.

Nico Hoppe
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Das identitäre Gift: Die französische Feministin Caroline Fourest vertritt klare Positionen, wo es um die Werte der Aufklärung geht.

Das identitäre Gift: Die französische Feministin Caroline Fourest vertritt klare Positionen, wo es um die Werte der Aufklärung geht.

Jean-Francois Paga / Leemage / Imago

Das Combahee River Collective, eine Gruppe amerikanischer schwarzer Lesben, schrieb 1977: «Wir glauben, dass die tiefste und möglicherweise radikalste Politik direkt unserer Identität entspringt und nicht der Aufgabe, der Unterdrückung von jemand anderem ein Ende zu setzen.» In ihrem soeben auf Deutsch erschienenen Buch erkennt Caroline Fourest in diesem Statement die Geburt der postmodernen Identitätspolitik, welche die Linke bis heute weltanschaulich prägt.

Der Band mit dem Titel «Generation Beleidigt» ist keine blosse Warnung, sondern kritisiert einen zurzeit modischen Hang zum Identitären und Moralistischen, der zumindest in der jungen, neuen Linken längst den Ton angibt und nun auch weitere gesellschaftliche Bereiche unter strengste Gesinnungsdisziplin zu stellen droht. Fourests in der Tradition der Aufklärung stehende Ausführungen wirken angesichts dessen anachronistisch. Wie konnte es so weit kommen?

Dünnhäutige Inquisitoren

Fourest konstatiert, dass die politische Korrektheit der freiheitsbedrohenden Karikatur immer ähnlicher werde, «die ihre Gegner seit jeher gezeichnet haben». Begünstigt durch die Empörungswut der sozialen Netzwerke, heisse politisches Engagement nunmehr, sich über alles Mögliche zu ereifern und zu erregen, bis eine selbstquälerische Entschuldigung des Denunzierten folgt. Bleibt diese aus, was aufgrund des hohen Einschüchterungspotenzials des Moralrudels jedoch selten geschieht, so folge die Zensur.

Dementsprechend bietet «Generation Beleidigt» ein umfangreiches Kuriositätenkabinett von Praktiken des Ausschlusses, des Boykotts unliebsamer Gruppen. Dies insbesondere in Bezug auf die sogenannte kulturelle Aneignung, welche die Hüter der Tradition immer dann wittern, wenn Weisse Elemente einer vermeintlich authentisch schwarzen oder asiatischen Kultur adaptieren. Die Grenzen zwischen den Kulturen, die Beschränktheit von Sippe und Scholle will die Linke heute nicht mehr abbauen. Gefordert wird stattdessen ein separatistischer Multikulturalismus: «Anstatt Stereotype zu beseitigen, werden sie verstärkt und so letztlich in Konkurrenz zueinander gebracht.»

Deswegen ist es nicht verwunderlich, wenn die Werte der Aufklärung von linken Studenten nicht als universell anerkannt werden. Der Kulturrelativismus erhebt sich zum Stützpfeiler des angesagten multikulturellen Bewusstseins. Fourest sichtet diesen fatalen Partikularismus besonders im Umgang der Linken mit den Vertretern des fundamentalistischen Islams: «Ob sie nun vergewaltigen, verschleiern oder enthaupten, in dieser kruden Wahrnehmung sind sie vor allem eines: Rebellen und Verdammte dieser Erde, die versuchen, sich selbst zu dekolonisieren.» Mit dem Verweis auf die alles bestimmende Herkunft kann alles verniedlicht werden.

Die Verwunderung über so viel abgründige Absurdität steht in Fourests Buch zwischen den Zeilen. Und sie weiss, wovon sie spricht. Ihre eigenen Vorträge werden von Studenten gestört – und als sie sich kritisch über das Diktat der Vollverschleierung äusserte, planten Studierende sogar eine «symbolische Steinigung». All das, weil sich Einzelne von ihren Ausführungen verletzt und gekränkt fühlten.

Wer am meisten fühlt, gewinnt

Zum Prinzip erhobene Verletzlichkeit steht so neben der Lust am Krawall, während zugleich Fundamental-Relativismus und die Fixierung auf den ideologischen Gleichklang Hand in Hand gehen: Die Einstellungen der zumeist studentischen Linken scheinen paradox, weil das eigenständige Denken längst durch identitäre Schemata ersetzt wurde.

Fourest sieht sich einer linken und sich offen gebenden Generation gegenüber, die ihr eigenes Unbehagen an jedem noch so kleinen Verdruss zur Grundlage allen Urteilens nimmt. Sie warnt davor, die Universitäten zu «intellektuellen Ghettos» verkommen zu lassen, deren «safe spaces» vor allem vor einem schützen: vor Erkenntnis. Der Kampf um Quoten und Plätze im akademischen Bereich treibt diese Entwicklung an.

«Hochgeschätzt wird in der heutigen Zeit das Opfer, nicht der Mut», hält Fourest fest. Die postmoderne Linke habe deshalb grösstes Interesse daran, dass die angeblichen Diskriminierungen fortdauern. Das tribalistische Schmoren im eigenen Dunst und die Anklage des weissen, westlichen Eurozentrismus, sagt sie, gälten als beste Voraussetzungen für eine Karriere im akademischen oder kulturellen Opfer-Business. Sich über Privilegien zu echauffieren, sei der sicherste Weg, privilegierte Stellungen einzunehmen.

Fourests Erklärungsversuche für das Aufkommen der «Generation Beleidigt» bleiben indes blass. Zwar ist ihr zuzustimmen, dass das Wirken der identitären Linken hehren Idealen entspringt; warum die Ideen von Vielfalt und Offenheit jedoch in ihr genaues Gegenteil – Konformismus und Engstirnigkeit – umschlagen, vermag Fourest nicht überzeugend zu ergründen. Das liegt womöglich daran, dass sie bei aller Kritik an der Linken nach wie vor die grösste Bedrohung von rechts kommen sieht. Dem wäre entgegenzuhalten, dass sich eine Linke, die sich im Rekurs auf Identität vom Universalismus lossagt, gegen die zentrale Errungenschaft der westlichen Zivilisation stellt – und damit nicht weit entfernt ist von Positionen, welche die faschistische Rechte einst innehatte.

Caroline Fourest: Generation Beleidigt. Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei. Über den wachsenden Einfluss linker Identitärer. Aus dem Französischen von Alexander Carstiuc, Mark Feldon, Christoph Hesse. Edition Tiamat, Berlin 2020. 144 S., Fr. 31.90.