Labre
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"WENN DER HIMMEL BLASS WIRD ..." Überlegungen zum Zölibat, Teil 7, v. Kaplan A. Betschart

Die heutige Zölibatspraxis der Ostkirche

Wie aber ist die byzantinische Kirche und die von ihr abhängigen Teilkirchen der östlichen Riten zu ihrer heutigen Haltung dem Zölibat gegenüber gekommen, die nicht mehr mit der apostolischen Tradition übereinstimmt? Um die psychologischen Hintergründe dieses Vorganges besser verstehen zu können, mag folgender Hinweis dienen: Es gilt sowohl für die Kirche des Westens als auch für die des Ostens, dass die Verpflichtung zur Ehelosigkeit im Verlaufe der Kirchengeschichte bis zum heutigen Tag - es sei erinnert an die z. Z. mit Heftigkeit geführte Diskussion über den sogenannten “Pflichtzölibat” bei den “Volksbegehren” - immer wieder der menschlichen Schwäche ihren Tribut gezahlt hat und zahlt. Bereits der hl. Ambrosius von Mailand kannte dieses Problem. Er bezeugt, dass die Praxis des gelebten Zölibates vor allem in abgelegenen Gegenden - und zwar des Westens - nicht immer den Vorschriften entspreche. Dieselben Missstände beklagte für den Osten auch der bereits genannte Epiphanius von Salamis.
Was aber den Westen betrifft, so haben Päpste und auch Regionalkonzilien immer wieder gegen die Missbräuche eingegriffen und über die Einhaltung der Zölibatsverpflichtung gewacht. Diese ständige Sorge hat in der Ostkirche zum grossen Teil gefehlt. Die ökumenischen Konzilien der Gesamtkirche haben, wie sie wissen, im ersten Jahrtausend vor allem im Ostens stattgefunden. Dabei wurden vor allem Fragen der Lehre und weniger der Disziplin behandelt, mit Ausnahme des Konzils von Nicäa, wie wir bereits gesehen haben. Pastoral- und Disziplinarfragen überliess man den Teilkirchen. Diese kamen aber wegen der Patriarchatsordnung (Konstantinopel, Antiochia, Alexandrien, Jerusalem) und wegen der relativen Autonomie der Patriarchate zu keinem gemeinsamen, alle verpflichtenden Beschluss. Wegen verschiedener Auffassungen erliessen sie sogar unterschiedliche Normen.
Das Fehlen einer anerkannten und wirksamen Universalautorität, die die Disziplin vereinheitlichten und entsprechende Kontroll- und Ausführungsmassnahmen ergreifen konnte, ist eine der Ursachen vom Abweichen der apostolischen Überlieferung in der Zölibatsfrage. “Während es gelang, für die Bischöfe die alte Tradition der Enthaltsamkeit auch der vorher verheirateten (Bischöfe) aufrechtzuerhalten (vielfach wurden sie ja aus den Mönchen rekrutiert), war der bei Priestern, Diakonen und Subdiakonen eingerissene Ehegebrauch vorher Verheirateter auch nach der Weihe nicht mehr aufzuhalten, geschweige denn die Verpflichtung wiederherzustellen; d. h. man ergab sich der Tatsachenlage” (Stickler, S. 49 f.). Der “Codex Theodosianus” (438) gibt zu verstehen, dass die Enthaltsamkeit intakt sein könne, auch wenn man der früheren Ehefrau des Geweihten gestatte, bei ihm zu wohnen. Denn die Liebe zur Reinheit gestatte es nicht, sie auf die Strasse zu setzen, vor allem dann nicht, wenn ihr Benehmen vor der Weihe ihres Mannes sich als seiner würdig erwiesen habe.
Die Kirchengesetzgebung des Kaisers Justinian im “Codex” (534) und die Novellen (535-565) enthalten bereits die neue Einstellung. Es werden nur noch zwei Verbote aufrechterhalten: es darf zur Weihe nicht zugelassen werden, wer mehr als einmal verheiratet war und es darf nach der Weihe nicht mehr geheiratet werden, was für alle Weihegrade vom Subdiakonat aufwärts gilt. Dagegen war das Weiterführen der Ehe für Subdiakone, Diakone und Priester erlaubt, wenn die Ehe - wie bereits gesagt - nur einmal und mit einer Jungfrau geschlossen worden war.
Das waren - es sei nochmals daran erinnert - Erlasse der Kaiser Theodosius’ und Justinians. Im Osten gab es nie mehr eine für alle Patriarchate verbindliche Disziplinar-Gesetzgebung. Erst im Herbst des Jahres 691 kam es dann auf dem zweiten Trullanum - auch Quinisextum genannt - zu einer zusammenfassenden und ergänzenden Disziplinar-Gesetzgebung. (Als Trullanische Synoden [I und II] werden sowohl das VI. allgemeine Konzil von Konstantinopel [680-681] als auch die Synode vom Herbst 691 bezeichnet, weil beide im Τρούλλος, dem gewölbten Sitzungssaal des byzantinischen Kaiserpalastes, stattgefunden haben; vgl. LThK, Sonderausgabe Bd. 10, Sp. 381.) Dazu ist zu bemerken, dass das zweite Trullanum von der katholischen Westkirche trotz entsprechender Bemühungen von seiten der Ostkirche nie als allgemeines Konzil anerkannt worden ist. Papst Sergius I. (687-701), der selber ein Syrier ist, hat die Anerkennung verweigert. Es ist einseitig von der byzantinischen Kirche einberufen und beschickt worden, ebenso wurde es getragen von deren Autorität.
Um wieder auf unsere Thematik zu kommen: dieses Trullanum II hat in sieben Kanones die gesamt Zölibatsdisziplin für die byzantinische Kirche festgelegt. Auf die vollständige Zitierung aller Kanones können wir verzichten. Aber den Kanon 13 möchte ich Ihnen gemäss Kardinal Stickler vorlegen. Kanon 13 sagt u. a.: “Priester, Diakone und Subdiakone müssen zur Zeit des Altardienstes enthaltsam sein, damit das, was durch die Apostel überliefert und von altersher eingehalten wurde, auch wir selbst bewahren, indem wir die rechte Zeit für alles bestimmen, besonders im Gebet und Fasten. Die also am göttlichen Altar Dienst tun, müssen in der Zeit der heiligen Dienste in allem enthaltsam sein, damit sie das empfangen können, was sie in aller Einfalt von Gott erbitten.“
Kanon 30 gestattet, dass die (gemeint sind Priester und dessen Ehefrau), welche in gegenseitiger Übereinstimmung enthaltsam leben wollen, was auch für die Priester in den Ländern der Barbaren gilt (darunter ist der Westen gemeint), nicht zusammenwohnen bräuchten. Diese übernommene Verpflichtung sei aber eine Dispens, die den genannten Priestern nur wegen ihres Kleinmutes und der sie umgebenden Sitten gewährt werde (vgl. Stickler, S. 52 f.).
Und es gibt eine Bestimmung folgenden Inhaltes: Wer es wagt, “einen Kleriker in sacris, nämlich Priester, Diakon und Subdiakon über die apostolischen Kanones hinaus der Verbindung und Gemeinschaft mit der legitimen Ehefrau zu berauben, soll abgesetzt werden, ebenso wie der, welcher unter dem Vorwand der Frömmigkeit seine Ehefrau wegschickt und darauf besteht“ (vgl. Stickler, S. 52).
Dieser Kanon besagt also, dass die genannten Weihegrade in der byzantinischen Kirche gemäss apostolischer Überlieferung - wie behauptet wird - mit ihren Ehefrauen zusammenleben und die Ehe gebrauchen dürfen mit Ausnahme jener Tage, an denen sie den Altardienst zu versehen und die heiligen Geheimnisse zu feiern haben. Kardinal Stickler bemerkt dazu - offensichtlich zitiert er nicht den vollständigen Text des Kanons 13, sondern macht eine Inhaltsangabe, wenn er schreibt: “Das sei auch von den Vätern, die in Karthago zusammengekommen waren, gesagt worden.” Wir werden noch einmal darauf zu sprechen kommen, was von den Vätern in Karthago gesagt worden ist.
Aus den Bestimmungen von Trullanum II ergibt sich, dass der Osten sich genau so wie der Westen auf die bekannten Stellen der Hl. Schrift und auf die Apostel zurückgehende Tradition beruft und dies, obwohl die Zölibatsvorschriften des Ostens sich von denjenigen des Westens in wesentlichen Punkten unterscheiden. Einig sind sich der Westen und der Osten in den Zölibatsvorschriften für den Bischof. Der große Unterschied betrifft die Weihegrade unter dem Bischof. Für sie wird die Enthaltsamkeit vom Gebrauch der Ehe nur für die Zeit des eigentlichen Altardienstes verlangt, den der Priester in der Ostkirche gewöhnlich nur am Sonntag und ab und zu auch an einem Werktag zu versehen hatte. Ist dies nicht eine Rückkehr zur alttestamentlichen Praxis?
Was aber am meisten erstaunt ist dies, dass das Zusammenleben und der Gebrauch der vor der Weihe eingegangenen Ehe “nicht nur mit grosser Entschiedenheit verteidigt”, “sondern jede gegenteilige Einstellung mit schweren Sanktionen belegt” wird. Die Ausnahme, die für die in der westlichen Kirche lebenden Priester der Orthodoxie zugestanden wird - also zölibatär zu leben -, ist eine Dispens und wird nur wegen des Kleinmutes der Priester gewährt und auch wegen der Schwierigkeiten, die durch die anderen Verhältnisse im Westen durch den Gebrauch der Priesterehe entstehen können. Unter diesen “anderen Verhältnissen” ist die allgemeine Enthaltsamkeitspraxis der Westkirche gemeint.
Wir versuchen immer noch die Frage zu beantworten, wie die byzantinische Kirche und die von ihr abhängigen Teilkirchen der östlichen Riten ihre heutige Haltung dem Zölibat gegenüber begründen, die nicht mehr mit der apostolischen Tradition übereinstimmt? In Konstantinopel, dem “Rom” der Ostkirche, war man sich der Unechtheit der Paphnutiusfabel bewusst - wir sprachen bereits davon, so dass man damit nicht argumentieren konnte. Was blieb anderes übrig, als sich auf Zeugnisse des christlichen Altertums zu stützen, die nicht in der Ostkirche, aber in einer ihr nahestehenden, glaubwürdigen Kirche entstanden waren. Es waren dies Disziplinardokumente, die sogar in den Generalkodex der Ostkirchen aufgenommen worden waren. Und zwar waren es die Kanones der Afrikanischen Kirche, die, wie wir bereits wissen, “ausdrücklich die Klerikerenthaltsamkeit behandelten und das noch in direkter Berufung auf die Apostel und die alte Kirchentradition” (Stickler). Doch wie ist dann eine Berufung auf die alte Kirchentradition bei der sehr stark abweichenden Zölibatshaltung der Ostkirche von eben dieser Tradition möglich? Kardinal Stickler schreibt:

“Da sie (die alte Kirchentradition) für die Bischöfe die gleichen Verordnungen enthielten, für die Priester und Diakone sowie Subdiakone aber das gerade Gegenteil aussagten, musste der authentische Text der afrikanischen Kanones geändert werden, was um so ungefährlicher war, als ja die wenigsten im Osten noch das Latein des Urtextes verstanden. Während also dieser die vollständige Enthaltsamkeit für alle Grade der höheren Weihen verlangte, beschränkte man sie für die Regel der Ostkirche auf die Zeit des direkten Altardienstes, wie das im Alten Testament der Fall gewesen war. Man behielt aber die Berufung auf Apostel und die alte Kirche auch für den manipulierten Text bei, um ihm so die auch sonst im Orient bekannte Grundlage des Zölibats zu wahren” (S. 55).

Kardinal Stickler spricht von einer Textfälschung, die die Wahrheit in das Gegenteil verkehrt” (S. 56). Und in einer Fussnote (Nr. 59) schreibt er:

“Wir haben also hier eine Kombination von afrikanischen Texten mit dem der Trullanischen Väter vor uns. Diese lassen im can. 13. jeden Hinweis auf die Bischöfe des karthagischen Textes aus, übernehmen aber den hier aufscheinenden Hinweis auf die apostolische und altkirchliche Tradition, die sie auch bewahren wollen, für die von ihnen ins Gegenteil veränderte Disziplin für die Priester und Diakone. So unterschieben sie ihrer geänderten Disziplin das Zeugnis der Apostel und der alten Kirche für die alte Disziplin, die die afrikanischen Väter aber auf die Enthaltsamkeit aller 3 höheren Grade der Kleriker bezogen haben.”

Für die Kirche des Westens ist die Vorgehensweise der orthodoxen Kirche im Grunde genommen ein weiterer Beweis für die Richtigkeit ihrer Haltung in der Zölibatsfrage und zwar insofern, als dass er tatsächlich auf die Apostel zurückgeht und dass diese Wahrheit im Bewusstsein der alten ungeteilten Kirche fest verankert gewesen ist.

Fortsetzung folgt
Brazos
Gerade in unserer heutigen Zeit muss der große Segen und die große Heiligkeit des Zölibat gewahrt bleiben, ohne das dieser ein Sammelbecken für Homosexuelle wird. Da vertraue ich doch unseren Papst.
alfredus
.. vertraue ich doch unserem Papst ..? @Brazos Wenn Sie da nur nicht auf das falsche Pferd setzen ! Warten wir die Amazonas-Synode im Oktober ab, da wird sich vieles entscheiden. 🤗 😲 🙄
Brazos
@alfredus
Genau, warten wir erstmal die Synode ab und beten wir dafür, dass dort das geschieht, was am besten für die gesamte Menschheit ist. 👍
alfredus
Ein sehr starker Beitrag zum Zölibat. @Labre Hier wird nochmal deutlich, was man heute bestreitet, der Zölibat geht auf die Praxis der Apostel zurück ! Die katholische Kirche tut gut daran, den Zölibat beizubehalten, denn er ist ein Zeichen des Glaubens. Leider wird die Kirche vom Zeitgeist heimgesucht und dieser ist von der Mentalität der Protestanten und damit profan. Durch diese Profanität ist …Mehr
Ein sehr starker Beitrag zum Zölibat. @Labre Hier wird nochmal deutlich, was man heute bestreitet, der Zölibat geht auf die Praxis der Apostel zurück ! Die katholische Kirche tut gut daran, den Zölibat beizubehalten, denn er ist ein Zeichen des Glaubens. Leider wird die Kirche vom Zeitgeist heimgesucht und dieser ist von der Mentalität der Protestanten und damit profan. Durch diese Profanität ist die protestantische Gemeinschaft unbedeutend geworden und nicht überlebensfähig. Trotz diesem Beispiel hält man an der Protestantisierung der Kirche fest, der Garant dafür ist die deutsche " Bischofskonferenz " ! 😇 😈 🤬
Seidenspinner
👏 👏 👏