Was passiert, wenn der Staat gottlos wird? Die Antwort gibt Papst Leo XIII.
14 Wenn man, so oft überhaupt von Freiheit die Rede ist, darunter die gesetzmäßige und sittliche Freiheit verstände, wie die gesunde Vernunft und unsere Darlegung sie erwiesen haben, würde niemand es wagen, die Kirche zu tadeln.
Leider geschieht es, indem man ihr in höchst ungerechter Weise den Vorwurf macht, sie wäre eine Feindin der Freiheit des Einzelnen oder des Staates. Sehr viele folgen dem Beispiele Luzifers, der das gottlose Wort sprach: „Ich werde nicht dienen“, und streben im Namen der Freiheit eine unsinnige Zügellosigkeit an. Dazu gehören die Anhänger jener so weit verbreiteten und so mächtigen Sekte, die Liberale genannt werden wollen, indem sie ihren Namen von der Freiheit (libertus) herleiten.
Das Dogma des Rationalismus ist die Autonomie der Vernunft
15 In der Tat, was die Naturalisten oder Rationalisten in der Philosophie anstreben, das wollen auf dem Gebiete der Moral und des bürgerlichen Lebens die Anhänger des Liberalismus erreichen, indem sie von den Naturalisten aufgestellten Grundsätze in die Moral und das Leben einführen.
Die Grundidee des ganzen Rationalismus ist aber die Oberherrlichkeit der menschlichen Vernunft, welche der göttlichen und ewigen Vernunft den Gehorsam verweigert, sich für unabhängig erklärt und sich selbst zum obersten Prinzip, zur Quelle und zum Richter aller Wahrheit aufwirft.
Er lehrt die unabhängige Moral
Die genannten Anhänger des Liberalismus erklären also, dass es keine göttliche Gewalt über uns gebe, der wir im Leben zu gehorchen hätten, jeder sei vielmehr sich selbst Gesetz. Daraus ist jene sogenannte unabhängige Lebensanschauung entstanden, welche unter dem Scheine der Freiheit den Willen von der Heilighaltung der Gebote Gottes befreit, dem Menschen aber eine grenzenlose Zügellosigkeit zu gewähren pflegt.
Der Volkswille sei höchstes Gesetz
Es ist leicht vorauszusehen, wohin dies alles besonders in der menschlichen Gesellschaft führen muss. Steht einmal die Überzeugung fest, dass der Mensch niemanden untersteht, so folgt von selbst, dass die Ursache, durch welche eine bürgerliche oder staatliche Vereinigung zustande kommt, nicht in einer Macht, die außer oder über dem Menschen steht, zu suchen ist, sondern einzig und allein in dem freien Willen der Einzelnen; dann stammt die öffentliche Gewalt ebenfalls in ihrem letzten Ursprung vom Volke; und da die Vernunft des Einzelnen die einzige Führerin und Norm des Privatlebens ist, so muss folgerichtig die Vernunft der Gesamtheit die Norm für das öffentliche Leben bilden. Infolgedessen hat die größere Masse auch die größere Macht und die Majorität des Volkes ist es, welche die öffentliche Rechte und Pflichten bestimmt.
Diese Lehre ist unvernünftig
Aus dem Gesagten folgt, wie unvernünftig dies ist. Es widerspricht absolut der Natur, nicht bloß des Menschen, sondern auch aller anderen Geschöpfe, wenn man kein Band annehmen will, das den einzelnen Menschen oder die bürgerliche Gesellschaft mit Gott dem Schöpfer und somit mit dem höchsten Gesetzgeber aller verknüpft.
Denn alle geschaffenen Dinge müssen notwendigerweise mit der Ursache ihres Daseins in irgend einem Zusammenhange stehen; es gehört zum Wesen der Dinge, ja es gereicht zur Vervollkommnung jedes Wesens, die Stelle und Stufe einzunehmen, welche die natürliche Ordnung verlangt: dass nämlich das Niedere dem Höheren unterworfen sei und ihm gehorche.
Diese Lehre ist gefährlich für den Staat
16 Außerdem ist jene Lehre für den Einzelnen wie für die Staaten äußerst verhängnisvoll; denn in der Tat, wenn die menschliche Vernunft einzig und allein über Gut und Bös zu entscheiden hat, wird jeder Unterschied zwischen Gut und Bös aufgehoben; es würde das Unsittliche vom Sittlichen sich nicht dem Wesen nach unterscheiden, der Unterschied wäre von der Meinung und dem Urteil des Einzelnen abhängig, was gefiele, wäre auch erlaubt.
Diese sittliche Ordnung, die zur Bezähmung und Unterdrückung der stürmischen Leidenschaften fast keine Macht besitzt, würde von selbst zu jeglicher Sittenverderbnis führen.
Im öffentlichen Leben löst sich alsdann die obrigkeitliche Gewalt los von ihrem wahren und natürlichen Fundamente, auf dem allein ihre ganze Macht der Förderung des Gemeinwohles beruht. Das Gesetz, das zu bestimmen hat, was zu tun und zu lassen ist der Willkür der Masse überantwortet, was leicht zur Tyrannei führen kann.
Ist einmal die Oberherrlichkeit Gottes über den Menschen und über die menschliche Gesellschaft abgeschafft, so folgt von selbst, dass es öffentlich keine Religion mehr gibt und alles, was auf Religion bezug hat, gänzlich vernachlässigt werden wird.
Ebenso wird die Menge, gestützt auf ihre vermeintliche Gewalt, leicht zu Empörung und Aufruhr sich erheben, und sind die Bande der Pflicht und des Gewissens zerrissen, so bleibt nichts als die rohe Gewalt mehr übrig, die aber für sich allein nicht stark genug ist, die Volksleidenschaft zu zügeln. Zur Genüge ist dies bewiesen durch den ständigen Kampf gegen die Sozialisten und andere aufrührerische Sekten, die schon daran sind, die Fundamente der Staaten zu erschüttern.
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Es mögen also vorurteilsfreie Männer selbst entscheiden, ob solche Lehren dazu beitragen, dem Menschen die wahre und seiner würdige Freiheit zu erhalten, oder ob sie vielmehr diese verdrehen und ganz zu Grunde richten Als unsere Lebensnorm haben wir mithin in ständiger Ehrerbietigkeit sowohl das ewige Gesetz, als alle jene einzelnen Gebote zu betrachten, die der unendlich weise und allmächtige Gott nach der von ihm gewählten Weise gegeben hat; wir können sie an klaren und unzweifelbaren Merkmalen sicher erkennen. Und dies umso mehr, da jene Art von Gesetzen vollkommen mit unserer Vernunft harmonieren und das Naturgesetz vervollkommnen, da sie mit dem ewigen Gesetz sowohl den Ursprung als auch den Gesetzgeber gemeinsam haben. Diese Gesetze enthalten nämlich eine Belehrung Gottes selbst an uns, der uns gnädig lenkt und leitet, damit nicht unser Geist und Wille auf Abwege gerate. So muss denn heilig und unverletzt vereinigt bleiben, was nicht getrennt werden darf noch kann, und in allem müssen wir, wie die natürliche Vernunft es vorschreibt, Gott gehorsam und zu Diensten ergeben sein.
copie von Kathpedia. Aus der Enzyklika Libertas Praestantissimum Donum
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