Interview

Kabarettist Dieter Nuhr: «Alle wichtigen Themen werden in Deutschland erstaunlich wenig mit dem Verstand und erstaunlich viel mit Hysterie behandelt»

Dieter Nuhr ist derzeit Deutschlands erfolgreichster wie meistgehasster Kabarettist. Im Gespräch erklärt er, was er wirklich über Greta Thunberg denkt und weshalb er nach einem Shitstorm weit davon entfernt ist, sich zu entschuldigen.

Claudia Schwartz
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Deutscher Kabarettist in hysterischen Zeiten: Dieter Nuhr.

Deutscher Kabarettist in hysterischen Zeiten: Dieter Nuhr.

PD

Herr Nuhr, entschuldigen Sie bitte die Frage: Sind Sie für Umweltschutz?

(Lacht.) Ja, natürlich bin ich für Umweltschutz. Die Umwelt ist unser Lebensraum, und natürlich muss sie geschützt werden, ist doch klar bei siebeneinhalb Milliarden Menschen.

Wie finden Sie Greta Thunberg?

Ich finde, dass die positiven Punkte überwiegen, weil sie dieses Thema eben aufs Tapet gebracht hat. Allerdings finde ich die Lösungsvorschläge der Friday-for-Future-Bewegung über weite Strecken naiv. Das kann man Kindern und Jugendlichen nicht vorwerfen, aber den Erwachsenen schon. Dieses «Folgt der Wissenschaft», so als gäbe es nur eine Wahrheit, ist für mich die grösste Naivität, die ich Greta Thunberg und ihren Jüngern ankreiden würde. Das ist Erlösungsdenken, und Erlösungsdenken ist immer ein Ziel meines Humors gewesen.

Und wie weit rechts sind Sie?

Ich bin nicht ansatzweise rechts. «Rechts», das ist für mich völkisches Denken, das ist mir vollständig fremd. Also null Prozent rechts. Wenn rechts als wirtschaftsliberal interpretiert wird, dann habe ich hohe rechte Anteile, weil ich glaube, dass die Marktwirtschaft geeignet ist, die Probleme der Menschen besser zu lösen als die Planwirtschaft. Das sieht man gerade in Berlin wieder, wo versucht wird, das Wohnungsproblem planwirtschaftlich zu lösen, was furchtbar in die Hose geht. Dass mir vorgeworfen wird, dass ich rechts bin, das hat natürlich nur eine Funktion: eine unbequeme Stimme mundtot zu machen. Diese dämliche Etikettierung dient nur der Diskreditierung. Ich lehne weder den Umweltschutz ab noch den Sozialstaat. Das ist auch völlig albern, ich meine, dafür muss man auch wahnsinnig sein.

Stimmt. Und trotzdem haben Sie einen beispiellosen Shitstorm geerntet für Ihre eigentlich ja harmlose Bemerkung, dass Sie gespannt seien, was Greta machen würde, wenn es kalt wird, und dass es «Heizen eben nicht sein kann». Was war das Problem an diesem Satz?

Das Problem war, dass das ein echt guter satirischer Witz war, weil er die Problematik in eine Pointe gefasst hat. Nämlich dass mal freitags rausgehen und was rufen eben nicht weiterführt. Ein Drittel unserer privaten Emissionen, die wir raushauen, kommt von der Heizenergie. Und selbstverständlich hätte die Umsetzung dessen, was da gefordert wird, auch Konsequenzen für das private Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen, die demonstrieren.

«Toleranz heisst, zu ertragen, dass jemand anders denkt, und in Betracht zu ziehen, er könnte irgendwo recht haben.»

Hanns Dieter Hüsch hat einmal über das Kabarett gesagt: «Wenn wir schon nicht die Wahrheit herausbringen, dann wenigstens die Wirklichkeit.» Worin liegt die Spannung zwischen Kabarett und Wirklichkeit?

Mein Humor hat sehr viel mit Anspruch und Wirklichkeit zu tun, mit dem Scheitern von einfachen Erklärungen. Da bin ich Hüsch sehr ähnlich. Hüsch hat ja übrigens ein ähnliches Schicksal gehabt, was das angeht. Er ist ein Jahr lang nicht in Deutschland aufgetreten, weil Aktivisten ihn beschimpft haben, eine Bühne gestürmt haben und ihm gesagt haben, er sei kein anständiger Sozialist – jeden Abend, bis er nicht mehr auftreten konnte. Und das war schon damals die berühmte Toleranz der Linken, die sich von derjenigen von Rechten kaum unterscheidet.

Und was heisst Toleranz?

Ertragen, dass jemand anders denkt, und in Betracht ziehen, er könnte irgendwo recht haben.

Weshalb regt sich Deutschland so auf, wenn Sie einen Greta-Witz machen? Und wenn Jan Böhmermann einen Ziegenficker-Witz über Erdogan macht, dann finden alle wichtig, dass man das sagen darf, und gehen auf Erdogan los, wenn der sich wehrt.

Böhmermann macht seine Witze exakt dem politischen Zeitgeist entsprechend, während meine diesem Zeitgeist oft widerstehen oder sich ihm widersetzen. Das ist der einzige Unterschied. Gerade durch meine Unabhängigkeit bin ich halt für viele auch ein Feindbild. Während der Glaube weit verbreitet ist, man habe die Lösung, die Wahrheit. Und jeder, der sich dem widersetze, sei nicht andersdenkend, sondern einer, der sich der Wahrheit widersetze. Das trägt quasireligiöse Züge. Dass man sich der Erlösung widersetzt, wird ungern gesehen bei Gläubigen. Das ist rechts aussen wie links aussen exakt so.

Sie sind schon lange in diesem Geschäft. Was hat sich da in der öffentlichen Reaktion verändert?

Die Massivität hat sich geändert, mit der das auf einen einprasselt. Dadurch, dass ich immer mehr Sendezeit im Fernsehen habe, nimmt auch die Massivität der Angriffe zu. Damit muss man leben lernen. Woran man sich überhaupt nicht gewöhnt, ist die Subtilität, mit der versucht wird, einen zu zerstören, zu neunzig Prozent mit falscher Etikettierung, sprich, plötzlich ist man rechts oder homophob. Solche Versuche, jemanden sozusagen zu entehren, damit auf seine Argumente nicht mehr gehört wird – das ist primitives mittelalterliches Vorgehen, das ist widerlich. Und da gehe ich ja auch streng dagegen an.

Sie sind Gründungsmitglied der Grünen . . .

. . . waren . . .

. . . Okay: waren. Was ist der Grund, dass Sie nicht mehr Parteimitglied sind?

Ich bin erst mal überhaupt nicht mehr in der Lage, mich einer politischen Partei anzuschliessen, weil ich mich in meiner Tätigkeit als politisch neutraler Beobachter sehe. Davon abgesehen sind natürlich auch viele Ziele der Grünen nicht mehr meine Ziele, ganz viele Kleinbereiche, die von Fundamentalismus geprägt sind, von Kollektivismus. Die Grünen sind die Partei, die am meisten versucht, durch Verbote politisch zu lenken. Damit toppen sie alle anderen. Ich kann auch gar nicht begreifen, wieso die Grünen bei uns immer noch als liberale Partei wahrgenommen werden. Das Gegenteil ist der Fall.

Nun waren ja die Deutschen noch nie berühmt dafür, Weltmeister im Humor zu sein. Aber derzeit scheint diese Eigenschaft komplett verloren gegangen. Haben in Deutschland Gesinnung und Moral den Humor ersetzt?

In der Tat, das ist bedenklich. Das glaube ich auch, dass wir langsam, aber sicher wieder in diese gesinnungspolizeiliche Ecke hineingeraten. Das war immer dann der Fall, wenn es um Heilsideologien, um Wahrheiten ging. Der Klimawandel ist jetzt ein Thema. Und ich finde, dass man natürlich dieses wie jedes andere wichtige Thema mit Humor bearbeiten muss. Wir sind ja auch so weit, dass wir Humor über Religion nicht mehr zulassen. Das ist für mich ein erstaunlicher Vorgang, wenn darüber ernsthaft auch unter Linken oder fortschrittlich eingestellten Menschen wieder nachgedacht wird. Das sollte schon Anlass zur Nervosität geben. Das Klima ist totalitärer geworden, das glaube ich schon, das empfinde ich so. Da muss ich mich immer selber hinterfragen, weil ich natürlich als selbst Betroffener da nicht überreagieren sollte. Ich bin ja jemand, der versucht, hysterische Reaktionen immer wieder sofort zu hinterfragen. Und auch das ist in Deutschland schwierig im Moment, weil eigentlich alle wichtigen Themen in Deutschland erstaunlich wenig mit dem Verstand, erstaunlich viel mit Hysterie behandelt werden.

In Ihrer Sendung haben Sie die Corona-Hysterie ironisch thematisiert, dann aber zum Schluss den Betroffenen doch noch gute Besserung gewünscht. Ist das jetzt eine Reaktion auf den Shitstorm zu Greta? Kommt man als Kabarettist jetzt nur noch durch, wenn man die Meldung der Gegenseite sozusagen mit einbaut bzw. sich dann gleich wieder entschuldigt für das, was man gesagt hat?

(Lacht.) Also, ich bin weit davon entfernt, mich dafür zu entschuldigen. Aber natürlich spielt das eine Rolle, weil ich natürlich nicht als Zyniker dastehen will, der sich über Todkranke lustig macht. Und ja, ich finde die Situation auch schon krank, weil es selbstverständlich sein sollte, dass das nicht so ist, auch wenn man sich lustig macht über die Intensität, wie dieses Thema besprochen wird, nämlich so, als wäre es der Niedergang oder die nächste Pestepidemie. Aber natürlich müssen wir vor einer Sendung überlegen, was passieren würde, wenn es jetzt den ersten Toten in Deutschland gäbe am Sendeabend. Da nähert man sich dieser Hysterie ernsthaft auch ängstlich, weil man befürchten muss, nachher zerlegt zu werden. Und das ist in der Tat einfach ein Reagieren auf die wachsende Humorlosigkeit. Der Rechtfertigungsdruck ist immer da, weil auf der einen Seite die politisch Korrekten darauf warten, dass sie einem irgendwelche Vorwürfe machen können, und auf der anderen Seite sind da die Populisten, die einen auf ihre Seite ziehen wollen. Beides möchte ich unbedingt vermeiden, und deshalb fange ich für mich an, präziser zu formulieren. Wenn man über die einen spricht, will man nicht von den anderen vereinnahmt werden. Das führt dazu, dass man genauer plant. Und das ist schon sozusagen die erste Kastration des Humors.

Nun kommen Sie als Kabarettist nicht darum herum, sich zu exponieren. Wie erholen Sie sich, wenn Sie das angreift?

Ich reise viel, verlasse den eigenen Kulturraum, versuche, Bedeutung sozusagen zu relativieren, indem ich mich distanziere und zusehe, was wahre Sorgen sind. Ich bin eigentlich für Reisezwang. Wenn alle Leute irgendwo abgeworfen würden und man sagen würde, hier bleibst du sechs Wochen und versuchst mal durchzukommen, dann würden sie sehen, auf welchem Level bei uns eigentlich diskutiert wird. Bei uns ist Kleidung, Heizung, Wohnung, Bildung für alle garantiert, und wenn man das woanders auf der Welt erzählt, ist in 99 Prozent der Fälle die Gegenfrage: Warum arbeitet ihr dann noch? Und das ist insofern interessant, als wir selbst Arbeit schon nur noch ertragen, wenn sie uns erfüllt. Es als Zumutung erachten, fürs Überleben sorgen zu müssen, was überall auf der Welt selbstverständlich ist. Durch diese Distanzierung bekomme ich dann auch wieder ein vernünftiges Verhältnis zum eigenen Sein.

«Man soll nicht unterschätzen, wie sehr der Gegenwind auch Antrieb ist.»

Sie fotografieren auch, machen Ausstellungen, ist das für Sie ein Fluchtpunkt?

Ich habe eigentlich Kunst studiert und empfinde das als geradezu angenehm heile Gegenwelt, auch weil sie international ist und unhysterisch.

Jemand schrieb letzthin nach dem Greta-Shitstorm, Dieter Nuhr müsse jetzt aufpassen. Man forderte die Absetzung ihrer Sendung. Sie gelten mittlerweile mit ihrer konservativen Haltung als ein Fremdkörper in der ARD. Wie verliert man in so einem Klima nicht den Humor?

Ehrlich gesagt ist das oft so absurd, weil ich ja für die Meinungsfreiheit eintrete. Ich habe Meinungsfreiheit früher für eine linke Forderung gehalten. Heute weiss ich, dass es bei Linken in den meisten Fällen immer nur um die Freiheit der eigenen Meinung ging. Da wird unverhohlen die Absetzung meiner Sendung gefordert, was Ultrakonservative sich früher kaum getraut haben, das ist für mich auch was Lustiges eigentlich. Was wirklich schön ist, und das ist wirklich nicht dahergesagt: Ich kann mich hundertprozentig darauf verlassen, dass der Sender hinter mir steht. Und ich habe noch nie, und das mag man mir jetzt glauben oder nicht, ich habe noch nie vom Sender Hinweise bekommen, dass ich irgendwas nicht sagen sollte. Ich kann völlig frei arbeiten. Das ist auch die Grundbedingung für das, was ich tue. Wenn das nicht Fall wäre, würde ich sofort aufhören, weil es dann keinen Sinn mehr hätte.

Was stört Sie derzeit am deutschen Diskurs am meisten?

Was mich eigentlich wirklich nervös macht und was die Deutschen an sich selber wirklich nicht wahrnehmen, ist diese Unterteilung in Gut und Böse. Die funktioniert immer noch unfassbar gut. Aber wenn von den Linken behauptet wird, mir würden die Rechten zugucken, und die Rechten behaupten, mir würden die Systemlinge zugucken, wenn alle sauer sind und wenn alle glauben, dass man auf der Seite des Bösen steht, dann steht man wahrscheinlich nahe der Wahrheit.

Können Sie sich vorstellen, dass Sie irgendwann sagen: Jetzt geht mir das alles so auf den Geist, jetzt mache ich was ganz anderes?

Ich kann mir vorstellen, dass sich das ein bisschen anders gewichtet bei mir zwischen Kunst und Wort. Aber auf der anderen Seite soll man nicht unterschätzen, wie sehr der Gegenwind auch Antrieb ist. Ich glaube, dass ich mich schon weiter zurückgezogen hätte, wenn es diesen Widerstand nicht gäbe. So ist es auch das Gefühl, diesen Platz nicht räumen zu dürfen.

Die nächste Folge von «Nuhr im Ersten» läuft am Donnerstag, dem 12.3. um 22 Uhr 45 in der ARD. Im Mai tritt der Kabarettist auch in der Schweiz auf, u. a. am 9. Mai im Volkshaus Zürich. Infos unter www.nuhr.de.

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