M.RAPHAEL
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Das Kinderkollektiv

In meinem letzten Artikel, Unterschiedliche Grundauffassungen im Kampf um die Kirche, habe ich auf die ganz unterschiedliche Axiomatik der Modernisten im Gegensatz zur katholischen Tradition hingewiesen, die einen vernünftigen Diskurs mit ihnen in Bezug auf die weitere Entwicklung der Kirche unmöglich macht.

Mit Blick auf die Konzilskleriker, die keine Modernisten sind, verhält sich die Sache etwas komplizierter. Diese glauben die Inhalte der katholischen Lehre im Sinne des Katechismus. Sie sind von ihrem Glauben überzeugt. Ihre darunter liegenden, meist unbewussten Überzeugungen scheinen sich aber wesentlich von denen der Tradition zu unterscheiden. Wenn Letztere sich in der Nachfolge der Selbstaufopferung des Herrn versteht, einschließlich der Heilsnotwendigkeit von Sühne, Buße und Hingabe, so steht der Konzilsglaube auf den Säulen von Selbstverwirklichung, Feier, Leidvermeidung und positivem Denken.

Die Konzilskleriker sind meistens ehrenwerte und gute Menschen. Sie wollen eine heile Welt. Von ihren Müttern/Lehrern haben sie gelernt, dass Gott lieb ist und nichts anderes will, als dass es allen Menschen gut geht. Sie glauben an eine grundsätzlich positive Welt. Alles ist gut. Alles ist lieb. Alles Negative ist Mangel und sollte eigentlich nicht sein. Im Prinzip braucht man sich überhaupt nicht damit zu beschäftigen. Kirche ist für sie eine liebe und nette jugendliche Gemeinschaft rund um ein Lagerfeuer, ein ewiger Kindergeburtstag mit Händchenhalten. Durch gnadenloses Zusammenhalten wird jedes Lebensrisiko ausgeschaltet. Das Schutzkollektiv isoliert vor jeder Angst. Aus Furcht vor der Freiheit regrediert man in die Kindheit (vgl. Fromm, Erich, Die Furcht vor der Freiheit) und besteht auf unbedingten Gehorsam gegenüber der Führung.

Die Konzilskleriker meinen es gut. Sie halten die Konzilskirche für menschenfreundlicher als die traditionelle Kirche. Deren Bereitschaft zum Leiden können sie nicht verstehen. Motto: „Warum leiden oder verzichten, wenn der gute Gott die Lebensfreude will? Der Herr hat uns die heutige Technologie geschenkt, damit wir eine Welt ohne Opfer aufbauen können, eine Welt in der das Negative immer weiter zurückgedrängt wird.“

Worte, wie die Folgenden, sind für sie kaum noch verständlich:

Meine geliebte Mutter hörte alles und konnte sich wegen des Gedränges dem Kreuze nicht nähern. Sie litt ganz furchtbare Qual. Auch sie war mit ihrem Herzen an mein Kreuz genagelt…… Es war aber bestimmt, daß ihre Seele in ein Meer von Bitterkeit und Schmerz versenkt werden sollte, ohne irgend einen Trost, damit sie mir um so ähnlicher würde. Infolgedessen war ich, der ich ihr in ihren Leiden hätte Trost bereiten können, der Gegenstand ihrer bittersten Schmerzen, wie umgekehrt sie der Gegenstand meiner Schmerzen war. Letzteres wegen der unendlichen Liebe, die in meinem Herz für sie glühte, ersteres wegen der großen Liebe, die in ihrem Herzen brannte für mich, ihren Gott, ihren wahren und einzigen Sohn.“ Mein Leben für Dich, nach den Schriften der Äbtissin Cäcilia Baij OSB, Jestetten 1975, S.162.

Weil es ihnen nur noch um eine heile und positive Welt, eben wie in der Kindheit, geht, reflektieren sie nicht wirklich bewusst, wie Erwachsene, über ihren Glauben. Sie gehorchen dem Katechismus und der katholischen Autorität unbedingt. Dieser Gehorsam sichert ihr Grundvertrauen, dass alles gut und positiv ist. Deshalb können sie mit Kritik an der Kirche nichts anfangen. Die Piusbruderschaft gefährdet ihre heile Welt. Um Inhalte geht es eben nicht. Es geht nur um das Zusammenhalten. Schutzorientierte Kinder wissen, was sie fühlen müssen, damit die Gemeinschaft nicht geschwächt wird.

Diesen positivistischen Geist hat das Vat. 2 Konzil in der Kirche zur Herrschaft gebracht. Jeder kann tun und lassen, was er will, solange er diese Konzilsgemeinschaft der positiven Lebensfreude grundsätzlich akzeptiert. Deshalb wird gegen Selbstverwirklicher (aktive Homosexuelle, Feministinnen, Abtreiberinnen, etc.) nicht wirklich vorgegangen. Die allerdings, die an die Notwendigkeit des Verzichts aus Liebe zum Herrn erinnern, werden mit aller Macht bekämpft. Das will man in der Feier um das Lagerfeuer nicht hören, während man gerne ein Bier auch mit einem lieben und sensiblen Sünder trinkt. Der wird sich schon noch bekehren, wenn man nur lieb genug zu ihm ist. Jesus hat die Welt erlöst. Das einmalige Opfer ist erbracht. Die ganze Welt ist freigekauft. Er ist das Gute überall in der Welt, auch in allen Religionen. Jetzt kann jeder leben, wie es ihn glücklich macht. Wer sündigt, hat es halt noch nicht kapiert. Weil es sich bei einer schlechten Tat nicht um einen bösen Willen, sondern nur um lausbubenhafte Dummheit handelt, werden am Ende auch alle in den Himmel geholt. Die Hölle ist leer. Das Motto der Konzilskirche: „Alles ist für immer für alle gut!“ Wahr ist das nicht.

Man sieht, wie mit den Modernisten kann es auch mit den kindlichen Konzilsklerikern kaum eine fruchtbare Diskussion in Bezug auf die Zukunft der Kirche geben. Die Idee aus Liebe zu Gott zu sühnen oder zu büßen, ist für ihre Sehnsucht nach heiler Welt und Leidfreiheit unerträglich. Sie wollen nur tanzen:

youtube.com/watch?v=YxFp23Y0o2o

Man könnte die Schultern zucken und meinen, warum nicht? Jetzt ist alles gut und lieb. Leider ist es das eben nicht. Das Böse ist stark und überall präsent. Das ist besonders deshalb schlimm, weil es fast immer verdeckt wirkt. Ein Leugnen des Negativen führt zu dessen Stärkung. Wer wirklich seine Mitmenschen liebt und aus diesem Grund nicht das eigene Leid und Kreuz auf ihre Schultern abwälzen möchte, wird um Selbstaufoperung und Selbstverzicht nicht herum kommen. Auf der Erde leben wir in einer Kampfzone mit dem Bösen. Wir leben nicht in einer heilen Welt. Das Leid gehört zum Leben dazu. Man kann es nicht vermeiden. Das beginnt schon mit der schmerzhaften Leere, die der Sehnsucht nach Erfüllung entspringt. Statt diese in Gott zu suchen, wählen die meisten Menschen Drogen (Alkohol, Zigaretten, Geld, Macht, Sport, etc.) als Ersatz.

Wir dürfen nicht davon laufen. Wir müssen uns dem Bösen stellen, gerade auch in Form des eigenen Schattens in unserer Seele. Nur die Einwohnung Gottes und die katholische Übernatürlichkeit können ihn letztendlich bannen. Ein rein konzilorientiertes Händchenhalten kommt da niemals hin. Deshalb ist der Konzilsgeist längerfristig unfruchtbar. D.h. die heilige und liebevolle Gemeinschaft, zu der tatsächlich jeder Katholik berufen ist, wird auf Dauer nur durch die katholische Tradition stark sein. Der Kindergeburtstag der Konzilskirche, wie ihn der NOM zum Ausdruck bringt, wird durch die mangelnde Integrationskraft oberflächlicher Gruppendynamismen die Kirche langfristig auseinandertreiben. Sie kann nicht missionieren. Sie kann nicht überzeugen. Sie stirbt aus.

Die Kirche muss der Wahrheit der menschlichen Existenz entsprechen. Sie muss eine Kirche sein, die den Menschen sein ganzes Leben lang entsprechend fordert. Nivellierung und Anpassung an einer Kinderniveau bedeuten dagegen den Untergang. Jordan Peterson drückt das im folgenden Video klar aus:

youtube.com/watch?v=1T35glENMyQ