Von der autoritären Versuchung und deren Zurückweisung (respekt.plus)

Von der autoritären Versuchung und deren Zurückweisung

Rainer Müllan
Dezember 2, 2021

Das Kind, das sich der Autorität seiner Eltern unterwirft, gewinnt deren Anerkennung und hat an deren Macht teil, verstößt aber gegen seine Bedürfnisse, seine Lebendigkeit und sein Selbst. Die Aggressionen, die aus dieser Selbstverleugnung – der Anpassung an äußere Autorität und des Vergehens an seinem Selbst – entstehen, werden verdrängt. Erfahrungen, Traumata und Erlebnisse, die aus diesen frühen Zeiten stammen, können durch (sich aufbauende) autoritäre Verhältnisse wieder aktiviert werden, verdrängte Aggressionen hervorbrechen und sich – mehr oder weniger berechtigt –, gegen tatsächliche oder vermeintliche Ziele oder Symbole jener Autorität wenden.

Widerstand gegen autoritäre Verhältnisse speist sich zu Teilen aus jenen unbewussten Quellen, Aggressionen vor allem, und so notwendig dieser Widerstand ist, so unfrei und an die Autoritäten gekoppelt, bleibt er, wenn sich seine Protagonisten nicht der eigenen, individuellen Geschichte bewusst werden.
Ein Kind, das der ausgeübten Autorität immer weiter folgt, und gleichsam Erfolg und Macht, nach denen es, um den Verlust des Zugangs zu seinem Selbst und den Schmerzen, die es sich auf diesem Weg selbst zufügt, zu kompensieren, strebt, wird dies ein Leben lang tun; es wird sein Inneres übergehen, abspalten und sich nach außen wenden. Erfolg und Macht werden einem solchen Menschen alles bedeuten, er wird alles tun, um sie zu erlangen und selbst destruktive Mittel dafür – offen oder auch nicht – einsetzen. Schmerz und Leid, das er auslöst, wird er, aufgrund des mangelnden oder fehlenden Kontakts zu sich selbst, nicht mehr empfinden[1].

Autoritäre Verhältnisse stellen die Frage, ob man gehorchen und sich Leid zufügen oder sich selbst entsprechen möchte. Der Widerstand beginnt, wo der Zugang zu sich selbst noch nicht verschüttet ist und er wird oder sollte, nicht in bloßen Kampf, sondern von den Autoritäten weg, zu einer Vertiefung diese Zugangs führen. Zweifel und Angst schwinden, Gelassenheit kehrt ein, wo das gelingt. Wer tut, was ihm entspricht, und durch seinen Widerstand schützt, was er tut, kann andere Verhältnisse aufrichten, Verhältnisse, die ihn tragen, weil die Arbeit daran nicht auszehrt, sondern befreit, gleichsam „psychische Energie“ freisetzt. Die nach Macht und Erfolg strebenden Autoritäten, die Herrschaft als Kinder erfahren haben und sie nun ausüben, benötigen diejenigen, die sie beherrschen können, sie sind in ihrem Erfolgs- und Machtstreben an sie gebunden, die Beherrschten aber nicht an sie (jedenfalls dann nicht, wenn sie über eine gewisse Einsichtsfähigkeit verfügen).

Der Kampf ist nicht das Schlimmste, das den Autoritären widerfahren kann und er ist nicht das erste, sondern das letzte Mittel des Widerstands; Macht, Erfolg und Herrschaft beginnen zusammen zu brechen, wenn die Beherrschten sich auf sich selbst besinnen. Die Quelle ihrer Kraft ist nicht der Gehorsam und er erlöst nur scheinbar von Angst, Qual und Verantwortung; die Schmerzen, die der Gehorsam mit sich bringt und die damit verbundenen Aggressionen, werden auf andere, von den Autoritäten als Schuldige benannte Gruppen, übertragen. Tatsächlich ist aber jeder selbst für die Aufgabe seiner Verantwortung und seines Daseins als Erwachsener verantwortlich.
Bildungsinstitutionen, die autoritäre Regeln verkünden und Studenten von der Polizei abführen lassen oder die Rechte von Kindern verletzen und deren (psychische) Gesundheit schädigen, haben ihre Anliegen längst preis gegeben und können ihren gesellschaftlichen Auftrag nicht mehr erfüllen: Das im Kern Morsche, fällt bald von selbst zusammen.
Die Abwendung der Beherrschten, ist die Urangst der Autoritäten, weil sie das Gegenteil von Erfolg, Macht und Herrschaft sichtbar macht: Ihr eigenes Leid und ihre innere Leere. Dass sie alleine dastehen, ist, was sie fürchten. Lassen wir es wahr werden.

[1] zu diesem Absatz: Arno Grün „Der Wahnsinn der Normalität. Realismus als Krankheit: eine Theorie der menschlichen Destruktivität“, dtv. 2019

Rainer Müllan
41 Jahre alt, lebt und arbeitet als Pädagoge in Wien


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Maximilian Schmitt
Was ist das für ein seltsamer Beginn des Textes? "Das Kind, das sich der Autorität seiner Eltern unterwirft, gewinnt deren Anerkennung und hat an deren Macht teil, verstößt aber gegen seine Bedürfnisse, seine Lebendigkeit und sein Selbst".
Es ist genau umgekehrt: Ein Kind das seinen Eltern folgt, lehnt erst einmal andere Autoritäten ab, die daherkommen, erst recht, wenn diese die Autoritäten der …Mehr
Was ist das für ein seltsamer Beginn des Textes? "Das Kind, das sich der Autorität seiner Eltern unterwirft, gewinnt deren Anerkennung und hat an deren Macht teil, verstößt aber gegen seine Bedürfnisse, seine Lebendigkeit und sein Selbst".

Es ist genau umgekehrt: Ein Kind das seinen Eltern folgt, lehnt erst einmal andere Autoritäten ab, die daherkommen, erst recht, wenn diese die Autoritäten der Eltern verdrängen wollen. Wehrhafte Jungs gab es in der der Zeit, da Väter noch den Rohrstock schwangen, denn solche Jungs akzeptierten solche Demütigungen nicht durch Fremde. Man sagte sich instinktiv: "Wer ist dieser, daß er mich anzurühren wagt?"