Nach Wahl-Eklat in Thüringen: Kemmerich gibt Amt zurück

„Rücktritt ist unumgänglich“, sagt Thüringens gestern gewählter Ministerpräsident ++ FDP-Chef Lindner stellt Parteivorstand morgen die Vertrauensfrage ++ Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel bei BILD Live: „Merkel hat heute die Ehre Deutschlands gerettet“

Quelle: Reuters

Es lagen nur 24 Stunden und 34 Minuten zwischen der Annahme des Amtes und der Ankündigung, zurückzutreten...

Der frisch gewählte Ministerpräsident von Thüringen, Thomas Kemmerich (FDP), gibt auf: Heute hat er verkündet, sein Amt zurückzugeben.

„Der Rücktritt war unumgänglich. Gezwungen hat uns niemand. Wir haben die Ereignisse und die Reaktionen im Landtag, in den Medien und Social Media analysiert“, sagte Kemmerich in einer Pressekonferenz um 14 Uhr.

Bis Donnerstagnachmittag war aber kein Rücktrittsgesuch des Thüringer Ministerpräsidenten bei der Landtagsverwaltung eingegangen, erklärte ein Sprecher.

Thomas Kemmerich (FDP) am Morgen auf dem Weg in die Staatskanzlei in Erfurt

Thomas Kemmerich (FDP) am Morgen auf dem Weg in die Staatskanzlei in Erfurt

Foto: Martin Schutt / dpa

Zur Wahl gestern sagte er: „Die AfD hat mit einem perfiden Trick versucht, die Demokratie zu schädigen.“

Aber, so Kemmerich: „Eine Zusammenarbeit mit der AfD gab es nicht, gibt es nicht und wird es nicht geben.“

In der Mitteilung der Thüringer FDP-Fraktion hatte es vorher geheißen:

„Thomas L. Kemmerich will damit den Makel der Unterstützung durch die AfD vom Amt des Ministerpräsidenten nehmen“

Die FDP-Fraktion Thüringen will einen Antrag auf Auflösung des Landtags zur Herbeiführung einer Neuwahl stellen.

Am Morgen war FDP-Chef Christian Lindner nach Erfurt gereist, um Kemmerich ins Gewissen zu Reden und ihm zum Rücktritt zu bewegen. Kemmerich betonte in seinem Statement, dass die Thüringen-FDP mit dem Antrag auf eine Neuwahl selbstständig handele.

Formal ist Kemmerich aber noch nicht zurückgetreten. Er bleibt Ministerpräsident, bis ein neuer gewählt ist. Eine Mitarbeiterin der Pressestelle der Staatskanzlei Thüringen zu BILD: „Noch unklar, wann das erfolgt.“

Chris FleischhauerDarum habe ich meine FDP-Mitgliedschaft gekündigt

Quelle: BILD

Lindner stellt FDP-Vorstand die Vertrauensfrage

FDP-Chef Christian Lindner will nach den Vorgängen bei der Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten die Vertrauensfrage in der Parteiführung stellen. Dazu solle an diesem Freitag der Bundesvorstand zu einer Sondersitzung zusammenkommen, kündigte Lindner am Donnerstag in Erfurt an.

Nach dem Thüringen-RücktrittInterview mit FDP-Chef Christian Lindner

Quelle: BILD

Er wolle, dass Thüringen neu wählt: „Eine Neuwahl gibt die Möglichkeit, die Wähler wieder zu versöhnen“, so Lindner.

Dann grenzte er sich von der AfD ab: „Wir haben schon vor Jahren einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegen die AfD beschlossen. Darum bin ich dankbar, dass Kemmerich sich dazu bereit erklärt hat, sein Amt zurückzugeben“, sagte Lindner.

Nach dem Thüringen-RücktrittInterview mit FDP-Chef Christian Lindner

Quelle: BILD

Außerdem nahm er Kemmerich in Schutz: „Zu keinem Zeitpunkt war für mich erkennbar beabsichtigt, tatsächlich ein Amt zu erreichen“, sagte Lindner.

ABER: „Trotzdem ist nun eine Lage entstanden, in der die Führung der FDP neu legitimiert werden muss. Darum habe ich Sondersitzung des Parteivorstands morgen Mittag in Berlin eingeladen.“ Da werde er die Vertrauensfrage stellen.

Lindner: „Das ist doch völlig klar. Ein „Weiter so“ kann's da nicht geben nach diesen Ereignissen.“ Und weiter: „Nach den heutigen Entscheidungen hier in Erfurt ist es mir möglich, mein Amt als Vorsitzender fortzusetzen, aber ich will mich der Legitimation unseres Führungsgremiums versichern. Und deshalb gibt es morgen in Berlin eine Vertrauensfrage im FDP-Parteivorstand. “

Auch CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak begrüßte den Kemmerich-Rücktritt: Der Schritt sei „richtig, aber nach 24 Stunden längst überfällig“.

► Rückblick: Völlig überraschend wurde am Mittwochmittag der bisherige Landeschef Bodo Ramelow (63, Linke) abgewählt. Stattdessen neu im Amt: FDP-Landeschef Thomas Kemmerich. Er bekam im dritten Wahlgang 45 Stimmen, eine mehr als Ramelow. FDP, CDU und AfD stimmten gemeinsam für ihn.

Was folgte: Entrüstung in ganz Deutschland. Nicht nur Stimmen von SPD, Grünen und Linken forderten den Rücktritt des neuen Ministerpräsidenten, auch in den eigenen FDP-Reihen wurden die Rufe laut.

Parolen an FDP-Zentralen geschmiert

Unbekannte schmierten in mehreren Städten Deutschland Anti-Nazi-Parolen an mehrere FDP-Zentralen. Im nordrhein-westfälischen Vreden wurde „Nazis raus“ auf die dortige FDP-Geschäftsstelle geschrieben. Auf der Landesgeschäftsstelle in Schwerin war der Spruch „Fight Nazis! Fck FDP!“ zu lesen. In der mecklenburg-vorpommerischen Landeshauptstadt beschmierten Unbekannte auch die Geschäftsstelle der CDU mit dem Schriftzug „Nazi Unterstützer“. In Dresden warfen Unbekannte blaue Farbe auf die Zentrale der FDP.

Druck von allen Seiten

Der Druck aus der eigenen Partei war für Kemmerich offenbar am Ende zu groß. Während er am Mittwochabend und auch am Morgen einen Rücktritt noch ausschloss, knickte er am Mittag ein.

Auch in der Union ist der Druck gewachsen, die mit den Stimmen der CDU erfolgte Wahl rückgängig zu machen.

▶︎Kanzlerin Angela Merkel bezeichnete das Votum während einer Südafrika-Reise am Donnerstag als „unverzeihlich“ und forderte eine Korrektur. Sie stellte sich damit auch indirekt hinter Neuwahl-Forderungen. CSU-Chef Markus Söder legte ebenfalls noch einmal nach. „Es braucht eine rasche, eine schnelle und eine konsequente Korrektur dieses Missgeschicks von Thüringen und danach eine Festlegung, wie dauerhaft damit umzugehen ist. Denn so etwas darf sich nicht mehr wiederholen“, sagte der bayerische Regierungschef am Donnerstag am Rande einer Landtagssitzung in München. Der Vorgang sei inakzeptabel. Merkel betonte in Pretoria: „Es war ein schlechter Tag für die Demokratie. Es war ein Tag, der mit den Werten und Überzeugungen der CDU gebrochen hat.“ Es müsse jetzt alles getan werden, damit deutlich werde, dass dies in keiner Weise mit dem in Übereinstimmung gebracht werden könne, was die CDU denke und tue. „Daran wird in den nächsten Tagen zu arbeiten sein“, sagte Merkel.

Sigmar Gabriel: „Die Kanzlerin hat die Ehre Deutschlands gerettet“

„Ganz offensichtlich hat Macht vor Anstand gesiegt. Man hat gedacht, man kann sich mit Rechtsaußen eine Blutzufuhr geben lassen“, sagte der ehemalige SPD-Chef Sigmar Gabriel in der Sendung BILD Live. CDU und FDP hätten den gleichen Fehler gemacht wie ihre Vorgängerparteien „damals in der Weimarer Republik“. Nämlich „zu glauben, der Feind steht immer links“.

Sigmar Gabriel live bei BILD„Christian Lindner fehlen die liberalen Instinkte“

Quelle: BILD

Dafür lobte die Reaktion von Angela Merkel heute: „Die Kanzlerin hat es richtig gemacht.“ Sie habe „im kleinen Finger mehr politischen Verstand als Viele in ihrer Partei zusammen.“

Sigmar Gabriel: „Heute hat die Kanzlerin die Ehre Deutschlands gerettet“.

Sie und CSU-Chef Markus Söder hätten „die richtigen Instinkte“ dafür gehabt, „was in Deutschland geht und was nicht.“

Weiter sagte der Ex-SPD-Chef: „Demokratie braucht Voraussetzungen und eine ist, dass die Handelnden wissen, was geht und was nicht. Und man kann froh sein, dass sich Merkel und Söder heute durchgesetzt haben.“

Es werde keine Regierung geben, die von Rechtsradikalen abhängig sei, so Gabriel. Eine Partei, die die deutsche Geschichte umschreiben wolle – in einem Jahr in dem man sich an Auschwitz erinnere. Das sei kein Ausrutscher und die Handelnden Personen hätten gewusst, was sie tun.

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.