Panorama

"Kein Rechenfehler in Studie" Streeck erwartet keine zweite Corona-Welle

Der Bonner Virologe Hendrik Streeck wagt in der Corona-Pandemie "einen differenzierten und realistischen Ausblick."

Der Bonner Virologe Hendrik Streeck wagt in der Corona-Pandemie "einen differenzierten und realistischen Ausblick."

(Foto: picture alliance/dpa)

Der Bonner Virologe Streeck sagt, seine umstrittene Heinsberg-Studie finde in der Fachwelt große Beachtung. Es gäbe darin keinen Rechenfehler, auch eine zweite Corona-Welle erwarte er nicht. Ähnlich wie Ramelow befürwortet Streeck, Lockerungen regionaler zu steuern.

Bei seiner Heinsberg-Studie lief einiges falsch, was Virologe Hendrik Streeck durchaus bewusst ist. Er bedaure aber, dass es in der öffentlichen Diskussion eher darum gehe, wie sie präsentiert wurde als um die Studie selbst, sagte er dem "Bonner Generalanzeiger". Bei Fachleuten halte sie Stand. Was den weiteren Umgang mit der Pandemie betrifft, will sich Streeck raushalten und fordert Entscheidungen von der Politik. Er teilt aber bis zu einem gewissen Grad die von Bodo Ramelow in Thüringen angestrebte Regionalisierung und hält eine zweite Corona-Welle in Deutschland für eher unwahrscheinlich.

Aus der Heinsberg-Studie habe er sehr viel gelernt, sagt Streeck. Er sei der Virologe, der die meisten an Covid-19 Erkrankten gesehen habe und könne das Virus jetzt besser einschätzen. Weitere Antikörper-Studien seien notwendig, um die Dunkelziffer der Infizierungen besser bestimmen zu können. Streeck begrüßt daher Untersuchungen wie die des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Kupferzell oder des Jenaer Uni-Klinikums in Neustadt am Rennsteig, die seine Arbeit ergänzten.

Kritik "fast kafkaesk"

Die Heinsberg-Studie finde in der Fachwelt große Beachtung und Streeck kritisiert, dass mehr über das Zustandekommen als über die Studie selbst diskutiert werde. "Wenn dann ein Redakteur einen Rechenfehler in einer Rechnung findet, die wir aber nie aufgestellt haben, sondern in den Medien so interpretiert wurde, dann ist das fast kafkaesk", findet der Virologe.

In dieser Phase der Pandemie seien Erkenntnisse wichtig, ob und wie Menschen nach einer Infektion immun sind und welche Ziele die Politik jetzt festlege. Über das Virus sei eigentlich das meiste gesagt, so Streeck. Aber die Entscheidung zur Normalität ist eine, die mittlerweile ganz weggerückt ist von der Virologie. Als gebranntes Kind möchte er keine Ratschläge geben, obwohl er eine Meinung und eine Einschätzung dazu habe. Aber er wolle sich nicht anmaßen, "eine Entscheidung abzunehmen, die eigentlich bei denen liegen sollte, die dafür gewählt worden sind, solche Entscheidungen zu treffen und alle Gesichtspunkte abwägen zu können."

Trotzdem lässt sich der Wissenschaftler eine Einschätzung entlocken: Letztendlich komme es darauf an, was man erreichen wolle. Wolle man das Virus komplett eindämmen, müsste man sehr viel öfter testen und jede Infektionskette unterbinden, sagt Streeck. "Die Frage ist aber, ob das Virus endemisch, also bei uns heimisch wird und wir immer in den Herbst- und Wintermonaten solche Infektionen sehen. Dann ist die Frage, ob man nicht eine Teilimmunität erreichen will, gerade in den wärmeren Monaten, wo weniger Viren übergeben werden und eine Infektion mit asymptomatischem Charakter wahrscheinlicher ist."

Intensivkapazitäten entscheidend

Sei das Ziel, die Krankenhauskapazitäten nicht zu überlasten, sollte man überlegen, nur die zu testen, die auch Symptome haben, rät der Wissenschaftler. Die Reproduktionszahl R sei hier nur bedingt aussagekräftig, da sie von den Testangeboten und der Nutzung abhänge. Gesellschaftlich sei die beste und fairste Strategie, darauf zu achten, wie groß die Intensivkapazitäten sind, um jedem Menschen die optimale Versorgung zukommen zu lassen. Man müsse bei dem Coronavirus anfangen, "darüber nachzudenken, wie wir damit leben können und auch Strategien in diesem Sinne zu entwerfen."

Problematisch sei, dass sich Sars-CoV-2 zehn bis 14 Tage Zeit nehme, bevor Erkrankte Symptome zeigten, so der Virologe. Man müsse daher eine Kenngröße entwickeln, die es noch nicht gäbe, "zum Beispiel das Verhältnis der gemessenen Fälle durch Stichproben zur Intensivkapazität."

Die bundesweit vorgegebene Neuinfektions-Grenze von 50 je 100.000 Menschen hält er für eine "Richtgröße, an der man sich langhangeln kann." Ob 25, 35 oder 50 der richtige Wert sei, hänge auch sehr von regionalen Unterschieden ab, meint Streeck und gibt damit teilweise Thüringens Ministerpräsident Ramelow recht, der unter anderem eine "Lokalisierung des Pandemie-Managements" plant. Ein Kompromiss, der die Steuerung den einzelnen Ländern, Kreisen und Kommunen überlässt, sei ein guter Weg, findet der Virologe.

Nur Regen statt Sturm

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Eine zweite Pandemie-Welle im Herbst hält Streeck eher für unwahrscheinlich. Er erwartet zwar nach einem wetterbedingten sommerlichen Rückgang im Herbst wieder eine steigende Zahl an Infektionen, und man werde immer mal so wie jetzt Hotspot-Ausbrüche sehen, sagte er. Aber das werde dann von den örtlichen Gesundheitsämtern eingedämmt. "Eine Welle bedeutet ja, dass einen etwas überrollt. Ich glaube nicht, dass wir so ein Phänomen sehen werden."

Streeck hat aber Verständnis für Kollegen, die "heftige Warnungen" vorziehen. Es werde immer verziehen, wenn man vor einem Sturm warne, es am Ende aber nur regne, erklärt er. "Schwieriger ist es, einen differenzierten und realistischen Ausblick zu geben, und diese Gratwanderung, die wir versuchen darzustellen."

Quelle: ntv.de, kwe

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