M.RAPHAEL
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Der katholische Vatergott gegen den protestantischen Willkürgott, Teil 1, via antiqua

Die modernen Verwerfungen der katholischen Kirche in der Nachfolge des 2. Vatikanischen Konzils haben wesentlich damit zu tun, dass sich klammheimlich ein neues Gottesbild, abgeleitet aus der protestantischen Willkürgottvorstellung, durchgesetzt hat. Dieser Gott der Macht war zu schlimm und zu unkalkulierbar, als dass er dauerhaft ein personales Gegenüber im Bewusstsein der Menschen bleiben, geschweige denn Wohnung in der menschlichen Seele nehmen konnte. Eine Anbetung war nur schlecht möglich. Man sah in ihm einen Despoten, für den die Erde vollkommen verrucht und verloren war. So konnte man ihm auch nicht durch eine heilige Lebensführung gefallen. Damit war dieser Gott für das irdische Leben irrelevant geworden, besonders weil er vollkommen willkürlich begnadete. Jetzt konnte man tun und lassen, was man wollte.

Die nicht auszulöschende Gottesebenbildlichkeit im Menschen führte zu einem neuen Gottesbild in Form eines lieben Gottes, eines netten Personal Jesus, der dem Menschen alle Wünsche erfüllt und noch die schlimmste Sünde schwammherzig übersieht. Dieser Wunschgott hat sich durchgesetzt, auch deshalb, weil seit den 1950er Jahren die Lebensbedingungen der meisten Menschen durch die Moderne wesentlich verbessert wurden. Egoistische Bestrebungen wurden belohnt. Es ging immer nur aufwärts.
Emanzipatorische Bewegungen, die die Unkeuschheit, den Ungehorsam und die Machtgier predigten, haben keinerlei Rückschläge erfahren, im Gegenteil.

Die Menschen haben sich für die Liebe nicht interessiert. Der liebende Vatergott war uninteressant. Ihre Sehnsucht nach Selbstvergötzung, nach Macht und Kontrolle hat zum Willkürgott und seinem Sohn und Nachfolger, dem Personal Jesus, geführt. Ich werde auf ihn immer wieder zurückkommen.

Im November 2006 hat der US Konvertit Dr. Scott Hahn, ehemals ein protestantischer Pastor, einen sehr guten Vortrag gehalten, in dem er die Vorläufer des Protestantismus herausgearbeitet hat, ohne die die Reformation so nicht möglich gewesen wäre:

www.youtube.com/watch

Nachfolgend werde ich versuchen, die wichtigsten Punkte aus seinem Vortrag zusammenzufassen:

Er zeigt, dass die Wurzeln der Reformation schon im 14ten Jahrhundert liegen und mit der sogenannten via moderna begonnen haben.

Er unterscheidet zwischen der via antiqua – dem alten Weg (Hl. Athanasius, Hl. Augustinus, Hl. Thomas von Aquin) und der via moderna – dem neuen Weg (Marsilius von Padua, Wilhelm von Ockham, Machiavelli).

Die via moderna hat die via antiqua verdrängt und die Menschen damit in die Irre geführt. Die Schwierigkeit auf den richtigen Weg zurückzufinden, ist vergleichbar mit dem Problem, ausgedrückte Zahnpasta zurück in die Tube zu bekommen.

Der alte Weg wird im nizänischen Glaubensbekenntnis unüberbietbar zum Ausdruck gebracht. Gott der Vater hat Seinen Sohn geschickt, um uns durch den Heiligen Geist zu einer Familie von Söhnen und Töchtern zu vereinen, um uns zu erlösen. Dabei stellte sich dann die Frage für die via moderna, ob diese Sprache der Bibel nur bildlich oder wirklich real zu verstehen ist, ob sie metaphorisch oder metaphysisch ist? Wenn Jesus sich als der Sohn Gottes bezeichnet, meint er das z.B. wie ein Pharao bzw. Cäsar oder meint er die reale Gottessohnschaft? Schon immer hatten die Intellektuellen Probleme, die Sprache der Bibel als metaphysische Faktenrealität anzuerkennen, z.B. Arius von den Arianern, für den Jesus nur bildlich gesprochen der Sohn Gottes war. Dagegen richtet sich der Hl. Athanasius: Er zeigt uns, dass Jesus tatsächlich der unsterbliche Sohn Gottes ist. Er ist faktenrealistisch eins mit dem Vater, verbunden durch den Heiligen Geist. Gott IST Vater. Das ist nicht nur ein Bild oder eine Projektion. Weil er wirklich unser liebender Vater ist, können wir auf Ihn zählen. Er stellt uns in eine vorhersehbare, kohärente, konsequente und dadurch intellektuell erkennbare, intelligible Welt. Wir können Ihm vertrauen.

Das Vertrauen in den real existenten liebenden Vater ist der Eckstein der via antiqua, des alten Weges. Weil er uns als Vater liebt und uns besser kennt als wir uns selbst, ist Seine Ordnung, in die er uns einfügt, immer die Beste für uns. Nur in ihr können wir wirklich frei sein. Sie ist das Rezept für unser Glück und unsere Erfüllung. Das ist die Lehre des Hl. Athanasius.

Dann kommt der Hl. Augustinus und lehrt über die Sakramente:

- Gegen die gnostischen und leibverachtenden Manichäer zeigt er, dass durch die Menschwerdung Christi die unsichtbare Transzendenz zur sichtbaren Materie geworden ist und deshalb auch die materiellen Sakramente heilswirksam sind. Die Sakramente sind MÖGLICH.

- Gegen die intentionalistischen Donatisten zeigt er, dass die Sakramente auch dann wirksam sind, wenn der irdische Sakramentenspender nicht heilig oder bei der Sache ist. Die Sakramente wirken (ex opere operato), weil der eigentliche Spender Gott ist. Die Sakramente sind MACHTVOLL.

- Gegen die selbst erlösenden Pelagianer zeigt er, dass die Sakramente nicht nur für die Schwachen erlösungsrelevant sind, sondern für alle Menschen. Die Sakramente sind FÜR ALLE NOTWENDIG.

Durch die Sakramente schenkt sich uns Gott. Durch sie erhöht er uns zu Sich in den Himmel.

Wenn der Hl. Athanasius der Eckstein der via antiqua war, dann baut der Hl. Augustinus das Fundament. Es beinhaltet, dass das natürliche Leben im Licht der übernatürlichen Gnade gelebt wird.

Dann kommt der Hl. Thomas und zusammen mit dem Hl. Bonaventura lehrt er im 13ten Jahrhundert an der Universität von Paris, dass Gott und Mensch vereint sind, dass Himmel und Erde vereint sind. Diese Aussagen sind berechtigt, weil die gesamte Schöpfung von Himmel und Erde durch die Liebe des göttlichen Vaters kohärent, konsequent, vernünftig und dadurch intellektuell erkennbar ist. Durch die Schöpfung können wir Gott vernünftig erkennen. In den Sakramenten konkretisiert sich unsichtbares göttliches Leben durch sichtbare menschliche Vollzüge.

Die Hochzeitsmetapher für die Vereinigung zwischen Himmel und Erde ist das am meisten gebrauchte Bild für die via antiqua. Die eheliche Verbindung, begründet durch den Herrn und die Mutter Gottes, etabliert den neuen Bund zwischen Gott und Mensch. Er macht es möglich, dass der Mensch göttliches Leben erfährt, dass Gott Mensch wird, dass Himmel und Erde, Ewigkeit und Zeitlichkeit, so wie Kirche und Staat vereint werden. Die Hochzeit ist das grundsätzliche Modell der Vereinigung. So kann das ganze Leben ein Geschenk für Gott werden in der Gnade des Heiligen Geistes. Durch die Sakramente wird die Menschheit in den Himmel erhoben, um in das sich verschenkende Lob der trinitarischen Union Gottes einzustimmen. Dafür sind wir erschaffen worden.

Für den Hl. Thomas vollzieht sich dieses Geschehen intellektuell. Der Glaube ist nicht die Verabschiedung der Vernunft, sondern deren Erfüllung. Der Glaube erhebt und erleuchtet die Vernunft, weil das gesamte Heilsgeschehen inhärent vernünftig ist! Weil Gott als unser Vater uns und unsere Bedürfnisse intellektuell versteht, ist alles, was Er für uns will, unser Bestes. Die göttliche Allmacht und der göttliche Wille sind niemals im Widerspruch mit den menschlichen Bedürfnissen. Nur sie allein machen uns wirklich frei. Sie sind niemals Unterjochung oder Bedrohung.

Freiheit in der via antiqua wird nicht als Freiheit VON, sondern als Freiheit FÜR verstanden, frei sein für die Tugend, frei sein für Heiligkeit, frei sein für die Gemeinschaft im Leib Christi.

Dann kommt die via moderna.