Santiago_
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Marius Reiser - Drei revolutionäre Weisungen Jesu

Drei revolutionäre Weisungen Jesu Feindesliebe - Armut - Ehescheidung "Immer wieder einmal kann man die Behauptung lesen oder hören, Jesus habe in der Ethik nichts Neues gebracht oder nicht viel. So …Mehr
Drei revolutionäre Weisungen Jesu
Feindesliebe - Armut - Ehescheidung

"Immer wieder einmal kann man die Behauptung lesen oder hören, Jesus habe in der Ethik nichts Neues gebracht oder nicht viel. So gut wie alle seine moralischen Weisungen seien der alttestamentlich-jüdischen Tradition entnommen und hätten meist auch Vorbilder in der paganen, besonders der stoischen Ethik. Neu sei an der Ethik Jesu eigentlich nur der begründende, motivierende und stimulierende Rahmen: die Botschaft vom Reich Gottes. In den Kommentaren und Handbüchern werden zu den Worten Jesu zahlreiche "Parallelen" zitiert: aus der ägyptischen Weisheitsliteratur, dem Altern Testament, der frühjüdischen Literatur, dem Talmud, Philo, Plutarch, Epiktet und Autoren, deren Namen nur Spezialisten kennen. Der Leser ist von der Fülle beeindruckt und verwirrt. Und nicht selten geschieht es selbst Gelehrten, daß sie vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen und in der Fülle der angeblichen Parallelen den Blick für das …Mehr
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"Man redet heute viel von einer christlichen "Option für die Armen". Man meint damit, daß sich die Reichen für die Armen und die Überwindung der Armut einsetzen sollen oder wollen. Von einer solchen Option für die Armen ist bei Jesus wenig, ja so gut wie nichts zu finden. Nur in dem Wort gegen die Schriftgelehrten, die "die Häuser der Witwen auffressen" (Mk 12,40), klingt etwas von prophetischer …Mehr
"Man redet heute viel von einer christlichen "Option für die Armen". Man meint damit, daß sich die Reichen für die Armen und die Überwindung der Armut einsetzen sollen oder wollen. Von einer solchen Option für die Armen ist bei Jesus wenig, ja so gut wie nichts zu finden. Nur in dem Wort gegen die Schriftgelehrten, die "die Häuser der Witwen auffressen" (Mk 12,40), klingt etwas von prophetischer Sozialkritik an. Armenfürsorge und Almosen-geben war im Judentum eine Selbstverständlichkeit, und so wohl auch für Jesus. Die christliche Option für die Armen muß deshalb weithin alttestamentlich begründet werden.
Jesus betrachtet die Frage von Reichtum und Armut nicht so sehr unter dem Aspekt der Soziallehre als unter dem der Güterlehre. Ihm geht es darum, wie Armut und Reichtum moralisch zu bewerten sind und welche Lebensform grundsätzlich erstrebenswerter ist: die des Reichen oder die des Armen?(...) Die absolute Priorität der Herrschaft Gottes ist der Schlüssel zu den Worten Jesu über Reichtum und Armut. Gott und sein Reich sind das höchste und alleinige Gut des Menschen. Dieses Gut tritt in Konkurrenz zu allem, was den Menschen ganz in Anspruch zu nehmen droht. Darum können die Herrschaft Gottes und die Herrschaft des Geldes nicht friedlich koexistieren. "Niemand kann zwei Herren dienen. Denn entweder haßt er den einen und liebt den andern oder er hängt am einen und verachtet den anderen. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon" (Mt 6,24/ Lk 16,13). Jesus verteufelt das Geld nicht als solches, unter Umständen gesteht er auch Jüngern Besitz zu. Aber grundsätzlich gilt: Besitz, vor allem großer Besitz, und der Versuch, ihn zu genießen, verhindert, daß Gott und sein Reich zum höchsten Gut des Menschen wird und zu dem einen Notwendigen (vgl. Lk 10,42). "Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz" (Mt 6,21/ Lk 12,34).

Das ist zugleich der Grund, warum ein Kamel leichter durch ein Nadelöhr kommt als ein Reicher ins Reich Gottes (Mk 10,25parr). Gold geht durch alle Türen, wie es im Sprichwort heißt, aber nicht durch die Tür des Himmelreichs. Darum verkündet Jesus nicht: "Selig der Reiche!" wie Jesus Sirach, sondern: "Selig ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes!" (Lk 6,20) "Selig ihr Armen!": Das ist für antike Ohren ein Paradox. Wenn Matthäus statt "Selig die Armen" "Selig die Armen im Geiste" schreibt (Mt 5,3), so nicht, um den Reichen ein Hintertürchen zu öffnen; der Evangelist will vielmehr andeuten, daß Jesus nicht jene Armen seligpreist, die nur auf eine Gelegenheit zum Reich-werden warten, sondern jene Armen, die nicht auf irdische Schätze aus sind und stattdessen Gottes Reich und seine Gerechtigkeit suchen (vgl. Mt 6,19-34).
Bei Jesus finden wir also eher eine Option für die Armut als eine Option für die Armen. "