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Klaus Peter
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Karl Marx und die Dialektik der Geschichte. Abschrift eines Essays von von Christopher Dawson, der oft als wichtigster englischsprechender katholischer Historiker des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird.…Mehr
Karl Marx und die Dialektik der Geschichte.

Abschrift eines Essays von von Christopher Dawson, der oft als wichtigster englischsprechender katholischer Historiker des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird. Der Text ist dem Buch entnommen: «Gestaltungskräfte der Weltgeschichte, Studien zur Soziologie, Theologie und Philosophie der Geschichte», erschienen 1959 im R. Oldenbourg Verlag München.
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„Daher ist zwischen dem marxistischen Materialismus – selbst in seiner idealistischesten Form – und dem christlichen Glauben an Gott, den Schöpfer Himmels und der Erde, den Erschaffer und Erlöser der Menschen, den Herrn und Spender des Lebens, keine Aussöhnung möglich.“ (Dawson)
„Goldgräber schaufeln viel und finden wenig“
, soll ein Satz von Heraklit sein. Was also ist die Essenz? Was der Punkt,…Mehr
„Daher ist zwischen dem marxistischen Materialismus – selbst in seiner idealistischesten Form – und dem christlichen Glauben an Gott, den Schöpfer Himmels und der Erde, den Erschaffer und Erlöser der Menschen, den Herrn und Spender des Lebens, keine Aussöhnung möglich.“ (Dawson)

„Goldgräber schaufeln viel und finden wenig“
, soll ein Satz von Heraklit sein. Was also ist die Essenz? Was der Punkt, den wir brauchen, um in unserer Zeit weiterzukommen?

Und noch eine Bemerkung von Tschuang-Tse über Bücher. Ein Text ist auch Ausdruck des Versuchs des Schreibers, uns als Zeitgenossenen oder Nachgeborenen etwas mitzuteilen, und insofern ist jeder Text das Dokument eines Scheiterns. Und dennoch nicht vergeblich, denn wenn es uns gelingt, den Text im Kontext seiner Zeit zu betrachten, dann können wir erahnen, was uns der Verfasser weitergeben wollte. Und weil dies so schwierig ist, deshalb kann die Schrift auch nur in der Tradition von Generation zu Generation weitergeben werden. Ohne diese Bindung an die Tradition verkümmert Text zum Buchstabenglauben. Und deshalb ist es immer sinnvoll zu versuchen, den Verfasser von Texten in seinen Texten aufzuspüren, weniger sinnvoll aber scheint es mir zu sein, seinen Lehr- und Denkgebäuden zu folgen.

Gibt es eine Aktualität des Denkens von Karl Marx, der wir uns in der Form der Negation nähern sollten?

1. Der Marxismus als Denkschule endet 1979 mit der islamischen Revolution im Iran. Die sozialrevolutionäre Kraft des Marxismus ist seitdem erloschen. Die Kritik an der westlichen Zivilisation hat faktisch der Islam geerbt, also das „befreiungstheologische“ Moment übernommen. Dagegen stehen die Epigonen des Marxismus aus der 68-Generation heute in liberalisierter Form an der Spitze von Staat und Gesellschaft. Sie sind jene Kultur, vor der Marx in seinen frühen Schrift warnt.

2. Auch in der katholischen Kirche ist der Marxismus zum Grundkonsens geworden. EVANGELII GAUDIUM ist ja eine Bekenntnisschrift dieses neomarxistischen Denkens und eine Aufforderung, tief in diese urbane Kultur einzutauchen. LUMEN FIDEI steht nicht dagegen, sondern liefert eine Geschichtsphilosophie von Abraham bis Nietzsche. Auch in der katholischen Kirche stehen die Vertreter der 68-Generation an der Spitze und an Spitze ihrer Macht.

3. Auch der Rückgriff auf antikommunistische Begriffe liefert da nichts, was uns hilft, in dieser Zeit für das Wort Gottes einzustehen. In gewisser Weise ist ja der Marxismus der Deutschen erfolgreichstes Exportprodukt und überall ist dieses Denken in die gelebte und gefühlte Alltagswirklichkeit der modernen Welt eingegangen. Kritik des Marxismus wäre dann Kritik der Lebenswirklichkeiten: „Nieder mit den Alpen, freie Sicht aufs Mittelmeer!“ Nein, so geht es ja nicht. Kritik heißt nicht, der Wirklichkeit die Wahrheit entgegenzuschreien, sondern Kritik an den bestehenden Verhältnissen ist, die Wahrheit in den Veränderungen einer Zeit wieder zu finden und so das Wort der Wahrheit zum gesellschaftlichen Tanzen und Blühen zu bringen.

4. Marx beobachtet in seiner Zeit Anfang der 1840er Jahre, nachdem sein pietistischer Freund aus Wuppertal Oberbarmen die „Lage der arbeitenden Klasse in England“ beschrieben hatte, wie die christliche Heilserwartung sich in eine diesseitige Hoffnung verwandelt hat und mit der industriell-technischen Revolution eine neuartige Verbindung eingeht. Die Sehnsucht und Erwartungshaltung von Fortschritt, Zivilisation, Besserung der Menschheit verbindet sich hier mit den umstürzenden Kräften des Marktes und der technischen Umwälzung. Marx singt das „hohe Lied“ jenes Bürgertums, Bourgeoisie, wie er sagt, die ...: „Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde.“ Das ist höchste Bewunderung, und, wenn wir den religiösen Hintergrund von Karl Marx ernst nehmen, schärfste Kritik. Geblieben ist davon die Be-Wunderung. Aber wir leben in einer Zeit, in der uns dieses Wunder im Halse stecken bleibt. Denn der Marxsche Satz, „sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde“, hat sich zur ökologische Theorie der vom Menschen geschaffenen Erde verdichtet und wird uns als Öko- und Klimawandel-Enzyklika noch nachhaltig Probleme bescheren.

5. Wenn es eine Aktualität der Auseinandersetzung mit Marx gibt, dann ist es jenes Ereignis im Alter von sechs Jahren, als der Spross stolzer Rabbiner auf dem Altar des Fortschritts und der Karriere seines Vaters im katholischen Trier zum Protestanten getauft wird. Als dieser Junge alt genug ist, sich mit seiner Zeit auseinander zu setzen, kann er das nur, indem er entweder seinen Vater oder seinen Großvater verachtet. Er aber entscheidet sich, die Gesellschaft zu verachten (die ihn zum Protestanten verformt hat), und das mit prophetischer Stimme. An dieser Stelle liegt aus meiner Sicht der für uns wichtige Hinweis. Es kann Situationen geben, in denen die unbedingte Treue zur Tradition und den Werten der Väter und Vorväter nur durch die Kritik an den bestehenden Verhältnissen gewahrt werden kann. Das führt zu dem Paradoxon eines Katholizismus, dessen Treue zur Tradition sich in seiner Kritikfähigkeit äußert.

6. Es gibt noch einen Punkt, den ich bei Marx sehe. Luther hatte Gott zum inneren Menschen gemacht, von dem die deutsche Philosophie erkannte, dass dann der äußere Gott nur eine Projektion des inneren Menschen sein könne. Auf diesen projizierten Gott, also gemachten Gott, reagiert Marx ganz mosaisch: er verweigert dem gemachten Gott den Dienst, die Verehrung und unterwirft ihn der kritischen Kritik. „Als das Volk sah, dass Mose noch immer nicht vom Berg herabkam, versammelte es sich um Aaron und sagte zu ihm: Komm, mach uns Götter, die vor uns herziehen.“ Aarons Fehler ist nicht, dass er ein Kalb formt oder dass es ein goldenes Kalb ist, sondern dass es der gemachte Gott ist, um den das sich selbstbestimmende Gottesvolk seinen selbstgemachten Kult tanzt. Die kritische Kritik der (falschen) Götter unserer Zeit ist etwas, was es lohnend macht, die frühen Texte von Marx zu Kenntnis zu nehmen.

7. Luther organisiert einen Exodus aus der Kirche heraus und durch die Wüste hinein ins gelobte Land, in dem, wie in der EU, Milch und Honig ohne Ende fließen. Zwar gibt es durch das Bienensterben aktuell Probleme, aber an Milch mangelt es nicht. In diesem Kanaan sind wir angekommen. Die Statuen für Baal und Astarte sind wieder aufgerichtet und die Straßenfeste der neuen Götter werden gebührend gefeiert. Abraham trat den falschen Göttern seiner Zeit mit dem Wissen um Gott als dem Schöpfer des Himmels und der Erde entgegen. Das ist bis heute der erste Satz unseres Glaubensbekenntnisses. Die wissenschaftliche Forschung arbeitet daran, diesen Urknall unserer Weltsicht auszuhebeln, aber vielleicht wird Gott in der Gestalt allgemeiner Kosteneinsparungen unsere Gegner zu Fall bringen. Wir aber müssen auch daran arbeiten und dafür beten, dass das Europa unserer Zeit sich ändert.

8. Nirgendwo wird das Wasser des Lebens mehr gebraucht als in der Wüste der urbanen Zivilisation. Da hat EVANGELII GAUDIUM einfach Recht. „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser“, so sehnt sich Europa nach Sinn. Die Werte der Aufklärung sind ja nur Werte der Kritik einer älteren Werteordnung und wenn diese ältere Werteordnung weggebrochen ist, dann findet auch die Kritik daran keinen Halt mehr, ist sinnlos. Europa hat jetzt keine Werte und es weiß nicht, wer und was es sein will und sein soll. Und das ist auch ein Grund für den Aufstieg des Islam in Europa, denn auch in der postindustriellen urbanen Wüste sehnen sich die Menschen danach, den Namen des Herrn anzurufen. Die Moscheen und Minarette sind sozusagen ein Zeichen der Hoffnung, denn sie zeigen an, dass der Boden auch nach 200 Jahren Aufklärung nicht unfruchtbar ist. Aber wo sind unsere Arbeiter im Weinberg? Wo wird unser Saatgut wieder eingebracht?

Eine Betrachtung der kritischen Kritik, die Karl Marx an den bestehenden Verhältnissen seiner Zeit übte, ist hilfreich, denn im kanaanitischen Europa werden wir noch ziemlich viel Götzenkritik üben müssen.
Klaus Peter
Ich hätte noch im Sinne – falls Interesse vorhanden ist – aus dem gleichen Buch die vier Kapitel des Abschnittes «Das Christentum und der Sinn der Geschichte» für die Veröffentlichung hier aufzubereiten: 1. Die christliche Geschichtsauffassung – 2. Geschichte und christliche Offenbarung – 3. Christentum und geschichtlicher Widerspruch – 4. Das Gottesreich und die Geschichte.