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Haltung und Gehaltensein, oder: Vom Wechselspiel zwischen Charakter und Charisma. Hanna Barbara Gerl-Falkovitz Haltung ist leiblich und geistig zu verstehen: Sie gründet auf einer Bewegung gegen die …Mehr
Haltung und Gehaltensein, oder: Vom Wechselspiel zwischen Charakter und Charisma.

Hanna Barbara Gerl-Falkovitz
Haltung ist leiblich und geistig zu verstehen: Sie gründet auf einer Bewegung gegen die Schwerkraft, gegen das bequem-lässige Ausweichen. Insofern ist sie eine mögliche Übersetzung von Tugend, eben dem Tüchtigen und Tauglichen, dem gut und richtig Zupackenden. Aber einem tieferen Zusehen erschließt sich, daß Haltung und Standfassen auch etwas stark Willentliches an sich tragen, die betonte Selbsterziehung gegen Schwächen und Versuchungen des Abgleitens. Charakter in seinem guten Sinn – nicht nur als Schicksal verstanden – wäre dann die erfolgreich geübte Haltung, sich in der Hand zu haben.
Und doch fehlt daran noch ein Winziges: die Leichtigkeit, das Mühelose des Tuns. In Kleists Aufsatz Über das Marionettentheater liegt die Anmut der Marionette darin, daß sie ihren Schwerpunkt über sich hat. Sie stemmt sich nicht von unten nach oben, sie wird von oben gehalten. Das griechische Wort Charisma heißt Gabe, Gnade, aber auch Anmut, Schönheit, verdichtet zu Charme: Es gibt die große Möglichkeit, das Schwere leicht zu tun, so daß es nach außen nicht auffällt. Haltung laßt sich auch gewinnen aus Gehaltensein: Das heißt, das Spiel der Gnadengaben zulassen, das die eigene Anstrengung nicht außer Kraft setzt, ihr aber die titanische Selbstverwirklichung nimmt. Auch hier gilt: Es gehört zur Größe der Gnade, daß sie unsere Mitwirkung wünscht – aber diese Mitwirkung unerhört beflügelt.
tantumergo_ teilt das
5
Gerl-Falkovitz
anita M.
Ausgezeichneter Vortrag, man kann ihn mehrmals auf sich wirken lassen.
Vergelts GOTT für's Reinstellen!
👍 👏
dornbusch
„Der Charakter hat prinzipiell auch Schicksal zu bestehen und es schließt, merkwürdig genug, sogar das Geborensein ein. Damit ist etwas ganz Schlichtes gesagt: Geboren sind wir nicht am Nullpunkt einer Entwicklung - unbeschriftet, sondern bereits begabt, im Doppelsinn des Wortes: gezeichnet.. .. Wir sind ein Jemand und nicht ein Etwas. Der große Erzieher Guardini hat die Tatsache dieser unbekannten …Mehr
„Der Charakter hat prinzipiell auch Schicksal zu bestehen und es schließt, merkwürdig genug, sogar das Geborensein ein. Damit ist etwas ganz Schlichtes gesagt: Geboren sind wir nicht am Nullpunkt einer Entwicklung - unbeschriftet, sondern bereits begabt, im Doppelsinn des Wortes: gezeichnet.. .. Wir sind ein Jemand und nicht ein Etwas. Der große Erzieher Guardini hat die Tatsache dieser unbekannten und weithin ungreifbaren Mitgift in ihrer Schwere aber auch in ihrem Geheimnis beleuchtet: ‚Dass dieser lebendige Mensch da ist, sein Dasein, ist der Erziehung entzogen; er tritt ein in die Wirklichkeit mit seinem Schicksal in sich; er tritt ein mit Gesetzen, Kräften, Forderungen, das alles ist da. Wir fassen es nicht, was mit uns war, bevor wir waren und was in uns einging.’ Man muss ja sagen, dass nicht nur die Zukunft offen ist, das ist uns ja völlig geläufig, es ist im Gegenteil sogar so, das was hinter uns liegt, unsere Herkunft, bildet auch eine offene Flanke, in die wir nicht hineinblicken, in der Regel. ‚Es ist ein Geheimnis, so Guardini, dass wir einmal begonnen haben zu sein als diese Menschen. Wir empfingen unsere Wirklichkeit in uns, Möglichkeit und Grenze. Und was da wohnte begann sich zu rühren und zu schaffen; das ist unser Glück und unsere Last. Und alles was Erziehung heißt bedeutet nur dienend, helfend, heilend innerhalb dieses Geheimnisses bleiben. Im Geheimnis hat es seine Sicherheit.’ .... Es gibt ein Geheimnis, innerhalb dessen eine Sicherheit ruht, aber natürlich eine Gefährdung. Was werden wir aus uns machen? Das heißt, unser abkünftiges Leben – noch einmal, wir haben eine Flanke in uns, in die wir nicht hineinsehen – vollzieht sich in seiner Entfaltung in stets neuer Ankunft bei sich, ohne dass wir uns auch kennen. Es gehört zur Größe der Gabe Leben, dass sie die eigene Mitwirkung freisetzt. Wir kennen aber die Dynamiken nicht ganz genau, über die wir verfügen. Aber Selbstsein ist nicht prometheischer Raub, sondern verliehen. .. Wir werden uns unserer selbst nur ansichtig in Gestalt der Freiheit, .. aber auch diese Freiheit ist zum Teil Schicksal und muss bestanden werden. Es ist unabdingbar, dass wir als Menschen freiheitlich wählen müssen. Es gibt einen schönen Satz von Jörg Splett, ‚wer nicht wollen will, muss müssen’. Hier stecken die Positionen der Selbstannahme und möglicherweise der Selbstablehnung, und zwar auch das nicht ein für alle Mal. .. Charakter als Vorprägung und von uns mitgestaltete Mitprägung, Selbsterziehung vollzieht sich selbst großenteils undurchschaubar, .. eher unauffällig, in Welt, Zeit und Geschichte verstreut, .. auch im geringfügigen Tun, und doch fließt das alles dann zurück in unser eigenes Gesicht. Insofern geschieht uns auch nichts Entscheidendes nur zufällig, sondern aus dem Charakter der Selbststellungnahme, das ist ein Ausdruck aus der Phänomenologie, der auch Freiheit heißt. ... Im Letzten weiß das Ich von seiner Zuständigkeit. ...
..... Charakterbildung – ‚Die eigene Grenze zum Gesetz der Vollkommenheit machen’ (Guardini). Was bisher als Schicksal, als Unbekanntes, als eher Bedrohliches dargestellt ist, lässt sich auch anders sagen. Es ist etwas, was schon da ist, und es ist die Frage, ob das nicht auch in Ehrfurcht vor dem, was ist, aufgenommen werden kann. Das heißt die Vorgabe des Daseins als das mitgegebene Maß zur Vollendung zu bringen,. ... nicht gegen die Natur zu arbeiten, sondern ihr richtig zu folgen (Thomas von Aquin). Immer bildet das Maßlose, das Willkürliche die Gefahr, auch eines spätmodernen Ethos, insbesondere eines nichtchristlichen Ethos, dass aus der Freiheit eine Form von Selbsthabe formuliert wird, die nicht mehr der Wirklichkeit entspricht. Der Wunsch nach Selbstbestimmung, der nicht im Vorgegebenen verankert ist, wird ideologisch in eine illusionäre Autonomie hinein entworfen – Beispiel: Hybris des veränderbaren Geschlechts.
Hierzu Hannah Arendt: ‚Der wohl hervorstechendste und auch erschreckendste Aspekt der Realitätsflucht liegt in der Haltung, mit Tatsachen so umzugehen, als handele es sich um Meinungen. Alle Fakten können verändert, alle Lügen wahrgemacht werden. Man hat es hier nicht mit Indoktrination zu tun, sondern mit der Unfähigkeit und dem Widerwillen, überhaupt zwischen Tatsache und Meinung zu unterscheiden.' “
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👍
Angy
👏 👏